Hoisdorf. Am 23. Juni erfasst ein Auto in Großensee Diana-Isabel Freytag, ihren Mann und ihre Tochter. Seitdem ist nichts mehr, wie es war.

Es war ein kurzer Augenblick, der das Leben von Diana-Isabel Freytag und ihrer Familie aus Hoisdorf von der einen auf die andere Sekunde auf den Kopf stellte. Die junge Familie war gerade mit den Fahrrädern unterwegs zu einem Pferdehof, als ein Autofahrer sie mit voller Geschwindigkeit erfasste. Freytags Lebensgefährte Gordon Mohr und die gemeinsame Tochter Anouk wurden lebensgefährlich verletzt.

Die Zweijährige hat neurologische Schäden davongetragen. Ob sie sich jemals vollständig erholt, ist ungewiss. Doch eines ist sicher: Der Schicksalsschlag hat die Familie bis in Mark und Bein erschüttert. Noch lange werden sie mit den Folgen zu kämpfen haben. Immense Kosten kommen auf sie zu.

Von Auto angefahren: Vater und Tochter kämpfen ums Überleben

An den Tag des Unfalls vor mehr als zwei Wochen erinnert Diana-Isabel Freytag sich, als wäre er gestern gewesen. „Wir wollten zum Reiterhof Pferdeglück bei Großensee fahren“, sagt sie. „Ich weiß noch alles.“ Die Familie steht mit ihren Rädern, Tochter Anouk sitzt in einem Fahrradanhänger, auf dem Gehweg gegenüber dem Hof. Und dann ist da auf einmal dieses Auto, das erst Freytag selbst und dann ihren Freund und ihre Tochter erfasst. „Das kam absolut aus dem Nichts.“ Als sie das Auto auf sie zukommen sieht, denkt die 32-Jährige zunächst, der Fahrer wolle halten. „Dann ist mir klar geworden: Der ist ganz schön schnell. Er fuhr einen Begrenzungspfahl um. Da habe ich realisiert, dass das gerade nichts mit Anhalten zu tun hat.“

Als der Fahrer auf sie zufährt, springt sie zur Seite. Trotzdem wird ihr Fuß mitgerissen. So wie sie sich erinnert, bremst der Fahrer auch danach nicht, als er ihre Tochter und ihren Mann brutal verletzt, und korrigiert seinen Kurs nicht. Und: „Er ist meines Wissens danach auch nicht zu uns gekommen.“ Weil der Unfall direkt gegenüber dem Reiterhof passiert ist, sind glücklicherweise sofort Ersthelfer vor Ort. „Ich habe gefragt, was mit meinem Kind und meinem Mann ist“, erinnert Freytag sich.

Ersthelfer haben den Opfern vielleicht das Leben gerettet

Eine Frau befreit ihre Tochter aus dem Fahrradanhänger, bringt sie ins Reiterstübchen. „Ich bat darum, zu ihr gebracht zu werden“, so die Mutter. Denn selbst laufen kann sie nicht mehr. Vom lebensgefährlichen Zustand ihres Mannes bekommt sie zunächst nichts mit. „Als ich nach ihm fragte, sagte man mir, er blute am Arm. Ich dachte: Das ist nicht gut, aber es ist auch nicht schlimm.“ Doch als die Rettungssanitäter kommen, merkt sie, dass es um ihren Lebensgefährten ernst ist. „Er lag immer noch auf der Straße. Als ich nach ihm fragte, konnte oder wollte mir niemand wirklich etwas sagen.“

Mit Rettungshubschraubern wird die Familie in verschiedene Krankenhäuser gebracht, Gordon Mohr nach Lübeck, Mutter und Tochter sind mittlerweile in Hamburg. Noch am Tag des Unfalls wird Diana-Isabel Freytag operiert, ihre Tochter wird ins künstliche Koma versetzt, liegt nun auf der Intensivstation. Das Ausmaß der Verletzungen ist erschütternd: Diana-Isabel Freytag hat einen Sprunggelenkbruch und ein Mittelfußknochenbruch davongetragen. Zweimal ist sie bislang operiert worden.

Zwei Tage nach dem Unfall telefonierte das Paar erstmals miteinander

Im Gegensatz zu ihrem Mann und ihrer Tochter ist sie aber noch glimpflich davongekommen. „Mein Mann schwebte in akuter Lebensgefahr“, sagt sie. Er hatte schwere innere Blutungen. Unter anderem Becken, Oberschenkel und Schulterblatt sind gebrochen, teilweise sind die Brüche sehr kompliziert. Und: „Er hat tiefe Fleischwunden, die wegen des hohen Infektionsrisikos ein großes Problem sind“, so Freytag. „Im Moment kann er sich kaum bewegen.“ Mehrere Wochen oder Monate wird der 34-Jährige im Krankenhaus verbringen müssen, danach wird er Reha benötigen.

Zwei Tage nach dem Unfall telefonieren er und Diana-Isabel Freytag zum ersten Mal miteinander. „Er hat sofort nach unserer Tochter gefragt. Weil er selbst noch überhaupt nicht stabil war, habe ich versucht, ihn nicht zu belügen, aber ihm auch nicht zu große Sorgen zu machen.“

Tochter hat ein offenes Schädel-Hirn-Trauma erlitten

Tochter Anouk hat durch den Unfall ein offenes Schädel-Hirn-Trauma erlitten, heißt konkret: Der Schädel ist gebrochen. Auch beide Beine sind gebrochen. Was Freytag sehr belastet: „Sie hat neurologische Schäden erlitten.“ Momentan kann Anouk die Extremitäten bewegen, kann schlucken, husten, die Augen öffnen. Aber: „Sie fokussiert uns nicht, sie spricht nicht. Vor dem Unfall war sie ein Plappermaul, sie hat sehr viel und sehr gut gesprochen.“ In der kommenden Woche wird die Tochter in eine neurologische Rehaklinik verlegt. Dort werden Ärzte versuchen, Anouk zu helfen. Wie erfolgreich sie sein werden, wie gut sie sich erholen wird und ob Schäden zurückbleiben werden, weiß momentan noch niemand. „Sie hat gute Chancen, weil sie jung ist. Aber sicher ist nichts“, sagt die Mutter.

Mit der Situation kommt Diana-Isabel Freytag mal so und mal so zurecht. „Manchmal gelingt es mir, die Lichtblicke zu erkennen, zum Beispiel wenn Anouk eine kleine Sache wieder macht. Aber manchmal ist es auch die absolute Verzweiflung.“ Die Mutter versucht, ihre Tochter nicht mit der zu vergleichen, die sie vor dem Unfall war, sondern damit, wie sie gestern oder vorgestern war. Aber: „Es ist schwer. Es ist sehr, sehr schwer.“

Die Existenz der Familie ist bedroht

Weil die Verletzungen von Freytags Lebensgefährten so schwer sind, ist auch seine berufliche Zukunft ungewiss, was die Familie existenziell bedroht. Gordon Mohr hat einen Hausmeisterservice, leistet in seinem Beruf körperliche Arbeit. „Wir wissen nicht, wann und ob er das jemals wieder wird tun können“, so Freytag. Wie gut die Heilung verlaufen wird, was die Ärzte für Mohr tun können, ob Schäden bleiben, muss die Zeit zeigen. Was für die Partner momentan auch schwierig ist: „Wir werden uns sehr lange nicht sehen können“, so Freytag. Die junge Mutter ist aktuell schwanger mit dem zweiten Kind der Familie. „Ich habe Angst, dass ich die Schwangerschaft und möglicherweise auch die Geburt allein durchstehen muss“, sagt sie. Ein Jahr nach Anouks Geburt hat die Mutter wieder angefangen als Sozialarbeiterin zu arbeiten. Damals haben sich die Eltern die Betreuung geteilt. Wie es weitergeht, ist nun ungewiss.

Der Unfall hat die Familie nicht nur gesundheitlich und emotional schwer mitgenommen. Auch finanziell stehen schwere Zeiten bevor. Denn klar ist schon jetzt, dass die Folgen des Unfalls mit hohen Kosten verbunden sein werden. Was die Krankenkasse bezahlt und was nicht, ist noch ungewiss. Die Reha ihrer Tochter steht an. „Ich möchte, dass sie alles bekommt, was ihr helfen kann, egal, was es kostet“, sagt die Mutter.

Auf die Familie kommen immense Kosten zu

Auch für ihren Mann wünscht sie sich die bestmögliche Versorgung, die die Familie möglicherweise Geld kostet. „Es geht aber noch weit darüber hinaus“, sagt Freytag. Seit dem Unfall stehen ihre Eltern und Schwiegereltern der Familie bei, haben dadurch Verdienstausfälle. Sie werden auch in Zukunft bei der Betreuung von Anouk Unterstützung leisten, weil weder Mutter noch Vater momentan überhaupt laufen können.

Ihre Wohnung in Hoisdorf, die sich im ersten Stock befindet, ist nicht barrierefrei. Wahrscheinlich muss sie aufwendig und kostspielig umgebaut werden. Auch ein Auto, mit dem ein Rollstuhl transportiert werden kann, wird die Familie vermutlich brauchen. „Was da alles auf uns zukommt, weiß ich noch gar nicht.“ Um all diese Kosten zu stemmen, hat die Familie eine Spendenaktion ins Leben gerufen. „Es fühlt sich komisch an, fremde Leute um Geld zu bitten“, sagt Freytag. „Aber wir wissen im Moment nicht, wie es weitergehen soll.“ Auf der Internetseite gofund.me/ccb5190a kann für die Familie gespendet werden.

Schwerer Unfall in Stormarn: "Dankbar für alle, die an uns denken"

Für alle, die ihnen helfen und bereits geholfen haben, ist sie unendlich dankbar. Da geht es auch nicht immer ums Geld: „Freunde und Familie waren sofort an unserer Seite, haben sich um unsere Hunde gekümmert und alles getan, was sie konnten. Ich bin auch dankbar für alle, die nicht finanziell helfen, sondern eine Kerze anzünden, an uns denken und an unsere Tochter glauben. Ich glaube daran, dass das hilft. Ich habe jeder Person, die ich seit dem Unfall getroffen habe, von meiner Tochter und meinem Freund erzählt und darum gebeten, an sie zu denken.“

Seit dem Unfall treiben Freytag viele Sorgen und Ängste um: „Meine größte Sorge ist, dass meine Tochter schwere Schäden beibehält. Dass mein Lebensgefährte nicht mehr arbeiten kann, dass es seine Firma nicht mehr geben wird. Dass er, weil er so lange von uns getrennt sein wird, die Verbindung zu seiner Tochter verliert. Dass ich die Verbindung zu ihm verliere, weil ich ihn zu wenig sehe. Ich habe Angst, dass die Familie kaputt geht.“

Wie es zu dem Unfall gekommen ist, ist noch völlig unklar. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Wut und Unverständnis über das, was passiert ist, empfindet Diana-Isabel Freytag schon manchmal. Doch meistens versucht sie, nicht viele Gedanken an den Fahrer zu verschwenden. „Das Einzige, was ich möchte, ist, dass ich meine Familie wiederhabe.“