Trittau. Das Pflegeheim hat sich zu einem Corona-Hotspot entwickelt. Aktuell sind noch 68 Bewohner und 25 Mitarbeiter mit dem Virus infiziert.

Das Pflegeheim Haus Billetal am südlichen Rand von Trittau könnte kaum reizvoller gelegen sein. Der 16.000 Quadratmeter große Garten mit verschiedenen Terrassen grenzt westlich an einen kleinen See, östlich an das Naturschutzgebiet rund um das Flüsschen Bille. Doch dieser Tage sind keine Bewohner auf dem malerischen Areal für kleine Spaziergänge und Treffs zum Klönen zu sehen. Denn es ist eine trügerische Idylle: Seit dem Jahreswechsel hat sich die Einrichtung zu einem der dramatischsten Corona-Hotspots im Kreis Stormarn entwickelt.

Der erste Fall trat am 25. Dezember auf

„Bis Weihnachten sind wir gut durch die Pandemie gekommen. Jeden Tag sind alle Mitarbeiter vor Dienstbeginn getestet worden, ebenso die Bewohner. Trotzdem hat uns das Virus faktisch überrollt“, sagt Geschäftsführer Andreas Schulz im Abendblatt-Gespräch. Am 25. Dezember sei der erste Fall bekannt geworden. Dann habe das Geschehen innerhalb kürzester Zeit eine unfassbare Dynamik entwickelt, deren Ausmaß trotz aller eingeleiteten Sofortmaßnahmen nur schwer einzudämmen gewesen sei. Nach einem weiteren Todesfall am Mittwoch ist die Zahl der Verstorbenen auf 16 gestiegen.

„Mit 99-prozentiger Sicherheit ist das Virus durch eine Mitarbeiterin ins Haus gekommen, die faktisch im ganzen Wohnbereich tätig war“, so Schulz. Erst seien zwei Bewohnerinnen infiziert gewesen, dann habe sich das Virus rasend schnell in der gesamten Einrichtung verbreitet. Sicher auch deshalb, weil vielen Bewohnern mit Demenz und gerontopsychiatrischen Erkrankungen Distanzgebote nur schwer zu vermitteln sind.

121 Bewohner und 55 Mitarbeiter waren infiziert

„Obwohl wir infizierte Bewohner isoliert und infizierte Mitarbeiter in Quarantäne geschickt haben, gab es jeden Tag gab mehr Infizierte“, berichtet Schulz. Erst sei nur ein Wohnbereich betroffen gewesen, dann noch einer. Trotz des Einbaus von Schleusen und Barrieren, um wenigstens einen covidfreien Bereich schaffen zu können.

Auf dem Höhepunkt des Ausbruchs waren 121 von 170 Bewohnern und 55 der insgesamt 140 Mitarbeiter infiziert. „Es gab 80-Jährige, die völlig symptomfrei geblieben sind und andere, die innerhalb von nur zwei Tagen verstarben“, sagt Schulz. Das zeige, wie unberechenbar das Corona-Virus wüte.

35 externe Pflegekräfte verpflichtet

Aktuell sind noch 68 Heimbewohner infiziert, von denen vier im Krankenhaus stationär betreut werden müssen. Ein Mann konnte gestern ins Haus Billetal zurückkehren. Von den Mitarbeitern waren Mittwochmittag noch 25 infiziert, 30 gelten inzwischen als genesen. Drei von ihnen waren so erkrankt, dass sie im Krankenhaus versorgt werden mussten.

Trotz Covid-Infektion sind aber nicht alle Pflegekräfte zu Hause geblieben. „Wir konnten zwar kurzfristig bis zu 35 externe Pflegekräfte verpflichten. Dennoch hätten wir damit längst nicht alle Ausfälle kompensieren können. Deshalb sind nur Getestete mit einem Ct-Wert unter 30, die damit als stark ansteckend galten, in die häusliche Quarantäne geschickt worden“, erklärt Schulz.

Kritik an der Impfstrategie des Landes

Wütend macht den Geschäftsführer noch immer die Impfstrategie der Landesregierung. Als kurz vor dem Jahreswechsel die Impftermine für die Alten- und Pflegeheime fixiert worden sind, hatte das Haus am See in Lütjensee, das ebenfalls zum Familienbetrieb Senioren Partner Schulz gehört, Termine erhalten, das Haus Billetal aber nicht. Auf Nachfrage erfuhr Andreas Schulz, dass Einrichtungen mit Infizierten zurückzustellen sind.

„Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nur neun Infizierte. Statt durch die Impfung möglichst alle zu schützen, die noch nicht betroffen waren, blieb das Ansteckungsrisiko hoch“, sagt Schulz. Nicht zuletzt für das Pflegepersonal, das für die fachgerechte Betreuung der Heimbewohner unerlässlich ist.

Brandbrief an Sozialminister Heiner Garg

Mit einem Brandbrief an Schleswig-Holsteins Sozialminister Heiner Garg (FDP) erreichte Schulz zumindest, dass rund ein Drittel seiner gesunden Mitarbeiter die Erstimpfung am 19. Januar in Lütjensee erhielt, als dort die Bewohner und das Pflegepersonal zur Zweitimpfung gebeten wurden.

Nachdem das Sozialministerium seine Impfstrategie inzwischen geändert hat, erwartet Andreas Schulz zeitnah die Ankunft des Impfmobils auch am Haus Billetal. Am Freitag will die Bundeswehr schon mal Soldaten vorbeischicken, die unter anderem Sitzwachen vor Zimmern von Infizierten übernehmen sollen.

Corona-Infektionen in 22 von 46 Heimen

„Ich hoffe, dass wir das Schlimmste überstanden haben und sich jetzt eine spürbare Entspannung einstellt“, sagt Andreas Schulz. Auf jeden Fall gebe es dann endlich wieder freie Mitarbeiter, die mit Bewohnern nach fünf Wochen erstmals wieder in den herrlichen Hauspark gehen könnten. Um frische Luft zu schnappen und etwas Ablenkung zu finden.

Nachsatz: Wie die Kreisverwaltung auf Anfrage des Abendblatts mitteilte, ist es seit November 2020 in 22 der 46 Stormarner Alten- und Pflegeheimen zu Covid-19-Infektionen gekommen. Von den insgesamt 3680 Bewohnern haben sich 504 infiziert, aktuell sind es 137. An oder mit dem Virus sind im genannten Zeitraum 86 Heimbewohner verstorben.