Ammersbek. Trotz Aufnahmezusage der Bundesregierung müssen Afghanen im Iran ausharren. Dort drohen ihnen Hunger und Deportation.

Die beiden Afghanen Amir und Mawa (Namen geändert) können von Glück sagen, dass ihnen die Flucht nach Deutschland gelungen ist. Das Ehepaar lebt seit Februar 2022 mit seinen Kindern in Ahrensburg, doch es bangt um das Leben von Amirs Eltern und Geschwistern. Sie sitzen seit Anfang April im Iran fest. Täglich müssen sie damit rechnen, an die Taliban ausgeliefert zu werden. Seit das Terrorregime die Macht in Afghanistan übernommen hat, hat Deutschland mehr als 44.000 Afghanen die Aufnahme versprochen. Doch viele der ehemaligen Ortskräfte und ihre Familien warten noch immer darauf, dass die Bundesregierung ihr Versprechen einlöst.

Während viele von ihnen verzweifelt versuchen, sich zu retten, um Gefängnis, Folter und Tod zu entkommen, lässt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) seit Ende März die Aufnahmeverfahren für Afghanen pausieren. Grund sind Hinweise auf einen möglichen Missbrauch. Wann sie wieder aufgenommen werden, ist derzeit nicht bekannt. Für die Angehörigen von Amir und Mawa, die bereits im August vorigen Jahres schriftlich ihre Aufnahmezusage erhalten haben, eine Hiobsbotschaft, die sie an den Rand der Verzweiflung bringt.

Herzkranke Mutter braucht dringend Medikamente

Sonja und Adrian Borowski aus Ammersbek begleiten Amir und Mawa seit etwa einem Jahr. Sie sind so etwas wie die Paten der Familie, mit der sich inzwischen eine tiefe Freundschaft entwickelt hat. Die Borowskis helfen und unterstützen, wo sie nur können, bei Behördengängen, Arztbesuchen und im täglichen Leben.

Angesichts der prekären Lage von Amirs Eltern im Iran haben sie jetzt einen Spendenaufruf gestartet. Denn Amirs Eltern und Geschwistern ist das Geld ausgegangen. Die Familie ist akut von Hunger und Deportation bedroht und der schwer herzkranken Mutter geht es zusehends schlechter, weil sie die notwendigen Medikamente nicht bekommt. Es grenzt fast an ein Wunder, dass sie die Flucht Anfang April überlebt hat.

Unterstützer erwarten, dass die GIZ Initiative ergreift

Sonja Borowski berichtet, dass zuerst eine Schwester von Amir mit einem jüngeren Bruder in den Iran geflohen sei, weil die Taliban zu der Zeit alle unverheirateten Frauen ab 18 Jahren zwangsweise verheiratet hätten. Die Eltern blieben zunächst aufgrund der Erkrankung der Mutter mit zwei minderjährigen Geschwistern zurück. Bis die Lage zu brenzlig wurde, da selbst Verwandte zur Bedrohung wurden, weil sie zu den Taliban übertraten.

Sonja Borowski erlebt die Verzweiflung ihrer afghanischen Freunde hautnah mit. Sie sagt: „Sie haben panische Angst. Ich weiß, was das für die Familie bedeutet. Erst erteilt man ihnen eine Aufnahmezusage und macht ihnen die ganze Zeit Hoffnung, dass man sie aus dem Iran herausholt. Aber bislang geschieht das nicht.“ Die Hilfesuchenden hätten sich an die deutsche Botschaft in Teheran gewandt. Sie ist zuständig für die Ausstellung der für die Ausreise benötigten Papiere. Doch die habe sie an das Konsulat verwiesen. Um dort vorzusprechen, brauche man aber einen Termin. Und das könne dauern.

Ammersbekerin ließ sich am Telefon nicht abspeisen

Amir habe vor dem Abzug der Deutschen aus Afghanistan für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und später für die Welthungerhilfe gearbeitet, sein Vater sei ebenfalls für die GIZ tätig gewesen. Sonja Borowski erwartet, dass die Organisation sich für ihre ehemaligen Mitarbeiter verantwortlich fühlt. Sie sagt: „Amirs Vater hat sich zehn Jahre für sie eingesetzt und wird jetzt hängengelassen.“ Sie sehe die GIZ in der Pflicht, umgehend Rettungsmaßnahmen einzuleiten.

„Wir haben uns direkt an die GIZ gewandt. Am Telefon wurde ich vertröstet, dass man da zurzeit nichts machen könne.“ Sie gab nicht auf, verlangte beim dritten Telefonat mit derselben Auskunft das Gespräch mit dem Vorgesetzten. Doch erst als sie erwähnte, dass sie sich juristische Hilfe geholt habe, „klingelte plötzlich mein Telefon und ich hatte den zuständigen Sachbearbeiter am Apparat“. Er habe gesagt, „dass man nur mit dem Kopf unterm Arm überhaupt noch eine Chance hat“. Die Kriterien für einen Härtefall sieht die Ammersbekerin als erfüllt an. „Und wir können alles vorweisen, was wir brauchen, damit man die Menschen da rausholt. Sie wurden bereits geprüft, ihre Daten sind den deutschen Behörden sämtlich bekannt, jedes Familienmitglied wird mit einer eigenen Nummer geführt.“ Trotzdem gebe es immer wieder neue Nachfragen, zuletzt sei in Zweifel gezogen worden, dass eines der Kinder ein leibliches sei, weil die Mutter bei der Geburt bereits 51 Jahre alt gewesen sei. Doch das sei in Afghanistan völlig normal. „Ich dachte, das kann doch nicht deren Ernst sein. Obwohl sie gelistet sind, wird nur nach Gründen für eine Ablehnung gesucht“, sagt Adrian Borowski.

Der soziale Status liegt noch unter dem von Bettlern

Die Eltern seien nicht auf eigene Faust ausgereist, sondern hätten sich zuvor von dem Manager der GIZ das Okay zur Ausreise geholt. Adrian Borowski: „Die GIZ scheint so organisiert zu sein, dass sie vor Ort mehrere Manager hat, an die sich die ehemaligen Mitarbeiter wenden können.“ Im Iran hätten die Afghanen keine Aussicht auf Hilfe, dürften nicht arbeiten, die Kinder keine Schule besuchen. „Sie stehen auf der sozialen Stufe noch unter den Bettlern.“

Seine Frau ergänzt: „Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es den Kindern geht, seit Jahren müssen sie versteckt und in Angst leben.“ Bei einem Treffen mit ihrer afghanischen Patenfamilie und weiteren Geflüchteten habe sie Videos von Hinrichtungen und Auspeitschungen gesehen. „Das war entsetzlich.“

Adrian Borowski sagt: „Die Zusammenarbeit zwischen der deutschen Vertretung in Teheran und dem Auswärtigen Amt funktioniert seit zwei, drei Wochen nicht mehr.“ Viele Afghanen hätten keine Informationen darüber, dass das Aufnahmeprogramm ausgesetzt sei. „Wir haben unsere Aktivitäten vor Ostern gestartet. Am 14. April haben wir eine E-Mail ans Auswärtige Amt geschrieben.“ Das lässt sich Zeit mit einer Antwort. „Heute bekamen wir von der GIZ die Rückmeldung, dass das Auswärtige Amt sich nicht gemeldet hat.“

Ist die Familie gefährdet genug, um gerettet zu werden?

Eine Verzögerung, die Leben kosten kann. Der Ammersbeker sagt: „Der Teil der Familie, der bereits hier ist, hat sich hervorragend integriert. Das sind hochgebildete Leute, die studiert haben. Amir hat inzwischen erfolgreich ein Sprachzertifikat abgeschlossen.“ Es gehe jetzt nur noch darum, den Rest der Familie nach Deutschland zu holen. „Wir sind dann ja für sie da.“ Seine Frau sagt: „Wenn das Auswärtige Amt sie listet, übernimmt es die Kosten. Wenn es sagt, die sind nicht gefährdet genug, bleibt uns nur noch die Möglichkeit, sie irgendwie auf eigene Initiative nach Pakistan zu bringen.“

Die Kosten für eine solche Rettungsaktion schätzt sie auf mindestens 11.000 Euro. Hinzu kommen die Kosten, um die Familie am Leben zu erhalten. Ein Betrag, den die Ammersbeker nicht aus eigener Kraft stemmen können. Sie hoffen auf viele Unterstützer und haben einen Spendenaufruf auf der Plattform betterplace.me gestartet (https://www.betterplace.me/gemeinsam-leben-retten-bevor-es-zu-spaet-ist57). Auf ihrem Blog http://www.gemeinsamlebenretten.blog berichten die Borowskis über das Schicksal der afghanischen Familie.