Ahrensburg. Sie nahm Geld ihrer Kunden, um Schulden zu tilgen: Gericht verurteilt 54-Jährige wegen Untreue und Betrugs zu einer Freiheitsstrafe.
Die ehemalige Inhaberin zweier Reisebüros in Ahrensburg und Schwarzenbek muss hinter Gitter. Das Schöffengericht in Ahrensburg hat die 54 Jahre alte Geschäftsfrau wegen gewerbsmäßiger Untreue, gewerbsmäßigen Computerbetrugs und Betrugs in insgesamt 30 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. „Eine Bewährungsstrafe wäre in diesem Fall nicht das richtige Zeichen“, sagt Richter Ulf Thiele in der Urteilsbegründung.
Ein Grund: Die Frau wurde in der Vergangenheit bereits zweimal wegen ähnlicher Delikte verurteilt, ein weiteres Verfahren wurde nach drei Verhandlungstagen eingestellt. Trotz dieser „Warnschüsse“ habe sie unbeeindruckt weitere Taten verübt, so der Richter.
Kunden um mehr als 74.000 Euro betrogen
Die Geschäftsfrau hatte mehrfach Geld, das Kunden für gebuchte Reisen in bar gezahlt oder auf das Konto des Reisebüros überwiesen hatten, nicht an den jeweiligen Reiseveranstalter oder die Fluggesellschaft weitergegeben, „sondern anderweitig eingesetzt“, wie Staatsanwalt Felix Schwetzko sagt. Zudem nutzte sie die Konto- und Kreditkartendaten ihrer Kunden, um damit die Reisekosten anderer Kunden zu bezahlen, deren Geld sie bereits ausgegeben hatte.
Einige Opfer verloren vierstellige, andere sogar fünfstellige Summen. Insgesamt soll die Frau zwischen Juni 2015 und Februar 2018 auf diese Weise mehr als 74.000 Euro unrechtmäßig erlangt haben. „Sie wollte sich eine Einnahmequelle für eine gewisse Zeit erschaffen und Regressansprüche von Kunden abwenden“, sagt Schwetzko.
Angeklagte war zweimal nicht vor Gericht erschienen
Mit zitterndem Körper und unruhigen Händen sitzt die Geschäftsfrau auf der Anklagebank, ihr Atem geht schnell, ihre Füße tippeln auf dem Boden. Ihre langen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden, den Blick fast durchgehend gesenkt. Zweimal war sie zuvor nicht zur Hauptverhandlung erschienen. Der Richter hatte deshalb einen Haftbefehl erlassen und sie zur Fahndung ausgeschrieben. Seit November sitzt die Ahrensburgerin nun in Haft, Justizwachtmeister brachten sie in den Gerichtssaal.
Die Reisebüro-Chefin räumt die Taten ein, die Erklärungen kommen allerdings nur stockend. „Ich schaffe das nicht“, wiederholt sie immer wieder. Sie leide seit knapp zwei Jahren unter Depressionen, Panikattacken und Angstzuständen.
Geschäftsfrau wollte „finanzielle Löcher stopfen“
Ermutigt durch ihren Verteidiger Kemal Su beginnt sie von ihrer Mutter zu erzählen, die 2008 mit den Reisebüros Insolvenz anmelden musste. Anschließend führten beide die Geschäfte gemeinsam, bis die Mutter 2012 wegen einer Krebserkrankung nicht mehr arbeiten konnte. „Ich musste die Buchhaltung übernehmen“, sagt die 54-Jährige. „Das wurde mir zu viel. Ich war überfordert.“ Irgendwann habe sie die Mitarbeiter und die Mieten nicht mehr bezahlen können.
Um die „finanziellen Löcher zu stopfen“, habe sie mit den Straftaten begonnen. „Ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen“, sagt sie. „Ich wollte es ja zurückzahlen.“ 2018 sei ein gutes Jahr mit vielen Buchungen und Vorbuchungen für 2019 gewesen. „Da hätte ich richtig viel Provision eingenommen“, sagt sie. Zudem habe sie die Kosten durch die Schließung des Geschäfts in Schwarzenbek reduziert. Doch die Pläne gingen nicht auf.
Die Ahrensburgerin hat rund 100.000 Euro Schulden
Sie habe oft Panik gehabt, aber mit niemandem darüber reden können. „Ich weiß, dass ich Mist gemacht habe“, sagt die Angeklagte. Sie habe doch nur das Unternehmen ihrer Mutter retten wollen. Sie habe kein Luxusleben geführt, betont die Ahrensburgerin, die mittlerweile von Harz IV lebt. „Ich habe das Geld genutzt, um Löhne, Mieten und Lebensmittel zu bezahlen.“
Laut ihrem Verteidiger Kemal Su hat sie derzeit rund 100.000 Euro Schulden. Ihr ehemaliger Freund, mit dem sie acht Jahre zusammen war, erzählt als Zeuge vor Gericht, dass sie auch ihn belogen und betrogen habe. „Sie schuldet mir 46.500 Euro“, sagt der 56-Jährige. Sie habe Geld für Reisebuchungen, das sie nicht bezahlen konnte, über sein Konto einziehen lassen. Anfangs habe er das geduldet, wohl aus „Verliebtheit“, wie er sagt.
Ex-Freund: „Auch ich wurde bestohlen“
Erst als 20.000 Euro weg waren, habe er ihr gesagt: „Jetzt reicht es mir." Danach habe sie begonnen, seine EC-Karte zu stehlen, um damit Geld abzuheben. Dreimal seien 2000 Euro weggewesen. Seine Ex-Freundin habe aber behauptet, nichts darüber zu wissen. Deshalb habe er das Landeskriminalamt eingeschaltet. Erst als die Ermittler ihm ein Überwachungsfoto mit seiner Freundin beim Geldabheben zeigten, habe er die Wahrheit erkannt und sich dann Mitte 2017 getrennt.
Mitarbeiterin: „Habe die Machenschaften durchschaut“
Vor Gericht sagt auch eine ehemalige Mitarbeiterin aus, die 31 Jahre für das Unternehmen tätig war. Seit Herbst 2017 habe sie ihr Gehalt nur noch schleppend und oft verspätet bekommen, sagt die 66-Jährige. Nach der Schließung der Filiale in Schwarzenbek sei sie 2018 nach Ahrensburg gewechselt, habe dort viele Beschwerden von aufgebrachten Kunden erhalten. „Ich habe die Machenschaften durchschaut und gekündigt“, sagt sie.
Ein Kripo-Beamter, der in dem Fall ermittelt hat, erzählt von einer Vernehmung der Geschäftsfrau vor einigen Jahren. „Ich hatte den Eindruck, dass sie genau wusste, was sie tat“, sagt er. Dennoch glaube er nicht, dass sie eine hohe kriminelle Energie zu den Taten getrieben hat. „Meine Annahme ist, dass sie ihr Unternehmen retten wollte, das in einer wirtschaftlichen Notlage war“, sagt er. Möglich sei aber auch, dass sie das Geld genutzt habe, um die Behandlung ihrer kranken Mutter zu finanzieren. Letzteres bestreitet die Geschäftsfrau vor Gericht allerdings.
Verteidigung wollte Bewährungsstrafe
Das Abendblatt hatte erstmals im Sommer 2018 über das Reisebüro berichtet, nachdem mehrere Kunden Betrugsvorwürfe erhoben hatten. Nicht alle angezeigten Fälle sind in den Prozess eingeflossen, die Zahl der geschädigten Kunden dürfte damit noch deutlich höher sein. „Wir haben nicht alle Fälle verfolgt“, so Staatsanwalt Felix Schwetzko.
Das Gericht bleibt mit seinem Urteil unter der Forderung der Staatsanwaltschaft von drei Jahren Freiheitsstrafe. Die Verteidigung plädierte für eine Strafe unter zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung.
„Das sind natürlich keine Kavaliersdelikte“, räumt Anwalt Kemal Su ein. „Aber die Gefahr ist gebannt. Meine Mandantin wird nie wieder betriebswirtschaftlich tätig sein, ihre Reisebüros sind geschlossen.“