Glinde. Wiebke Exner kam schon früh mit Politik in Berührung. Ausgesucht hat sie der SPD-Landtagsabgeordnete Martin Habersaat.

Als Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter aus Reinbek, an einem Novembertag den Friseursalon an der Möllner Landstraße in Glinde betritt, ist Wiebke Exner nicht im Dienst. Der Politiker sucht nach einer Person, die seine Partei für die Wahl des Bundespräsidenten am 13. Februar ins Rennen schickt. Die Kolleginnen haben allesamt kein Interesse. Chefin Miriam Mebrius hat jedoch eine Idee und ruft kurzerhand ihre 48 Jahre alte Mitarbeiterin an. Und Exner zögert keine Sekunde, willigt sofort ein. „Das ist eine Auszeichnung für mich und wie ein Sechser im Lotto“, sagt die alleinerziehende Mutter aus Glinde. Tochter Marie ist acht Jahre alt und in der zweiten Klasse.

Mitte Dezember war es dann besiegelt, dass die Friseurin der Bundesversammlung angehört. Der Landtag bestimmte 27 Wahlleute, die Schleswig-Holstein in das Gremium entsendet. Neben Exner entscheiden zwei weitere Stormarner mit: der Ahrensburger Landtagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende der CDU, Tobias Koch, und Wirtschafts- und Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP).

Friseurin Wiebke Exner wählt den Bundespräsidenten

Nun geht es also in die Bundeshauptstadt für die Haarkünstlerin. Anreise einen Tag vor der Abstimmung mit Abendprogramm, dann Übernachtung im Hotel Berlin und schließlich die Wahl des Staatsoberhauptes an einem Sonntag. Exner war bislang zweimal in Berlin. „Ich bin total aufgeregt“, sagt sie vorausblickend. Der aktuelle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) will sich für fünf Jahre wiederwählen lassen. Einen Gegenkandidaten gibt es bislang nicht. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) machte sich jüngst dafür stark, dass erstmals eine Frau an die Staatsspitze rückt. Exner hat sich bereits festgelegt, sagt: „Ich will Herrn Steinmeier. Er redet Tacheles und ist auf dem Boden geblieben. Der Mann tut unserem Land gut, man kann ihm vertrauen.“ Verpflichtet, den Sozialdemokraten zu wählen, weil sie von der Partei ausgesucht wurde, ist die Friseurin übrigens nicht.

Die Glinderin ist an Politik interessiert, kennt sich in dem Bereich besser aus als bei Promi-Themen, erzählt sie. Das merkt man, wenn Exner Entscheidungsträger aufzählt, die sie schätzt und ihre Meinung begründet. Dazu zählt auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, ein Christdemokrat. „Daniel Günther hat mich während der Corona-Pandemie mit seinem Stil überzeugt.“ Sie erinnert sich an frühere Zeiten mit großen Sympathien für Oskar Lafontaine, als dieser noch der SPD angehörte, redet positiv über den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und dessen Rolle bei der deutschen Wiedervereinigung.

Friseurin aus Glinde ist mit der Politik groß geworden

Dass Exner sich so gut auskennt, kommt nicht von ungefähr. Sie ist mit der Politik groß geworden. Ihre Mutter Marietta Exner, inzwischen 88 Jahre alt, gilt als Grande Dame der Glinder SPD. Gleich zweimal fungierte die meinungsstarke Frau als Ortsvorsitzende. Sie traf Gerhard Schröder, Helmut Schmidt oder auch Willy Brandt, allesamt ehemalige Bundeskanzler aus Reihen der Sozialdemokraten. „Ich war schon als Kind dabei, wenn meine Mutter auf dem Markt am Stand für ihre Partei geworben hat und auch bei Neujahrsempfängen“, berichtet die Friseurin.

Ihre Mutter sei viel unterwegs gewesen, habe in der Regel zwei lange Abende pro Woche in Ausschusssitzungen oder auf anderen Veranstaltungen verbracht. Das will sie zwar nicht als Kritik verstanden wissen, doch schon wegen ihrer Tochter schließt Wiebke Exner ein solches Engagement aus. In die SPD ist sie nie eingetreten, bei Wahlen votiert sie allerdings stets für diese Partei, findet auch die Grünen gut.

Für die ersten beiden Wahlgänge ist die absolute Mehrheit nötig

Ein weiterer Grund, weshalb sie kein Parteibuch hat und das kommunalpolitische Geschehen aus der Distanz betrachtet: „So kann ich meckern, wenn mir etwas nicht passt.“ Mit ihrer Mutter diskutiert sie immer wieder über politische Themen, manchmal auch kontrovers. Sie haben ein inniges Verhältnis. Wenn Wiebke Exner in Berlin weilt, kommt ihre Tochter bei der Oma unter.

In der Hauptstadt werden 1472 Personen in der Bundesversammlung abstimmen, 736 Abgeordnete des Bundestags und genauso viele Menschen, die die 16 Landtage entsenden. Laut Grundgesetz ist für die ersten beiden Wahlgänge die absolute Mehrheit nötig, im dritten reicht eine einfache. Seit dem 19. März 2017 amtiert Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident. Er ist nach Gustav Heinemann und Johannes Rau der dritte SPD-Politiker in dieser Position. Das Amt wird überparteilich ausgeübt.

Glinderin möchte möglicherweise als Rentnerin auswandern

Für Wiebke Exner ist es ein großer Tag. Auch sie musste während Corona viel entbehren, war in Kurzarbeit mit finanziellen Einbußen und steckte sich mit dem Virus an. Die Friseurin, die das elterliche Haus übernommen hat, entdeckte während der Pandemie ein neues Hobby: Malen nach Zahlen. Für das kommende Jahr wünscht sie sich „mehr Normalität und vor allem Entspannung für Kinder“.

Ihr Ziel ist es, wieder nach Mallorca zu fliegen. Sie ist ein Fan der Balearen-Insel, eigentlich zweimal pro Jahr in Paguera. Dort lebt ihre beste Freundin. 1994 spielte Exner mit dem Gedanken auszuwandern. Es fehlte der Mut. Zwei Jahre später wagte ihre Kameradin diesen Schritt und hat es bis heute nicht bereut. „Es ist mein Traum, für eine gewisse Zeit nach Spanien zu gehen“, sagt Wiebke Exner. Womöglich werde sie diesen als Rentnerin umsetzen. Der spanischen Sprache ist die Glinderin mächtig.