Lübeck/Hamberge. Niels K. muss für zwei Jahre ins Gefängnis. Er zahlt der Familie freiwillig eine Entschädigung in Höhe von 50.000 Euro.

Zwei Jahre und drei Monate Haft ohne Bewährung wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs: So lautet das Urteil, das am Dienstag vor der III. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Lübeck im Raserprozess gesprochen worden ist. Drei Monate gelten wegen der langen Verfahrensdauer bereits als abgegolten. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gefordert, die Verteidigung für zwei Jahre auf Bewährung plädiert. Wie berichtet, hatte der im Dezember in erster Instanz verurteilte Niels K. gegen die damalige Strafe, drei Jahre Haft, Berufung eingelegt.

Niels K. hatte am Dienstag, 24. April 2018 um kurz vor Mitternacht mit seinem BMW den Smart der 30 Jahre alten Gülhan Abaci auf der Autobahn 1 Richtung Hamburg bei Hamberge mit einer Geschwindigkeit von mindestens 185 km/h gerammt. Auf dem betreffenden Streckenabschnitt ist Tempo 120 erlaubt. K. war stark alkoholisiert, hatte etwa zwei Promille und keinen gültigen Führerschein. Über mehrere hundert Meter erstreckte sich das Trümmerfeld. Gülhan Abaci starb an schwersten Verletzungen und inneren Blutungen.

Vater und Bruder der Verstorbenen waren nicht anwesend

Eines fiel gleich zu Beginn der Verhandlung auf: Im Gegensatz zum Prozess vor dem Lübecker Amtsgericht Ende 2021 waren der Vater und Bruder der Verstorbenen, die neben der Mutter als Nebenkläger auftreten, nicht vor Ort. „Sie können einfach nicht mehr“, begründete Nebenklägervertreterin Gabriele Heinecke die Abwesenheit ihrer Mandanten. Über vier Jahre mussten sie wegen erheblicher Verzögerungen warten. Der Prozess vor dem Amtsgericht habe sie sehr mitgenommen. Der Bruder habe ein ärztliches Attest vorgelegt, leide wie die Mutter an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Dass bereits am Dienstag das Urteil in der Berufungsverhandlung gefällt wurde und der geplante Fortsetzungstermin am Donnerstag ausfällt, liegt daran, dass Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung sich auf eine Beschränkung des Rechtsmittels geeinigt hatten. So wurden Einzelheiten, weil in der Erstverhandlung bereits geschehen, nicht erneut aufgerollt. Der Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis wurde unter Zustimmung der Staatsanwaltschaft fallen gelassen, weil das Delikt nicht das gewichtige in diesem Prozess sei.

Angeklagter wird der Familie ein Schmerzensgeld zahlen

Stattdessen ging es unter anderem um eine Schmerzensgeldzahlung des Angeklagten sowie den Schriftverkehr zwischen den Parteien. Bereits im Juni 2019 habe sein Mandant, so Verteidiger Hans-Joachim Gerst, der Familie die Hand ausgestreckt und über die Nebenklägervertreterin um eine Kontaktaufnahme gebeten, auf die keine Reaktion erfolgte.

Die Nebenklägervertreterin sah dies etwas anders, nannte taktische Gründe als mögliches Motiv. Im Juni 2019 sei mehr als ein Jahr nach der Tat ohne ein Wort der Entschuldigung verstrichen gewesen. Ob dieser Zeitspanne und des Zustandes der traumatisierten Familie sei sie nicht für eine Kontaktaufnahme bereit gewesen.

Familie hatte seit dem Unfall immense Kosten

Im April 2022, nach dem Prozess vor dem Amtsgericht, habe sich der Angeklagte erneut an die Familie gewandt und ein finanzielles Angebot in „beträchtlicher Höhe“ gemacht, so Gerst. Einen monatlichen Betrag von 500 Euro über drei Jahre bot Niels K. der Familie an.

Doch: „18.000 Euro sind 6000 Euro brutto pro Kopf. Das Angebot ist unangemessen“, so Heinecke. Die Kosten für die Beerdigung sowie die Reisen der Verwandtschaft aus der Türkei seien immens gewesen. Seit dem Unfall sei die Mutter der Verstorbenen arbeitsunfähig, von dem Geld der Haftpflichtversicherung kaum etwas übrig. Niels K. sei in der Geschäftsleitung des Familienunternehmens, verdiene 13.000 Euro brutto im Monat. Finanzielle Möglichkeiten seien vorhanden. Eine Entschädigungssumme von 50.000 Euro halte die Nebenklägervertreterin in Absprache mit ihren Mandaten für angemessen. Die Zahlung ebendieser Summe stellte Niels K. der Familie unabhängig vom Prozessausgang während des Prozesses auch in Aussicht.

Der Täter ist vor zwei Monaten Vater eines Sohnes geworden

Insgesamt zeigte sich der Angeklagte reumütiger als im ersten Verfahren, darin waren sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig. Im aktuellen Brief, in dem er auch die Entschädigung anbot, fand Niels K. Worte der Reue: „Ich habe Ihnen das Leid im ersten Prozess angesehen, es lässt mich nicht los. Die Schuld, die ich empfinde, ist unerträglich hoch. Was ich getan, habe, ist unverzeihlich. Ich werde meine Strafe niemals als verbüßt ansehen.“

Obgleich Richter Marcel Ernst den Vorwurf der taktischen Beweggründe nicht ausschloss, nahm er doch lobend zur Kenntnis, dass der Angeklagte die Familie unabhängig vom Urteil finanziell entschädigen will. Das spreche für echte Reue – und trug wohl auch zur Strafmilderung bei. Für den Angeklagten habe auch die günstige Sozialprognose und seine vorbildliche Aufarbeitung nach dem Unfall gesprochen. Er hat Therapien absolviert, beruflich Fuß gefasst. Vor zwei Monaten ist er Vater eines Sohnes geworden. Mit seiner Lebensgefährtin lebt er in einem Eigenheim in Barsbüttel.

Trotzdem wollten Richter und Schöffen den Täter nicht mit einer Bewährungsstrafe davonkommen lassen. Gegen den Angeklagten habe die Schwere der Tat und das extreme Maß der Fahrlässigkeit gesprochen. Niels K. habe so rücksichtslos gehandelt, dass seine Tat an der Grenze zum Vorsatz kratze. Er hat nun eine Woche Zeit, um in Revision zu gehen.