Reinbek. Anlaufstelle für Heranwachsende im Stadtzentrum: Hanna Barthels, Nina Reißler, Ulli Gerwe und Albrecht Uhl sind für Jugendliche da.

Buchstaben auf buntem Papier prangen an der Schaufensterscheibe: „Jugendladen“ steht dort an der Hamburger Straße 3. An diesem Dienstag öffnet er zum ersten Mal in der alten „Villa Tesch“, dem gelben Geschäftshaus mit braunen Balken und Zwiebeltürmchen direkt am Landhausplatz neben dem Rathaus. Gedacht ist der Jugendladen der Stadt Reinbek als Anlaufstelle für Heranwachsende, die jetzt in der Corona-Krise einfach einmal Redebedarf haben.

Bisher sitzen sie vereinzelt auf den Mauern oder Bänken am Landhausplatz, stehen in der Schlange des Eiscafés oder mit ihren Fahrrädern auf den Gehwegen: Dass die Jugendlichen oft das Bedürfnis haben, sich zu treffen, aber nicht wissen wo, ist offensichtlich.

„Weiter ansprechbar sein“

„Die Idee hinter dem Jugendladen war, weiterhin ansprechbar zu sein, auch wenn jetzt alle anderen Einrichtungen und Treffpunkte geschlossen sind“, erklärt Ulli Gerwe, Leiter der städtischen Jugendarbeit. „Dabei wollen wir nicht allein Problemlöser und Berater sein: Wir sind auch offen und dankbar für Anregungen und Ideen.“

Für diesen Pilotversuch habe sich die Villa Tesch mitten im Zentrum angeboten. Sie steht seit zwei Jahren leer und sollte jetzt eigentlich für die Stadtverwaltung renoviert werden. „Die Räume im Erdgeschoss sind groß genug, um den nötigen Abstand einzuhalten“, erläutert er. „Wir rechnen nicht damit, dass die Jugendlichen uns jetzt die Bude einrennen. Aber die Räume und das Personal sind ohnehin da. Die Möbel haben wir aus dem Rathaus ausgeliehen. Wir wollen möglichst immer zu zweit zu den Öffnungszeiten hier sein. Sollte ein zweiter Jugendlicher kommen, gibt es den zweiten Raum hinter der Glaswand.“

Aktuell erschwerte Umstände

Sollte ein dritter Heranwachsender mit Gesprächsbedarf auftauchen, müsste dieser allerdings draußen warten oder seine Kontaktdaten hinterlassen, um einen Termin zu vereinbaren. „Wenn das Angebot bis zu den Sommerferien nicht angenommen wird, haben wir ja nichts verloren“, stellt Ulli Gerwe fest. Wie in den Schulen, gibt es auch im Jugendladen keine Maskenpflicht. „Wer möchte, darf sie natürlich tragen“, erklärt Gerwe.

Zwar laufe der Schulunterricht wieder an, die aktuellen Umstände erschweren aber leider die Begegnungen, bedauern die Schulsozialpädagogen: „Leider können uns die Jugendlichen in diesen Zeiten kaum erreichen“, sagt Hanna Barthels, Schulsozialpädagogin für die Gemeinschaftsschule Reinbek und die Amalie-Sieveking-Schule. Denn es gebe Schleusenzeiten und verschiedene Eingänge, damit die Schüler möglichst nur in ihren kleinen Lerngruppen blieben.

Kontakt tendiert gegen Null

„Es kommen zurzeit nur die Prüflinge und die Abiturienten in die Schulen. Die Möglichkeit, zu mir in die Beratung zu kommen, haben die meisten gar nicht. Der Kontakt zu den Schülern tendiert gegen Null. Denn sie dürfen den Klassenraum nicht verlassen.

Abgesehen davon, dass ihr der persönliche Kontakt ohnehin lieber sei, hätten viele Schüler nicht die technischen Voraussetzungen für einen Videochat. „Wir können aber beobachten, wie froh die Schüler sind, wieder rauszukommen und, wenn auch auf Abstand, wieder ihre Kumpel zu treffen.“

„Da scheppert es richtig zu Hause“

Albrecht Uhl, Schulsozialpädagoge am Gymnasium, bestätigt das: „Sonst besuchen 1300 Schüler das Gymnasium, jetzt ist es nur noch ein Drittel. In den Schulen dürfen sie sich jetzt nicht mehr frei bewegen. Und dennoch sehnen sie sich richtig nach der Schule. Meine Schüler rufen mich jetzt meist an: Da scheppert es teilweise richtig zu Hause. Der Jugendladen könnte eine gute Ergänzung sein.“

Und Nina Reißler, Leiterin des Jugendzentrums am Schloss, ergänzt, dass der Jugendladen ein neutraler Ort für alle sein könnte, die sich bisher noch nicht in die Einrichtungen getraut hätten. „Denn die Jugendlichen brauchen in dieser Phase, wenn sie sich neu entdecken und sich von den Erwachsenen abgrenzen ihre Peer-Group, die Gleichaltrigen“, betont Nina Reißler. „Sie schlagen sich mit für sie existenziellen Fragen herum: Wie läuft das jetzt mit dem Abschluss? Wie finde ich jetzt eine Ausbildung? Kann ich überhaupt ein Freiwilliges Soziales Jahr machen?“ Das Team der städtischen Jugendarbeit möchte weiter in dieser schwierigen Situation für die jungen Reinbeker da sein.

Die Älteren machen sich große Sorgen

„Gerade jetzt, wenn sie sich eigentlich an ihren Eltern reiben, sind sie plötzlich 24 Stunden auf engem Raum mit ihnen zusammen“, verdeutlicht Hanna Barthels die unmögliche Situation. „Die Älteren machen sich auch große Sorgen um ihren Abschluss, sie sagen sich: ,Wir gammeln hier rum, wie sollen wir den Stoff denn wieder aufholen?’“

Sie und ihre Kollegen werden zwar nicht alle Fragen beantworten können, aber sie werden es versuchen. „Im Zweifel können wir auch an andere Beratungsstellen vermitteln“, sagt Ulli Gerwe. „Denn wir sind alle gut vernetzt.“ Das Angebot habe er mit den anderen Einrichtungen der Stadt und dem SVS-Beratungszentrum abgestimmt. „Die finden das gut, könnten sich sogar vorstellen, uns noch zu unterstützen.“

Am morgigen Dienstag geht es los: Zunächst ist an der Hamburger Straße 3 dienstags und donnerstags von 14 bis 16 Uhr sowie mittwochs von 16 bis 18 Uhr geöffnet.