Reinbek. Seit 1996 ist Volker Müller SPD-Fraktionschef in Reinbek. Jetzt zieht er sich aus der Politik zurück, hat aber noch spannende Aufgaben.
Für seine Parteifreunde ist Volker Müller das soziale Gewissen Reinbeks. So drückt es zumindest der SPD-Vorsitzende Gerd Prüfer aus, "weil er sich insbesondere für die Schwächsten einsetzt". Lob für sein Wirken erhält der 72-Jährige nicht nur aus den eigenen Reihen. Günther Herder-Alpen von den Grünen sagt: "Er ist sozial sehr stark engagiert. Chapeau." Müller weiß, was es heißt, benachteiligt zu sein. Seit seiner Jugend ist er blind. Retinitis pigmentosa nennt sich die unheilbare Augenerkrankung. Dabei wird die Netzhaut zerstört. Dank eines Lesecomputers ist er über den Inhalt von Sitzungsunterlagen aber bestens informiert. Das muss der Witwer auch als Fraktionsvorsitzender. 25 Jahre am Stück hat er diese Position. Am Sonntag ist Schluss. Dann legt der Rentner seine politischen Ämter nieder. Es ist das Ende einer Ära.
Müller will den Generationswechsel forcieren
Den Zeitpunkt hat Müller bewusst gewählt. Er sagt: "Die Hälfte der Legislaturperiode ist herum. Der Nachfolger hat genug Zeit, sich einzuarbeiten und die Partei auf die nächste Kommunalwahl vorzubereiten." Er wolle durch den Schritt den Generationswechsel forcieren und fahre jetzt erstmal auf Null zurück. In seinem Fall bedeutet das allerdings nur, keine Beschlussvorlagen der Verwaltung mehr durchstöbern zu müssen und von Abstimmungen ausgeschlossen zu sein. Gremiumssitzungen im Rathaus will der Senior weiterhin besuchen - als Gast. "Und ich werde mich zu Wort melden bei Dingen, wo sich nichts getan hat." Als Beispiel nennt er die Barrierefreiheit an den Bushaltestellen. Es gehe ihm hierbei um Verbesserungen für Rollstuhlfahrer und ältere Menschen mit Gehwagen.
Der 72-Jährige ist seit 1972 SPD-Mitglied
Sein Parteibuch behält Müller, der mit zweieinhalbjähriger Unterbrechung immer in Stormarns zweitgrößter Stadt gelebt hat. SPD-Mitglied ist er seit 1972. In Reinbek hat der Sozialdemokrat auch viele Jahre gearbeitet, leitete zwei Kindertagesstätten, dann ein Jugendzentrum und mit 45 Jahren schließlich die Sönke-Nissen-Park-Stiftung in Glinde. Dort initiierte er Projekte für Jungen und Mädchen wie den Bauspielplatz und Nachhilfe, brachte die Schuldnerberatung auf den Weg.
Künftig will er sich mehr für Sönke-Nissen-Park-Stiftung und Blindenverein engagieren
In Sachen Arbeitszeit hat der gelernte Erzieher nie auf die Uhr geschaut, bereitete sich auch als Politiker sorgfältig auf Sitzungen vor und investierte bis zu 20 Stunden pro Woche. Das Ehrenamt ist ihm eine Herzensangelegenheit und Erfüllung zugleich. Und es geht in diesem Bereich für ihn weiter: Bei der Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit gehört der Reinbeker dem Vereinsrat an und ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Sönke-Nissen-Park-Stiftung. In dieser Organisation sieht er sich nun noch mehr gebraucht als zuvor: wegen der Corona-Pandemie. Müller: "Wir können Räume seit Monaten nicht für Hochzeiten und Konfirmationen vermieten, keine Konzerte veranstalten. Der wirtschaftliche Schaden ist hoch." Außerdem will er sein Engagement für den Blindenverein ausweiten.
Durch den Ausstieg aus der Politik ist nun auch wieder mehr Zeit für die Pflege von Freundschaften vorhanden. Nach dem Tod seiner Frau vor drei Jahren war er mit Gleichgesinnten auf Stadttour in Kopenhagen, die geplante Reise nach Amsterdam im vergangenen Jahr musste wegen Corona ausfallen, soll aber nachgeholt werden. "Natürlich freue ich mich auf persönliche Treffen, wenn es die Lage wieder zulässt", sagt Müller.
Freundschaften zu Vertretern anderer Parteien entstanden
Den geselligen Plausch mit Vertretern anderer Parteien hat er auch außerhalb des Rathauses gepflegt, zum Beispiel in einem griechischen Restaurant nach Ausschusssitzungen. Vor allem sei das mit CDU-Politikern der Fall gewesen. So sind auch Freundschaften trotz Rivalität und unterschiedlicher Meinungen entstanden. Müller nennt hierbei den früheren Bürgervorsteher Helmut Schmitt sowie den 2019 verstorbenen Hans Helmut Enk.
"Volker Müller wird an der einen oder anderen Ecke in der Politik fehlen", sagt Grünen-Fraktionschef Herder-Alpen. Er bringe dem Sozialdemokraten eine hohe Wertschätzung auch auf privater Ebene entgegen. Der Senior ist kein Mann der lauten Töne, verbale Querschüsse unter die Gürtellinie bei Kontrahenten sind ihm fremd. Stattdessen versucht er durch Argumente zu überzeugen, setzt das Vokabular gezielt ein und verändert auch bei lebhaften Diskussionen im Stadtparlament nicht das Sprachtempo. So war es jahrelang zu beobachten. Der SPD-Politiker sagt über sich selbst: "Ich suche Kompromisse. Kommunalpolitik ist kein Klassenkampf. Es geht immer darum, eine Lösung im Sinne des Bürgers zu finden." Ein bisschen wehmütig sei er schon ob seines Abschieds.
Der Polit-Veteran überredete Bürgermeister Björn Warmer zur Kandidatur
Im Rückblick auf seine Tätigkeit als Fraktionschef fällt es Müller schwer, über seine Erfolge zu sprechen. Das ist nicht so sein Ding. Offener ist er hingegen, wenn es um Selbstkritik geht: "Ich hätte mich mehr für die neue Sportanlage des FC Voran Ohe einsetzen müssen. Der Verein wird seit Jahren vertröstet. Jetzt muss die Stadt endlich liefern." In die Zeit seines Wirkens fällt auch die Wahl Björn Warmers zum Bürgermeister. Der Verwaltungschef ist seit September 2014 im Amt. Ohne Müller wäre der Jurist mit SPD-Parteibuch wohl nie Reinbeks Rathauschef geworden. Der Polit-Veteran überredete den damaligen Justiziar der Stadt Schwarzenbek zur Kandidatur.
Den Kontakt zu Bürgern hält Müller seit geraumer Zeit per Telefon. Dabei wird er nicht nur mit Anliegen konfrontiert zu klassischen Themen wie Wohnungsbau oder Kindertagesstätten. Er sagt: "Es geht nicht nur um Politik, sondern auch darum, weshalb die Enkelin noch keine Lehrstelle hat." Auch hätten sich Menschen bei ihm gemeldet und gefragt, weshalb das Impfzentrum in Reinbek noch nicht geöffnet sei. Als störend empfinde er solche Aktionen nicht, auch wenn er der falsche Ansprechpartner sei. Es braucht schon einiges mehr, um diesen Mann aus der Ruhe zu bringen.