Barsbüttel. Ein Haus in Barsbüttel steht auf belastetem Boden. Durch austretende Gase entstehen metergroße Löcher. Die Hintergründe.
Manfred Schettler ist fassungslos. Im Garten des 80-Jährigen, dort, wo bis vor wenigen Wochen die Terrasse war, klafft jetzt ein großes Loch. „Einfach abgesackt“, sagt der Barsbütteler. Es ist nicht die einzige Stelle: Hinter dem Haus gibt es einen weiteren Krater, auf dem Weg direkt neben der Eingangstür. „Da könnte glatt der Postbote drinnen verschwinden“, sagt der Rentner und bemüht etwas Galgenhumor.
Für die Schäden macht Manfred Schettler das Land Schleswig-Holstein verantwortlich. „Dieses Grundstück wurde mir unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verkauft“, sagt er. Vom Land fordert er deshalb, dass es für die Beseitigung des Schadens aufkommt.
Die Immobilie sollte den Barsbütteler im Alter finanziell absichern
Seit 20 Jahren lebt Manfred Schettler mit seiner Frau Esperanza in dem Haus. Im November 2000 erwarb er die 99 Quadratmeter große Doppelhaushälfte in der Siedlung Ellerhoop am südlichen Ortsrand von Barsbüttel von der Landesgesellschaft Schleswig-Holstein (LGSH), einem Tochterunternehmen des Landes.
323.000 D-Mark bezahlte er damals für das Grundstück an der Straße An der Barsbek, umgerechnet etwa 165.000 Euro. Die Immobilie sollte den Barsbütteler im Alter finanziell absichern. Doch seitdem entwickelte sich die Investition für den 80-Jährigen zum Fiasko.
Seit 2010 ist bereits dreimal die Abwasserleitung gerissen
Denn es ist nicht das erste Mal, dass sich auf Schettlers Grundstück plötzlich Löcher auftun. Wieder und wieder, so erzählt der Barsbütteler, habe er Handwerker beauftragen müssen, um die Löcher zu stopfen, die Schäden an Weg und Haus zu beheben. Welche Summe ihn das gekostet hat, kann der Rentner nicht mehr sagen.
„Mal war es die Treppe vor der Haustür, die plötzlich Schieflage hatte, mal die Kasematten vor den Kellerfenstern, die einen halben Meter aus der Erde rausstanden“, sagt er. Seit 2010 sei bereits dreimal die Abwasserleitung gerissen, weil sich der Boden auf dem Grundstück so stark gesenkt habe.
Zwischen 1954 und 1966 wurde das Gelände als Mülldeponie genutzt
„Früher habe ich Vieles selbst gefixt, aber das kann ich jetzt nicht mehr“, sagt der 80-Jährige. Der Grund für die eigenwillige Dynamik des Erdreiches liegt in der Vergangenheit des Areals begründet. Sie markiert eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Gemeinde Barsbüttel. Zwischen 1954 und 1966 hatten die Hamburger Stadtreinigung und andere Unternehmen das Gelände als Mülldeponie genutzt. Ende der 1970er-Jahre wurde die sogenannte „Deponie 78“ schließlich mit Erde aufgefüllt und es entstanden etwa 170 Wohnhäuser auf dem Areal, darunter auch das Doppelhaus von Manfred Schettler.
Ein Großteil der Siedlung wurde abgerissen
Doch 1986 stellte sich heraus, dass auf dem Gelände auch Chemieabfälle entsorgt worden waren. Deren gesundheitsschädliche Zersetzungsprodukte, darunter Methan und andere Gase, drangen von unten in die Keller ein. Die entstandenen Hohlräume führten dazu, dass der Boden sich mancherorts drastisch senkte.
Was folgte, war ein Skandal, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Die Siedlung wurde evakuiert, ein Großteil der Häuser abgerissen. 20 Jahre blieb das Areal eine Geisterstadt, während das Gelände saniert wurde. Erst ab der Jahrtausendwende konnte die Siedlung wieder bewohnt werden. Bis heute saugen Pumpanlagen überall in der Siedlung Gas ab.
Beim Kauf erhielt der Barsbütteler „einen ganzen Stapel“ Gutachten
Das Haus von Manfred Schettler ist eines der wenigen, die nicht der Abrissbirne zum Opfer fielen, sondern die lediglich saniert wurden. „Natürlich wusste ich beim Kauf um die Geschichte des Areals“, sagt er. Doch die LGSH habe dem Kaufvertrag damals „einen ganzen Stapel“ mit Gutachten beigelegt, die beweisen sollten, dass weder gesundheitliche noch bauliche Schäden zu befürchten seien. „Man denkt ja nicht, dass das Land und die Behörden einen betrügen“, sagt er.
„Das ganze Ausmaß lässt sich nur erahnen“
„In dem Vertrag ist die Rede davon, dass eine Absenkung des Bodens um maximal 34 Zentimeter in den ersten 30 Jahren möglich ist, mehr aber nicht“, sagt Schettler. Doch davon könne inzwischen keine Rede mehr sein. Die aktuellen Löcher seien mehr als 1,60 Meter tief und hätten mehrere Meter Durchmesser.
Schettler befürchtet, dass weitere Teile seines Grundstücks unterhöhlt sein könnten. „Das ganze Ausmaß lässt sich nur erahnen, ohne den Gehweg aufzureißen“, sagt er. Auch um sein Haus sorgt sich der Barsbütteler, sagt: „Noch hält alles, aber wer weiß, wie lange?“
Schadenersatzforderungen wurden stets abgeschmettert
In den vergangenen zehn Jahren hat Manfred Schettler wiederholt Schadenersatz gefordert. Doch die LGSH habe das „jedes Mal abgeschmettert“. Der Senior sagt: „Sie berufen sich auf einen Paragrafen des Kaufvertrages, nach dem ich keine Ansprüche stellen darf.“
In dem Dokument, das dem Abendblatt vorliegt, heißt es: „Der Käufer erklärt, dass er keine Ansprüche gegen die Schleswig-Holsteinische Landesgesellschaft mbH, das Land Schleswig-Holstein oder Dritte stellen wird, die sich aus der besonderen Situation des Grundstücks ergeben.“
Gemeinde sieht sich nicht zuständig
„Die Gemeinde sieht sich nicht zuständig und ein Gutachter hat die Absenkung für nicht erheblich genug befunden“, erzählt der Barsbütteler frustriert. Bis vor den Petitionsausschuss des Landtages habe er das Anliegen gebracht. Doch auch der habe ihn abgewiesen. „Man hat mir geraten, den Klageweg zu gehen“, sagt Schettler. Doch dafür fehlten ihm Geld und Nerven. Auch Umziehen komme nicht infrage. „Dafür bin ich inzwischen zu alt“, sagt der 80-Jährige. Schettler denkt deshalb darüber nach aufzugeben. Die beiden Löcher an der Terrasse und im Gehweg will er nun auf eigene Kosten mit Sand auffüllen lassen. „Es ist ärgerlich, aber was soll man machen?“, sagt Schettler.
Die Schleswig-Holsteinische Landgesellschaft wollte sich nicht zu dem Fall äußern. „Das Verfahren Barsbüttel, das wir um die Jahrtausendwende im Auftrag des Landes durchgeführt haben, ist bei uns seit vielen Jahren abgeschlossen“, teilte das Unternehmen auf Anfrage der Redaktion mit.