Friedrichsruh. Mit nicht weniger als einer historischen Sensation ist gestern die Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh an die Öffentlichkeit gegangen. In einem amerikanischen Archiv sind original Tondokumente des deutschen Kanzlers Otto von Bismarck gefunden worden.

"Die wohl meist gesuchten der Welt", sagt Historiker Andreas von Seggern.

Das Leben Otto von Bismarcks (1815-1898) ist weitestgehend hervorragend erforscht. Sein politisches Wirken, seine familiären Bande, sein Leben auf dem Schloss in Friedrichsruh füllen dicke Geschichtsbücher. Auch Bilder von dem stattlichen Kanzler gibt es viele. Doch wie hat sich seine Stimme angehört? Hat er schnell und hektisch oder langsam und bedächtig gesprochen? Davon kann sich nun jeder selbst überzeugen.

Zu verdanken ist dies Thomas Alva Edison, der nicht nur 1880 ein Patent für die erste Glühbirne anmeldete, sondern 1888 auch die sogenannte Wachswalze entwickelte. Mit ihrer Hilfe war es möglich, mehrere Minuten Ton aufzuzeichnen. Eine Sensation, die schon damals die zeitgenössische Presse mit der Bedeutung des Gutenberg Buchdruckes verglich.

Auf der Pariser Weltausstellung 1889 stellte der Amerikaner seine Erfindung erstmals vor. Sein Assistent Theo Wangemann reiste kurz danach durch ganz Europa. "Sein Auftrag war es, die Stimmen von berühmten Zeitgenossen aufzunehmen", erklärt von Seggern. Während sich beispielsweise der österreichische Kaiser Franz Josef (1830-1916) zierte, empfing Otto von Bismarck den Amerikaner mit offenen Armen auf seinem Schloss in Friedrichsruh. Ein Besuch, den auch die damalige Presse mit großem Interesse verfolgte. Die neue Preußische Zeitung schreibt am 9. Oktober 1889 detailliert darüber, mit wie viel Freude und Interesse sich der Kanzler die neue Erfindung aus Übersee vorführen ließ.

"Der Kanzler sprach den Wunsch aus, die so viel gerühmte Maschine kennen zulernen, welche inzwischen im Salon aufgestellt worden war. Der Kanzler hörte sogleich den Radetzky-Marsch, den am 14. September Musiker des Kaisers Franz-Regiments gespielt hatten", heißt es dort. Von seiner Frau Johanna ermuntert, wagte es der Kanzler schließlich selbst die Wachswalze auszuprobieren. Zunächst zitierte er das kleine amerikanische Volkslied "In good old colony times". Danach sprach er den Anfang des Uhlandschen Gedichtes "Als Kaiser Rotbart lobesam", folgend die erste Strophe von "Gaudeamus igitur". Scheinbar traute der mächtigste Mann Deutschlands seiner eigenen Stimme nicht. Der Apparat komme ihm beinahe vor, wie eine "Verwirklichung der Münchhausen-Geschichte, wo der Ton in dem Horn festfror und später aufzuthauen begann." Die Zeitung Germania wusste am gleichen Erscheinungstag zu berichten, dass auch die Fürstin großen Spaß an der neuen Erfindung hatte. Was genau sie jedoch auf die Rollen sprach, wird wohl eines der Geheimnisse der Geschichte bleiben. Johanna von Bismarck bat Theo Wangemann nicht nur um Diskretion, sondern auch darum die Rollen, vermutlich mit Scherzen besprochen, behalten zu dürfen.

Was alle deutschen Zeitungen nicht schrieben und nur die New York Times veröffentlichte: Der Kanzler soll auch den Beginn der Marseillaise, also die französische Nationalhymne, gesungen haben. "Diese vermutlich ironisch gemeinte Gesangseinlage durfte hierzulande vor dem Hintergrund der deutsch-französischen Erbfeindschaft niemand wissen", erklärt Historiker von Seggern.

Er und seine Kollegen hatten nicht mehr damit gerechnet, dass die Tondokumente, deren Existenz bekannt war, jemals wieder auftauchen würden. Und tatsächlich war es reiner Zufall. Als Mitarbeiter des Edison-Archivs in New Jersey in den 1960er Jahren die an den Arbeitsbereich angrenzende Schlafstube von Theo Wangemann aufräumten, entdeckten sie eine Schublade mit halb zerbrochenen Walzen. Zunächst konnten sie nichts damit anfangen, die Funde verschwanden wieder im Archiv. Erst jetzt ist es gelungen, die historischen Walzen wieder so aufzuarbeiten, dass sie der Nachwelt vorgespielt werden können - nach 123 Jahren. "Wir hoffen, dass wir dieses Dokument in einer Ausstellung in der Bismarck-Stiftung abspielen dürfen", sagt der Historiker.

Zu überbieten sei dieser Fund aus Amerika jetzt nur noch mit Filmdokumenten, auf denen Otto von Bismarck zu sehen sei, sagt von Seggern. Es geistere zwar eine kurze Filmsequenz durchs Internet, auf der angeblich der Kanzler durch das Bild schreitet. "Wir wissen aber, dass es nur ein verkleideter Schauspieler ist", so von Seggern.

Die Tondokumente können bereits auf der Internetseite der Stiftung ( www.bismarck-stiftung.de ) angehört werden. Und wer am Ende ganz genau die Ohren spitzt, hört, wie Otto von Bismarck 1889 seinem Sohn Herbert mit auf den Lebensweg gibt, beim Essen und Trinken immer das richtige Maß zu halten.