Reinbek. Reinbek. In Reinbek leben 4500 Menschen mit einer Behinderung. Am 12. März können sie einen Beirat wählen. Das Problem: kaum Interesse.

Die Zahl der Stühle im großen Saal des Jürgen-Rickertsen-Hauses ließ auf eine große Besucherzahl hoffen. Doch zur Vorstellung der Kandidaten für die Wahl des neuen Behindertenbeirates am 12. März kamen gerade einmal vier Gäste. In ganz Reinbek leben allerdings 4500 Menschen mit einer Behinderung – für genau sie möchte der zukünftige Beirat auch arbeiten.

Bei der letzten Wahl nur 40 Stimmen

„An der letzten Wahl haben 40 behinderte Menschen teilgenommen, wären es dieses Mal 80, wäre das schon ein Erfolg“, betont Amtsleiter Torsten Christ. Doch er sagt auch: „Der Aufwand für die Wahl steht eigentlich in keinem Verhältnis zur Resonanz. Aber ausfallen lassen möchten wir die Wahl auch nicht. Gäbe es keinen Beirat, hätten Menschen mit Behinderung keine Stimme in der Stadt.“

Bei der Vorstellung der Kandidaten wurde eins schnell deutlich: Eine Behinderung kann jeden treffen, von jetzt auf gleich. Dann beginnt die Auseinandersetzung mit Ärzten, Krankenkassen, Pflegediensten. Nicht selten sind die Betroffenen und ihre Angehörigen überfordert.

Viele Kandidaten haben ihr eigenes Schicksal

Kandidat Rudolf Bieberich (61) ist nicht nur Elektromechaniker und Vater von vier Kindern, sondern auch noch Pfleger und engste Bezugsperson für seine schwerbehinderte Frau. Sie ist seit 18 Jahren auf große Hilfe angewiesen. Der Tag des 61-Jährigen beginnt um 4.30 Uhr. Verlässt er um 7.30 Uhr das Haus, um zur Arbeit zu gehen, hat er sich schon drei Stunden um seine Ehefrau gekümmert. „Man muss gut organisiert sein, damit man vor und nach der Arbeit alles schafft. Ich selbst habe erst vor einem Jahr das erste Mal vom Behindertenbeirat gehört. Wir müssen ihn bekannter machen“, sagt Bieberich.

Plötzlich ist Ingo Schröder blind

Bewerber Ingo Schröder nennt sich selbst heute ein „Glückskind“. Aufgrund eines Arterienastverschlusses war der 65-Jährige im vergangenen Jahr mehrere Monate fast blind. Hoffnung hatte der Arzt ihm keine mehr gemacht. Nun kann der Kaufmann in Frührente doch wieder sehen und möchte anderen Menschen mit einer Behinderung helfen. Günter Ostmann (64) ist Bankkaufmann und selbst seit 40 Jahren schwerbehindert. Im seinem Beruf ist er Interessenvertreter für Mitarbeiter mit Handicap. Als er selbst Hilfe beim Behindertenbeirat und im Rathaus erbat, habe er sie nicht bekommen – als Mitglied des Behindertenbeirates möchte der 64-Jährige für Betroffene greifbarer sein.

Zum wiederholten Mal treten Rolf Loose (70, Kaufmann im Ruhestand) und Kurt Martens (74, seit 2015 Pressesprecher des Behindertenbeirates) zur Wahl an. Sie waren nicht bei der Vorstellung, haben sich in den vergangenen Jahren aber intensiv mit den Themen auseinandergesetzt, die viele Menschen mit Handicap beschäftigten.

Geflüchtete Syrerin stellt sich zur Wahl

Als einzige Frau im Kandidatenteam tritt Anna Hakobyan (37) an. Die Syrerin möchte sich mit ihrem Engagement für die Hilfe bedanken, die sie und ihre Familie als Flüchtlinge bekamen, und Ansprechpartnerin für andere Flüchtlinge sein. Ihre zehnjährige Tochter kam selbst mit einer Behinderung zur Welt. Hilfe bekommt sie von ihrer deutschen Freundin Maike Borel-Garin. „Auch wir werden sie nach Kräften unterstützen“, verspricht Amtsleiter Christ.

Bis zum 12. März per Briefwahl abstimmen

Gewählt wird per Briefwahl. Die Unterlagen können Betroffene im Reinbeker Rathaus abholen oder sich zuschicken lassen – Anruf genügt, (040) 72 75 02 69. Wählen dürfen behinderte Menschen ab 16 Jahren. Die Unterlagen müssen am 12. März bis 14 Uhr vorliegen. Günter Ostmann wünscht sich, dass sich auch viele junge Leute beteiligen. Denn eine Behinderung kennt keine Altersgrenze.