Bargteheide. Wie die gebürtigen Bosnier Elvis und Drazen Bogicevic ihre große Leidenschaft in geschäftlichen Erfolg verwandelt haben.
Eis geht immer. Das ist keine steile These, das ist eine Tatsache. Fragen Sie Ihre Kinder. Oder lieber nicht, sollte gerade keins vorrätig sein. Ansonsten vertrauen Sie einfach der Statistik. Rund achteinhalb Kilogramm Speiseeis gönnen sich die Deutschen im Schnitt pro Jahr. Mehr schlecken auf dem alten Kontinent nur die Nordeuropäer weg. Insbesondere die Esten, die angeblich sogar 12,5 Kilogramm verputzen.
In der Eisherstellung macht den Teutonen allerdings keiner was vor; mengenmäßig jedenfalls. 2019 wurden hierzulande insgesamt 635 Millionen Liter Speiseeis produziert. Da konnte nicht einmal Italien mithalten: Die Heimat der ungekrönten Eiskönige schaffte es mit 554 Millionen Litern nur auf den Ehrenrang.
Unilever ist der wichtigste Eisproduzent Deutschlands
Dass der Kampf um Marktanteile groß ist, lässt sich bei einem Jahresumsatz der Branche von weit mehr als einer Milliarde Euro leicht vorstellen. Wer vor deutschen Tiefkühltruhen mit Eis steht, hat regelmäßig die Qual der Wahl. Soll man sich ein Magnum am Stiel gönnen oder lieber gleich Dessert-Sorten wie Cremissimo und Viennetta in der Großpackung?
Mit seiner Marke „Langnese-Eis“ und einem Marktanteil von 30 Prozent ist Unilever der größte und wichtigste Eisproduzent Deutschlands. Da trifft es sich gut, dass die ebenfalls überaus beliebte US-Marke „Ben & Jerry’s“ ebenfalls zum Portfolio des niederländisch-britischen Imperiums gehört.
Viele Schwergewichte im Eisgeschäft
Nicht minder namhaft sind die anderen Schwergewichte im Eisgeschäft wie Bruno Gelato, Eisbär Eis, Froneri (Schöller), Gelato Classico oder Mars Wrigley. Ihnen Marktanteile abzujagen ist ein ambitioniertes Unterfangen. Aber nicht unmöglich. Das beweisen gerade die Brüder Elvis und Drazen Bogicevic. Seit Anfang Februar beliefern die beiden mit ihrem in Bad Oldesloe hergestellten „Elvis Eis im Glas“ sämtliche Famila- und Markant-Filialen in ganz Schleswig-Holstein.
„Anfang April vergangenen Jahres sind wir noch belächelt worden. Wenn ihr in einem Markt 60 Gläser pro Woche verkauft, seid ihr schon gut, hieß es“, berichtet Elvis Bogicevic. Nach 14 Tagen waren es aber je 800 in den Famila-Filialen Bargteheide und Bad Oldesloe. Wenig später durften sie zwölf Märkte des Kreises Stormarn von Reinfeld bis Reinbek beliefern. Mitte Januar waren es bereits 32 bis an die dänische Grenze.
1600 Gläser in zwei Wochen verkauft
Die Erfolgsgeschichte der Brüder beginnt mitten im jugoslawischen Bürgerkrieg der 1990er-Jahre. Als Söhne eines serbischen Vaters und einer bosnischen Mutter werden sie in der Grenzstadt Brcko geboren. In der Region gibt es viele Mischehen. Jahrzehnte haben orthodoxe Serben, katholische Kroaten und muslimische Bosnier in dem Vielvölkerstaat friedlich zusammengelebt. Bis das einst sozialistische Land nach dem Tod des Staatsgründers Josip Broz Tito zerfällt.
Sieben Jahre von der Mutter getrennt
Angeheizt durch eine schwere Wirtschaftskrise Anfang der 1980er-Jahre brechen latente nationalistische Tendenzen in den einzelnen Teilrepubliken wieder auf. Erst kommt es zum Streit über die Verteilung der Finanzmittel. Dann schüren Bestrebungen zur Errichtung eines „Großserbiens“, das auch Teile von Kroatien und Bosnien umfassen sollte, Hass und Missgunst unter den ethnischen Gruppen. Der Krieg teilt nicht nur das Land, auch Familien. Als 1992 der Bosnien-Krieg ausbricht, weilt Nadira, die Mutter von Elvis und Drazen Bogicevic, gerade in Deutschland. „Sie besuchte eine gute Bekannte, die ihr auf der Suche nach Arbeit und einem neuen Leben helfen sollte“, erzählt Elvis. Als Muslima habe sie sich in der Heimat nicht mehr sicher gefühlt.
An eine Rückkehr nach Bosnien ist angesichts der gewaltsamen Übergriffe auf die muslimische Bevölkerung schon bald nicht mehr zu denken. Das Massaker von Srebrenica, als im Juli 1995 innerhalb einer Woche mehr als 8300 muslimische Bosnier von christlichen Serben getötet wurden, gilt bis heute als das größte Verbrechen des Bürgerkriegs auf dem Balkan. Für Elvis und seinen Bruder Drazen bedeutet er eine lange Trennung von Mutter Nadira. Bis die beiden sie wiedersehen, werden sieben lange Jahre vergehen. Vater Peter ist derweil mit ihnen ins serbische Novisad gezogen. Dort wachsen die Kinder, von den Gräueln des Krieges weitgehend abgeschirmt, auf.
Die Eiskarte hoch und runter gefuttert
Doch die Sehnsucht nach der Mutter wächst mit jedem Tag. 1999 ist es dann so weit: Die Brüder dürfen nach Deutschland reisen, um ihre Mutter zu besuchen. Die wohnt inzwischen in Stormarns Kreisstadt Bad Oldesloe und arbeitet im Eiscafé „San Remo“.
Die Jungs, damals zwölf und 16 Jahre alt, sind von dem geschäftigen Treiben und dem Ambiente sofort begeistert. Am meisten natürlich von den zahlreichen Eiskreationen. „Wir kannten so etwas aus Serbien nicht. Da gab es im Prinzip nur Eis am Stiel“, berichtet Drazen. „Also haben wir die Karte hoch und runter gegessen, es war einfach wie im Paradies“, erinnert sich Elvis. Vor allem die „Copa Cabana“ habe es ihm angetan: „Ich war wirklich völlig verrückt danach“.
Einstieg als Tellerwäsche und Kellner
Es ist eine Erfahrung, die beide nicht mehr loslassen wird. 2002 beschließen sie, ihrer Mutter nach Deutschland zu folgen. Elvis, der in Serbien noch eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker durchlief, arbeitet anfangs als Lagerist und Kommissionierer beim Otto Versand. Doch viel lieber hilft er im „San Remo“ aus: als Tellerwäscher, Kellner, in der Eisküche.
„Ich spürte, dass mich diese Welt viel mehr interessierte und inspirierte als alles andere“, sagt er. Als sich 2006 die Chance eröffnet, beim Eiscafé La Piazza in Bargteheide als Teilhaber einzusteigen, lässt er sich nicht zweimal bitten. Auch wenn Mama Nadira dringend davon abrät.
Elio Giacomin – Freund und Lehrer
Zwei Jahre später übernimmt Elvis den Laden ganz. Und kann ihn nun vollkommen nach seinen Vorstellungen gestalten. „Ich wollte mich schon immer selbstständig machen. Diese Gelegenheit konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen“, sagt er. Zentrale Lage, viele Stammkunden, wenig Konkurrenz – die Ausgangsbedingungen seien einfach zu verlockend gewesen.
Die Entscheidung erweist sich als richtig. Die alten Stammkunden bleiben, viele neue kommen hinzu. Als 2018 das San Remo in Bad Oldesloe zum Verkauf steht, greift Elvis Bogicevic wieder zu: „Am San Remo hingen so viele schöne Erinnerungen. Außerdem war Inhaber Elio Giacomin längst zu einem guten Freund geworden. Vieles, was ich über das Eismachen weiß, habe ich von ihm gelernt. Er war fast wie ein zweiter Vater für mich.“
Publikumspreis bei der Gelatieri-EM 2017
Dass die Brüder ihr Handwerk tatsächlich beherrschen, beweisen sie auch im Dezember 2017. Bei der Europameisterschaft der Gelatieri, der besten Eismacher des Kontinents, in Florenz holen sie den begehrten Publikumspreis. „10.000 Testesser haben ihre Stimme abgegeben und unser cremiges Joghurteis, garniert mit einer Mischung aus frischen und kandierten Erdbeeren sowie Cookies zur beliebtesten Kreation gekürt“, erzählt Drazen.
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Auch zu Hause läuft das Geschäft mit dem eisigen Gaumenkitzel prächtig. Bis die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 Deutschland erreicht. „Der 17. März war auch für uns ein Schock“, gesteht Elvis. Erst alles völlig dichtmachen zu müssen und im Sommer nur die Hälfte der Sitzplätze anbieten zu können, habe das Familienunternehmen hart getroffen. Nach den langen kalten Wintermonaten sei der Frühling eine Hochzeit für jedes Eiscafé. „Wir haben da rund ein Drittel unseres Jahresumsatzes eingebüßt, das kannst du nie wieder aufholen“, sagt Drazen.
Der Lockdown hatte auch etwas Gutes
Der Corona-Lockdown habe unterdessen auch etwas Gutes gehabt. „Wir konnten endlich Projekte voranbringen, für die der Alltag sonst kaum Zeit ließ“, sagt Elvis. Etwa zu renovieren und für neues Mobiliar zu sorgen. Vor allem aber, um alternative Absatzmöglichkeiten für ihr Eis zu schaffen. „Das hat uns schon lange beschäftigt. Nun eröffnete sich die Gelegenheit, unsere Ideen endlich umzusetzen“, so Elvis.
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Noch im März ordern die Brüder bei einem Hamburger Großhändler zwei große Kühlschränke mit gläserner Front und handliche 200-ml-Gläser. „Das erwies sich noch als das kleinste Problem“, sagt Elvis. Denn alle Anfragen bei mehreren großen Einzelhandelsketten zur Aufstellung der Eisschränke sind anfangs ins Leere gelaufen. Zu dieser Zeit habe es „null Feedback“ gegeben, weil alle Supermärkte und Discounter nur damit beschäftigt gewesen seien, die riesigen Löcher durch die permanenten Hamsterkäufe der verunsicherten Kunden zu stopfen.
Start mit zwei Kühlschränken bei Famila
Bis sich dann doch eine Tür beim Kieler Einzelhandelsmulti Bartels-Langness (Bela) öffnet. Über deren Unternehmen Backring bestellen die Brüder seit Jahren ihre Zutaten. Nun genehmigt Bela „testweise“ die Aufstellung von je einem Kühlschrank in den Famila-Filialen Bad Oldesloe und Bargteheide. Mit durchschlagendem Erfolg.
„Natürlich waren wir von unserem Eis überzeugt. Doch ob wir neben den großen Marken wie Langnese, Ben & Jerrys und Häagen-Dazs bestehen können, war alles andere als gewiss“, sagt Elvis. Die handwerkliche Qualität und die Platzierung ihres Eises als regionales Produkt sei von den Leuten aber offenbar goutiert worden.
King of Rock ‘n’ Roll stand nicht Pate
Dazu hat wohl auch der Name „Elvis Eis“ beigetragen. „Nachdem bereits die beiden Eis-Cafés umbenannt worden sind, war es nur konsequent, auch das über die Supermärkte vertriebene Eis unter dieser einprägsamen Marke zu vertreiben“, sagt Susan Häder, in dem kleinen Familienunternehmen für die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing zuständig. „Corporate Identity“ nenne sich das Neudeutsch und sei für solch einen kleinen Betrieb heutzutage ebenso wichtig wie für einen multinationalen Global Player.
Insofern ist Elvis Bogicevic für seinen Vornamen noch immer dankbar. Selbst wenn er mitnichten nach dem legendären King of Rock ’n’ Roll, Elvis Presley, benannt worden sei. „Könnte ich jetzt leicht behaupten, stimmt aber nicht“, sagt der Namensvetter aus Bargteheide: „Die schlichte Wahrheit ist, dass mich meine Mama nach einem niedlichen Jungen aus unserer Straße in Brcko benannt hat.“
Biscotto Napolitano ist der Bestseller
Eine nicht zu unterschätzende Rolle für den Erfolg spiele sicher auch die „Elvis Eis“-Präsentation. „Ein besonderes Produkt verdient auch eine besondere Verpackung“, sagt Susan Häder. Man habe eben nicht der nächste Anbieter mit Eis in irgendeiner Plastikschale sein wollen, sondern „bewusst anders“.
Längst haben sich Elvis und seine Mitstreiter ein deutliches größeres Stück vom umkämpften regionalen Eis-Kuchen gesichert als jemals erwartet. Zum absoluten Bestseller unter den aktuell sechs Sorten im Glas ist das Biscotto Napolitano geworden, ein Milcheis mit Nuss-Nougat-Soße und Biskuitkeksen.
Exklusivvertrag mit Bela abgeschlossen
Der steigende Absatz der Eismarke aus dem Herzen Stormarns hat sich inzwischen herumgesprochen. So gab es unter anderem Anfragen von Rewe und Edeka. Die aber (vorerst) das Nachsehen haben. Denn unlängst hat Elvis Eis einen Exklusivvertrag mit Bela abgeschlossen für die Belieferung von bis zu 120 Famila- und 16 Markant-Märkten sowie diverse Tankstellen.
Derzeit entsteht im Gewerbegebiet Bargteheide eine neue Produktionsstätte, weil die aktuelle Eisküche in Bad Oldesloe trotz Corona-Sperre für die beiden Cafés mit einer Tagesleistung von 1000 Litern Eis längst an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen ist. Statt derzeit fünf Maschinen sollen von Mai an in Bargteheide künftig doppelt so viele für einen täglichen Ausstoß von 2000 Litern Eis sorgen.
Neue Cafés in Ostseebädern geplant
Hatte das Unternehmen Eis Elvis vor dem zweiten Corona-Lockdown schon 27 Mitarbeiter, so werden es dann mindestens 35 sein. Vorerst. Denn die Bogicevic-Brüder haben eine kühne Vision: Bis 2040 soll in jedem Jahr ein neues Eis-Café eröffnet werden, bevorzugt in den Ostseebädern. „Wir wollen uns Stück für Stück gen Norden vorarbeiten. Da ist es wichtig, durch das Eis im Glas als Marke schon präsent zu sein“, sagt Elvis.
Den Anfang haben sie im Vorjahr mit der Übernahme der ehemaligen Rathaus-Lounge in Bargteheide und einem Mietvertrag für zehn Jahre plus Option auf Verlängerung bereits gemacht. Ende März ist die Expansion nach Hamburg geplant. Erst einmal mit dem Eis im Glas in vier Markant-Märkten. Und wann folgt das erste Elvis-Café zwischen Elbe und Alster? „Schau’n wir mal“, sagt Elvis Bogicevic mit einem vielsagenden Lächeln.