Ahrensburg. Industrie- und Handelskammer fordert regionale Öffnung von Gastrobetrieben und Einzelhandel bei sinkenden Corona-Zahlen

Viele Stormarner Unternehmen sind überraschenderweise ohne Einbußen durch die Corona-Krise gekommen. Laut der jüngsten Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck verzeichnen 31 Prozent keine negativen Auswirkungen auf die Finanzlage. "In Bereichen wie Medizintechnik, Ernährungswirtschaft und Logistik gibt es sogar Zuwächse", sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Lars Schöning. Allerdings sei das Bild sehr uneinheitlich: Auf der anderen Seite melden 15 Prozent der Firmen Liquiditätsprobleme.

Die Gefahr der Insolvenz schwebe vor allem über den im Lockdown weitgehend geschlossenen Branchen Einzelhandel, Gastro und Tourismus sowie Veranstaltungen. Um sie zu retten, fordert die IHK eine schrittweise Öffnung unter Berücksichtigung regionaler Corona-Aspekte. "Die Bereiche sind übermäßig stark von den Einschränkungen betroffen, obwohl sie offenbar nicht für die massenhafte Weiterverbreitung des Virus verantwortlich sind", sagt Schöning.

Betriebe investierten Zeit und Geld in Hygienekonzepte

Die Politik sollte nicht nur strengere Auflagen für Corona-Hotspots machen, sondern auch in der anderen Richtung flexibel sein und regional bessere Pandemieverläufe bei Lockerungen berücksichtigen. "Auf die im Frühjahr erarbeiteten Hygienekonzepte kann ja jederzeit zurückgegriffen werden", sagt Schöning. Die Betriebe hätten häufig sehr viel Zeit und Geld investiert - und mussten trotzdem schließen.

"Ein Lockdown ist nur in den Wirtschaftsbereichen gerechtfertigt, in denen objektiv nachweisbar ist, dass sie eine Ausbreitung des Virus begünstigen", sagt Schöning. Gastronomie und Einzelhandel seien "das schlagende Herz der Städte und Orte". Die harten Einschnitte müssten permanent hinterfragt und beendet werden, sobald die Infektionsdynamik gebrochen sei. Anderenfalls befürchtet er etliche Geschäftsaufgaben im Frühjahr.

Innenstädte von Ahrensburg, Bad Oldesloe und Reinbel wandeln sich

Gerade in mittelgroßen Kommunen wie Ahrensburg, Bad Oldesloe und Reinbek beschleunige Corona den Wandel der Innenstädte, betont Rüdiger Schacht, IHK-Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik. "Um zukunftsfähige Konzepte zu erstellen, wollen wir alle Beteiligten an einen Tisch bringen: Handel, Kultur, Politik, Verwaltung und auch Immobilienbesitzer", sagt er. Die Kaufleute zeigten großes Interesse: An rund 70 Online-Veranstaltungen zu Themen wie Webshop oder Suchmaschinen nahmen mehr als 5000 Mitglieder teil.

Für die Phase des Wiederaufbaus bräuchten Unternehmen Planungssicherheit und keine Hemmnisse. „Erhöhungen von Steuern und Abgaben wären kontraproduktiv. Auch von Bürokratie müssen wir die Betriebe entbinden“, sagt Schöning. Laut Umfrage sinkt in 29 Prozent der Firmen das in vergangenen Jahren angesparte Eigenkapital. Deshalb sollte der sogenannte Verlustrücktrag ausgeweitet und die Erbschaftsteuer an die Corona-Bedingungen angepasst werden.

Corona-Stillstand "Katastrophe" für das Tourismusland

„Eine Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben, die durch die Pandemie hervorgerufenen Veränderungen sind zu groß und zu beherrschend“, sagt IHK-Präses Friederike C. Kühn. Viele Branchen nähmen nur langsam wieder Fahrt auf, so die Bargteheiderin. Zeichen einer Entspannung kämen vor allem aus dem verarbeitenden Gewerbe. "Der Neustart darf kein Weiter-so sein, wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen.“

Der Corona-Stillstand sei für ein Tourismusland wie Schleswig-Holstein "eine Katastrophe“. Viele Unternehmer hätten aber nicht aufgegeben, sondern sich weiterentwickelt, ein zusätzliches Standbein geschaffen und neue Vertriebskanäle erschlossen. Zudem habe die Politik in Bund und Land bewiesen, dass sie schnell und unbürokratisch handeln könne.

Überbrückungshilfen sollten gerechter verteilt werden

„Es wird Zeit, die Überbrückungshilfen anzupassen und gerechter zu verteilen“, sagt Kühn. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft habe bereits Vorschläge gemacht, so für die Kopplung an Betriebserträge. Für die Zukunft seien Programme zur Innovationsförderung nötig. Dabei habe im Norden die Wasserstofftechnologie Vorrang, von der Gewinnung der Energiequelle bis zu ihrem Einsatz in Fabriken und Fahrzeugen, etwa in Lastwagen, Bussen, Autos und vor allem auch in Schiffen, Lokomotiven und Flugzeugen.

Die unsicheren Zukunftsaussichten sowohl für Firmen als auch für Jugendliche spiegeln sich auf dem Lehrstellenmarkt wider. Die Zahl der Ausbildungsverträge im IHK-Bereich (Stadt Lübeck und die Kreise Ostholstein, Segeberg, Stormarn, Herzogtum Lauenburg) ist vergangenes Jahr um zehn Prozent auf rund 3460 gesunken. "Im Frühjahr wusste niemand, ob und wann die jungen Leute ihre Schulabschlüsse machen können", sagt IHK-Geschäftsführer Schöning. "Aufgrund der Beschränkungen kamen viele Vorstellungsgespräche nicht zustande, und auch Praktika sowie Jobmessen waren unmöglich."

Lehrstellen werden online über Azubi-Match vermittelt

Für das neue Jahr erwartet die IHK keine weiteren Rückgänge. Damit Angebot und Nachfrage zusammenfinden, wurde das Online-Portal Azubi-Match (www.ausbildung-jetzt-sh.de) gestartet. Mit wenigen Klicks können digitale Kennenlerntermine auch per Videocall etwa über WhatsApp, FaceTime, Zoom, Skype, Jitsi oder Telefon vereinbart werden.

„Es gibt genügend freie Plätze", sagt Lars Schöning. Die Karrierechancen seien mit einer soliden Ausbildung als Grundlage auch in Zukunft gut. So bringe der Baubeginn des Fehmarnbelt-Tunnels - mit der Fertigstellung wird 2029 gerechnet - starke Wachstumsimpulse für die Betriebe in der Region. Die IHK berät Interessenten und schafft Kontakte zu den Baukonsortien.

Mehr als 16.000 Mitglieder kommen aus Stormarn

Die IHK zu Lübeck hat rund 70.000 Mitglieder, darunter gut 16.200 aus dem wirtschaftsstarken Stormarn. Die Bandbreite reicht vom Kioskbesitzer bis zur Aktiengesellschaft. Zu den Unternehmen mit den meisten Mitarbeitern im Kreis zählen Basler, Edding, Hela und Kroschke (alle Ahrensburg), Minimax (Bad Oldesloe), Getriebebau Nord (Bargteheide) und das Krankenhaus St. Adolf-Stift (Reinbek).

Im November/Dezember wählen die Mitglieder ihr höchstes Gremium neu, die 64-köpfige Vollversammlung. Die bestimmt die Leitlinien der IHK-Arbeit, das Budget und die Höhe des Beitrags. Dieser wird für 2021 um zehn Prozent reduziert.