Reinfeld/Wentorf. Künstler wollen bei ihren Auftritten in Wentorf, Reinfeld und Lübeck Spenden für Familien sammeln, die fast alles verloren haben.
Jedes Mal, wenn Brigitte Krämer aus Bad Bodendorf durch Ahrweiler fährt, hat sie das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Auch drei Monate nach der verheerenden Flut am 14. Juli ist das Ausmaß der Verwüstungen im Landkreis Ahrweiler deutlich sichtbar. In regelmäßigen Telefonaten berichtet Krämer ihrer Freundin, der Reinfelder Erzählerin Meike Kipper, von den Menschen, die die Katastrophe besonders schlimm heimgesucht hat. Schicksale, die Kipper so betroffen machten, dass sie überlegte, wie sie helfen könnte.
Erzähler werden von einem Musikertrio unterstützt
Mit zwei Kollegen, die ebenfalls Beziehungen ins Ahrtal haben, entwickelte sie die Idee, bei Erzählkonzerten Spenden für drei betroffene Familien zu sammeln. Dazu holte das Trio noch die Band Baben der Erde mit ins Boot. Das Vorhaben fand schnell Unterstützung: Die Martin-Luther-Kirche in Wentorf, die Matthias-Claudius-Kirche in Reinfeld und das Theater Fabelhaft in Lübeck stellen ihre Räume unentgeltlich zur Verfügung, Freunde und Bekannte halfen bei der Organisation.
Die Veranstaltungsstätten liegen in den jeweiligen Heimatorten der Erzähler. Neben Kipper sind das die Wentorferin Roswitha Menke und der Lübecker Jörg Steinkämper. Menke fühlt sich mit den Flutopfern durch ihre eigene Familiengeschichte verbunden, da einige ihrer Verwandten nach Vertreibung und Flucht in der Gegend eine neue Heimat gefunden haben. Sie sagt: „Nicht jeder kann mal eben ein paar Tage ins Ahrtal fahren und selbst anpacken.“ Manche Menschen fühlten sich mit einer unpersönlichen Geldspende unwohl. „Wir machen darum das, was wir am besten können und am liebsten tun: Menschen mit Geschichten und Musik Freude bringen.“ Im Falle von Steinkämper ist es die Familie seines Patenonkels, die durch die Flut fast alles verloren hat.
Bilder erinnern an die aus dem Zweiten Weltkrieg
Die Erzählkonzerte unter dem Titel „Oben bleiben!“ dienen so nicht nur dem Spendensammeln, sondern sollen auch helfen, den Mut in schwierigen Situationen nicht zu verlieren. Hoffnungs- und humorvolle Passagen dürfen daher auf dem Programm nicht fehlen. Denn Kipper ist überzeugt, dass „auch in der tiefsten Trauer ein Funken Humor hilft“. Die Band, bestehend aus Gitarrist Alf Babenerde, Christian Schällert am Piano und Daniel Haller an den Drums, nimmt den Erzählfaden auf und spinnt ihn in ihrer Musik weiter.
Über die Gespräche mit ihrer Freundin aus dem Ahrtal sagt Kipper: „Für sie ist es manchmal schwer, Worte zu finden, die transportieren, wie es sich anfühlt, wenn einfach nichts mehr da ist.“ Manche Gebiete erinnerten an Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg. Kipper berichtet, dass auch Krämers Heimatort, ein Stadtteil von Sinzig, betroffen ist. Krämer sei sich bewusst, wie viel Glück sie im Vergleich zu ihrem direkten Umfeld gehabt habe. Trotzdem habe sie unter den Folgen wie Stromausfall und Unterbrechung der Trinkwasserversorgung gelitten. Die Erzählerin sagt: „Sie hat sich mit Trinkwasserflaschen eingedeckt und Essen von einem dieser umherfahrenden Grillwagen geholt.“ Als es wieder Strom gegeben habe, habe Krämer Hilfstrupps organisiert und für andere Anträge auf Unterstützung und für Versicherungen geschrieben.
Nachbarn haben bereits aufgegeben
Kipper sagt: „Ursprünglich wollten wir ihren Nachbarn helfen.“ Doch diese hätten aufgegeben und ihr Grundstück verkauft. „Sie wollten einfach nicht mehr.“ Ein Helferverein habe ihr daraufhin den Kontakt zur Familie Lebon aus Sinzig vermittelt. Deren ganzes Grundstück sei von den Wassermassen verwüstet und Inventar sowie gesamte Installationen im Haus komplett zerstört worden. Alles müsse neu gemacht werden, damit das Haus wieder bewohnbar sei.
Krämer ist Gast beim Erzählkonzert in Reinfeld und wird das Publikum über die Situation der Lebons informieren. Über die Nacht ihrer Flucht berichtet Petra Lebon: „Wir mussten in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli schlagartig unser Haus gegen circa 2.10 Uhr wegen des Hochwassers verlassen. Das Wasser stand uns bis an die Oberschenkel, als wir aus dem Wohngebiet geflohen sind.“ Zu diesem Zeitpunkt habe sie nicht gewusst, ob sie das Haus wiedersehen würde. Als es dann so weit war, „waren mein Mann Guy und ich total geschockt und mussten erst einmal weinen“.
Ahrtal ist kein ausgewiesenes Hochwassergebiet
Keine Möbel, kein Inventar mehr – und keine Absicherung durch eine Gebäude-Elementarversicherung, „da wir in keinem ausgewiesenen Hochwassergebiet leben“. „Geblieben sind uns nur unsere Kleider. Gott sei Dank sind wir am Leben“, sagt Petra Lebon.
Die Familie hat beschlossen, um ihr Haus zu kämpfen, und einen Kredit aufgenommen, um die Sanierung bezahlen zu können. „Wenn alles gut geht, werden wir im Spätsommer nächsten Jahres wieder einziehen“, hofft Petra Lebon.
Die Künstler hoffen indes, dass das Publikum tatkräftig zeigt, dass die Welt auch nach drei Monaten noch an die Hochwasseropfer denkt. Denn Hilfe ist noch immer bitter nötig.
Termine und Spenden:
Wentorf: Donnerstag, 14. Oktober, 19 Uhr, Martin-Luther-Kirche, Reinbeker Weg 27.
Reinfeld: Freitag, 15. Oktober, 19 Uhr, Matthias-Claudius-Kirche, Matthias-Claudius-Straße 8.
Lübeck: Sonntag, 17. Oktober, 18 Uhr, Theater Fabelhaft, Schwartauer Landstraße 114–118.
Der Eintritt ist frei. Die Künstler lassen den Hut herumgehen und bitten die Besucher um Spenden ab 10 Euro zugunsten der drei von der Flutkatastrophe betroffenen Familien aus dem Ahrtal.
Für alle, die nicht kommen können, aber trotzdem helfen möchten, hat das Theater Fabelhaft ein Spendenkonto bei der Sparkasse zu Lübeck mit der IBAN DE50 2305 0101 0160 4553 58 eingerichtet. Bei Überweisungen muss als Verwendungszweck „Oben bleiben – Benefiz Flutopfer“ angegeben werden.