Köthel/Tangstedt. EU plant neue Regeln für Gentechnik in der Pflanzenzucht. Einige Landwirte begrüßen den Vorstoß, andere lehnen ihn ab. Die Gründe.
Dürreperioden, Hitzewellen und zu milde Winter stellen eine Herausforderung für die Landwirte in Stormarn dar. Weil ihre Arbeit und der Ertrag der Ernte vom Wetter abhängig sind, bekommen sie die Auswirkungen des Klimawandels unmittelbar zu spüren. Sorgt das Wetter für Ernteausfälle, kann das im schlimmsten Fall die wirtschaftliche Existenz der Höfe bedrohen. Zur besseren Anpassung an die veränderten Bedingungen beim Anbau sind klimaresilientere Pflanzen gefragt, die Trockenheitsphasen besser tolerieren und weniger krankheitsanfällig sind.
Eine Initiative der EU-Kommission setzt genau an diesem Punkt an. Es geht um neue genomische Verfahren, sogenannte NGT (new genomic techniques). Mithilfe dieser unterschiedlichen Methoden der Gentechnik kann das Erbgut gezielt verändert werden. Das Ziel ist die Entwicklung neuer Pflanzen, die den Anforderungen der Zeit entsprechen, ertragreicher sind und zur Reduzierung von Pestiziden und Dünger beitragen. Doch der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist in Deutschland verboten – noch.
Genmanipulierte Pflanzen wären nicht erkennbar
Wenn es nach den Vorstellungen der EU-Kommission geht, sollen NGT-Pflanzen, die ebenso gut durch natürliche Mutationen oder klassische Züchtung entstanden sein könnten, genauso behandelt und von diesem Verbot ausgenommen werden. Damit entfiele zudem die Pflicht zur Kennzeichnung als gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Verbraucher könnten dann nicht mehr erkennen, wenn sie bei der Produktion von Lebens- oder Futtermitteln zum Einsatz kommen.
Landwirt Frederik Grunwald aus Köthel sieht in den neuen Gentechniken den richtigen Ansatz. „Ich erhoffe mir wirtschaftlicher produzieren zu können“, sagt er. Es wäre ein „Riesenvorteil, wenn man Sorten hat, die aufs Wetter angepasst sind und nicht krank werden“. Durch den Einsatz der Genschere sei es möglich, sich schneller den Gegebenheiten anpassen. Grunwald: „Wir könnten auf jeden Fall mit weniger Produktionsmitteln gesündere Nahrung erzeugen.“ Und den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln reduzieren.
Für die konventionelle Züchtung vergeht zu viel Zeit
Trotz der Verheißungen, die NGT-Pflanzen versprechen, sieht Grunwald das Thema differenziert. „Man kann mit jedem Guten auch etwas Schlechtes erreichen“, sagt er. Mit der Verwendung der Genschere gehe eine große Verantwortung einher. Er halte es aber für falsch, sich den neuen Entwicklungen zu verschließen und von vornherein zu sagen: „Das will ich nicht.“
Auch Dirk Eylmann aus Großensee bewertet den Vorstoß der EU positiv. Er betreibt konventionelle Landwirtschaft, baut auf seinen Feldern Raps, Weizen, Gerste, Roggen, Lupinen und Mais an. Er sagt: „Beispielsweise der Weizen – das betrifft aber alle Früchte – wird so gezüchtet, dass das Ergebnis für uns möglichst optimal ausfällt.“ Aber das sei ein langwieriger Prozess. „Da vergehen fünf Jahre oder noch mehr.“
Keine Patente auf Gen-Saatgut wie in den USA
„Mein Wunsch ist eben, dass es bei der Züchtung schneller vorangeht, damit wir einen Weizen haben, der zugleich widerstandsfähig ist und weniger Pflanzenschutz benötigt.“ Befürchtungen, dass ein Patentschutz für Verhältnisse wie in den USA sorgen könnte, hegt Eylmann nicht. Dort gibt es Verträge, die Farmern verbieten, Samen aus eigener Ernte für die Aussaat zu verwenden, wenn sie von gentechnisch veränderten Pflanzen stammen. Sie sollen stattdessen neues Gen-Saatgut kaufen.
„In der USA ist der Farmer komplett von Firmen abhängig“, meint Eylmann. „Wir wollen hingegen selbst entscheiden, welche Pflanzen wir anbauen.“ In Deutschland gebe es keine Patente beim Saatgut. „Der Züchter hat den Vertrieb. Wenn ich die Sorte nachbaue, wird dafür eine Gebühr fällig.“
Für Peter Koll, Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Stormarn, besteht hingegen noch Klärungsbedarf. Er sagt: „Was ist mit Patenten? Es kann auch Situationen geben, wo man sagen muss, da schlägt das Pendel in die falsche Richtung aus.“ Abgesehen davon, dass die Genschere viel effizienter und zielgerichteter eingesetzt werden könne, sei die entscheidende Frage, ob NGT die Erträge der Landwirte sichern könnten. „Natürlich gibt es immer jemand, der das kritisch sieht oder Gefahren wittert, dass dürfen wir nicht einfach von der Hand weisen.“ Er gehe davon aus, dass die meisten Ökobauern die neuen genomischen Verfahren im Moment zu Recht ablehnten, „weil sie sich nicht in ein Abenteuer stürzen wollen“. Doch die herkömmlichen klassischen Züchtungsmethoden seien im Grunde nicht mit dem Klimawandel vereinbar.
Bio-Bauern ist Einsatz von Gentechnik weiterhin untersagt
Beim Einsatz der neuen Gentechnologie hat Dirk Eylmann keine Sicherheitsbedenken. „Da muss ich mich auf die Aussagen der Wissenschaft verlassen.“ Sollten NGT nicht zugelassen werden, könnte das zu einer Abwanderung der Züchter aus Europa und dem Verlust der Konkurrenzfähigkeit führen, befürchtet er. Die Deutschen gäben in Europa mit am wenigsten Geld für Lebensmittel aus. Er würde ein Bestehen der Kennzeichnungspflicht für alle gentechnisch veränderten Nahrungsmittel zwar begrüßen. „Aber das Gros der Verbraucher interessiert das nicht. Sie kaufen das, was am billigsten ist.“
In der Öko-Landwirtschaft ist der Einsatz von Gentechnik jeglicher Art verboten - und das soll sich nach dem Willen der EU auch nicht ändern. Rolf Winter, Geschäftsführer vom Bio-Gut Wulksfelde in Tangstedt, findet das richtig. Er sagt: „Dass ein Bio-Landwirt nicht begeistert davon ist, dass man an das Erbgut der Pflanzen geht, ist leicht zu begreifen.“ Winter sieht bei der herkömmlichen Züchtung ebenfalls ein großes Potenzial. „Wir sind dabei, viele neue Züchtungen zu bekommen, die resistent gegen Krankheiten sind oder mit einem größeren Wurzelwerk Nährstoffe besser aufnehmen können.“ Um solche Resultate zu erzielen, müsse man nicht am Erbgut der Pflanzen herumbasteln. „Meine Begeisterung dafür geht gegen Null.“
Der Knackpunkt sei, dass es einer Einführung durch die Hintertür gleichkomme, wenn die Manipulation der Gene für den Verbraucher nicht mehr erkennbar sei. Ein Etikettenschwindel. „Damit wäre einer Vermischung Tür und Tor geöffnet.“ Wenn man Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen herstelle, sollte man dazu stehen und dies dem Verbraucher nicht vorenthalten. „Egal welches Verfahren dabei angewendet wurde.“
Kein Widerspruch: Gentechnikfrei konventionell wirtschaften
Bernhard Stoll setzt als konventioneller Futtermittelhändler auf gentechnikfreies Futter. Stoll sitzt außerdem im Vorstand des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) in Berlin. Stoll übt deutliche Kritik am Entwurf der EU-Kommission. Er sagt: „Die EU-Kommission schickt sich an, nachhaltige Unternehmenswerte zu vernichten. Das ist ein Angriff auf die ‚Ohne Gentechnik‘- und die Bio-Wirtschaft, die zusammen allein in Deutschland für mehr als 30 Milliarden Euro Umsatz stehen.“ Und könnte für große Teile der konventionellen und der gesamten Bio-Landwirtschaft zur Gefahr werden, die gentechnikfrei wirtschaften wollten. Insbesondere dann, wenn sie sich in direkter Nachbarschaft von Flächen befinden, auf denen Gen-Saatgut ausgebracht wird.
Verbände warnen vor Ausbreitung der Gentechnik-Pflanzen
Peter Koll vom Kreisbauernverband Stormarn sagt: „Das Nebeneinander von Anbaumethoden wird für mich und vom Bauernverband in einer ersten Reaktion nicht infrage gestellt.“ Sicherlich müsse eine Abgrenzung diskutiert werden. „Aber man sollte nicht gleich den Teufel an die Wand malen.“
Agrar-, Umwelt- und Verbraucherverbände warnen davor, dass Gentechnik-Pflanzen künftig unerkannt in die Umwelt und Lebensmittel gelangen könnten. Ein Dilemma, das schon jetzt die Landwirte in zwei Lager spaltet: In jene, die sich viele Vorteile versprechen und andere, für die die unkalkulierbaren Risiken überwiegen. Nach eigenen Angaben beabsichtigt die EU „eine konsequente Überwachung der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen von NGT-Produkten“.
Das sind die neuen genomischen Verfahren
Mit der Genschere CRISPR/Cas kann das Erbgut gezielt verändert werden. Der Name ist abgeleitet von bestimmten Erbgutabschnitten (CRISPR) und dem Eiweißkomplex Cas. Er kann die DNA, auf der die Erbinformationen gespeichert sind, an einer ausgewählten Sequenz schneiden. So kann diese entfernt oder durch andere Sequenzen ersetzt werden. Die mit CRISPR/Cas erzielten Veränderungen sind dauerhaft und werden weitervererbt. Die gezielte oder ortsspezifische Mutagenese ist eine Methode, mit der spezifische Mutationen im Erbgut erzeugt werden, ohne dass artfremde Gene hinzugefügt werden. Noch präziser ist ein neues Verfahren der gezielten Mutagenese: Beim Genome Editing werden durch Punktmutation einzelne DNA-Bausteine umgeschrieben. Gene können an- oder ausgeschaltet, eingefügt oder entfernt werden. Bei der Cisgenese werden nur solche Gene vom Spender auf den Empfänger übertragen, die von gleichen, verwandten oder miteinander kreuzbaren Arten stammen.