Bad Oldesloe. Die Berliner Hera gestaltet eine triste Hochauswand in der Kreisstadt. Jugendliche aus der Umgebung beteiligen sich am Projekt.
Wer an die Hölk/Poggenbreeden-Hochhäuser in Bad Oldesloe denkt, verbindet damit nicht unbedingt etwas Schönes. Doch seit einer Woche entsteht an einer der tristen Hauswände ein Bild, das die Hässlichkeit der beiden sanierungsbedürftigen Plattenbauten in den Hintergrund rücken lässt. Die Berliner Künstlerin Hera nutzt den Beton als Leinwand. Nicht allein, sondern gemeinsam mit Kindern aus dem Block. Das Motto: „Farbe zeigen statt Grenzen ziehen“.
Wer von Süden aus die Segeberger Straße Richtung Hölk und Poggenbreeden hinauffährt, wendet seinen Blick lieber ab. Die zweckmäßigen Gebäude sind eine architektonische Katastrophe. Doch seit einer Woche ist es schwer, auf die Straße zu achten. Von der fensterlosen Fassade aus blickt ein Mädchen den Betrachter mit großen Kulleraugen an. In ihrer Hand hält sie eine Spraydose. Über ihr hockt ein Junge auf einem Absatz und malt mit einem Pinsel. Ein bisschen wirkt es so, als hätten sich die beiden selbst an die Wand gemalt. Acht Stockwerke hoch.
Die Künstlerin war schon weltweit im Einsatz
Doch die beiden Figuren kommen aus den Farbdosen von Hera. Die bekannte Berliner Streetart-Künstlerin, die mit bürgerlichem Namen Jasmin Siddiqui heißt, malte bereits in Städten wie Hamburg, Istanbul, Melbourne und in Palm Beach. Sogar in Nepal und Jordanien finden sich Spuren der Frau, die jetzt das Oldesloer Hochhaus verziert hat.
Hera war noch nie zuvor in Bad Oldesloe. Doch Orte wie den Hölk und Poggenbreeden kennt die Tochter eines Pakistaners und einer Deutschen nur zu gut. „Ich bin in Frankfurt am Main in einer Plattensiedlung aufgewachsen“, erzählt die 40-Jährige. Wer an einem solchen Ort groß wird, fühlt sich oft unsichtbar. Auch Jasmin Siddiqui ging das so. Beide Eltern waren berufstätig. In der Schule hatte sie mit Vorurteilen zu kämpfen. Mitschüler reduzierten sie auf ihre Hautfarbe. Das sorgt für Frust. Auch bei ihr. „Es gibt zwei Arten, damit umzugehen und Aufmerksamkeit für etwas zu bekommen, das nicht angeboren ist. Zerstören oder kreieren“, sagt Jasmin Siddiqui. Das brachte sie dazu, Dinge zu erschaffen: Kunstwerke aus der Spraydose auf Hauswänden.
In ihrer Freizeit kümmert sie sich um Kinder aus prekären Verhältnissen
Zunächst begann Siddiqui dem Wunsch ihrer Eltern folgend ein Studium in Kommunikationsdesign. Schnell merkte sie allerdings, dass sie ihre berufliche Heimat in diesem Bereich nicht finden würde. Stattdessen machte sie sich in der Graffitiszene einen Namen unter ihrem Pseudonym „Hera“, abgeleitet von der griechischen Göttin. Er verkörpert die Verwandlung von einem einst schüchternen Mädchen zu einer starken und selbstbewussten Frau.
Ihr Geld verdient die Berlinerin mit ihren Werken und Aufträgen. In ihrer Freizeit will sie Kindern und Jugendlichen aus prekären Verhältnissen zeigen, wie sie negative Gefühle in etwas schönes verwandeln können. 2014 war sie erstmals in einer syrischen Flüchtlingsunterkunft. Der Besuch zeigte ihr, wie wichtig es ist, gerade Kindern mit Migrationshintergrund einen Weg aufzuzeigen, sich auszudrücken. Seitdem organisierte und begleitete die Künstler zahlreiche Jugendprojekte. Wie jetzt am Hölk. Jasmin Siddiqui: „Die Jugendlichen lernen, dass man mit einer Spraydose auch etwas anderes machen kann, als den Hausmeister zu ärgern.“
Seit einer Woche malen die Jugendlichen fünf Stunden pro Tag
14 Kinder aus den Hochhäusern und der Umgebung beteiligen sich an dem Projekt, arbeiten gemeinsam mit der Künstlerin an dem „Piece“, wie ein Werk in der Szene genannt wird, oder sprayen und pinseln eigene Buchstaben und Figuren an eine der anderen Hauswände.
Hilfe bekommen sie dabei auch von Max Schubert: „Die Begeisterung ist groß und wir können uns vor Kindern kaum retten, die mitmachen wollen.“ Die jungen Künstler sind zwischen zehn und 15 Jahren alt und malen seit einer Woche jeden Tag. Angesetzt sind fünf Stunden pro Tag. „Meistens wird aber überzogen“, sagt Schubert, der immer wieder angesprochen und um Tipps gebeten wird, wie eine Line noch besser gezogen werden kann oder die Augen einer Figur noch besser zu Geltung kommen.
Abschlussfest am Sonnabend
Grundsätzlich waren die Teilnehmer frei in dem, was sie auf die Wände bringen wollten. Dennoch hat das Projekt „Farbe zeigen statt Grenzen ziehen“ auch eine tiefere Bedeutung. Zuvor tauschten sich die Jugendlichen, die meisten von ihnen haben einen Migrationshintergrund, über die eigenen Ausgrenzungserfahrungen aus. Gemeinsam wurden dann Methoden erarbeitet, sich dem Thema künstlerisch zu nähern. In diesem Prozess entstanden dann die Skizzen für die Wandgemälde, außerdem eine Inspirations-Grundlage für das Großgemälde der Künstlerin Hera.
Den Abschluss findet das Projekt in einem Nachbarschaftsfest an diesem Sonnabend, 30. Oktober, von 11.30 bis 16 Uhr. Um 12 Uhr wird Rapper Booz aus Hamburg ein Konzert geben. Der Eintritt ist frei.
Aus Schimmel-Hochhäusern werden Kunst-Hochhäuser
Unterstützt und organisiert wird das Nachbarschaftsfest vom Quartiersprojekt Plan B. Auch hier ist die Freude über die neuen Kunstwerke an den Hauswänden groß. „Das hat durchaus auch zu Diskussionen geführt. Nicht jeder hatte Verständnis dafür, dass dafür Geld ausgegeben wird“, sagt Quartiersmanagerin Maria Herrmann. Diese Stimmen seien aber eher von außerhalb und nicht aus den Blocks selbst gekommen.
Wie wichtig Kunst sein kann, beschreibt Maria Herrmann mit einem Gedankenspiel: „Bisher müssen sich die Kinder von Mitschülern vielleicht anhören, sie kämen aus den Schimmel-Hochhäusern. Jetzt sind es die Hochhäuser mit den tollen Kunstwerken von der bekannten Graffiti-Künstlerin Hera.“