Großhansdorf. Die Schiedsmänner Horst Kalisch und Christian Woeste erzielen fast immer einen Kompromiss zwischen streitenden Nachbarn
Oft staut sich der Ärger über Jahre an, es wird nicht mehr geredet und die gegenseitigen Vorwürfe werden immer abstruser. Der Streit um den Heckenrückschnitt, der neue Gartenzaun oder das falsch geparkte Auto können ausreichen, damit aus Nachbarn erbitterte Widersacher werden. „Meist sind es Kleinigkeiten, die sich zum Nachbarschaftsstreit hochschaukeln“, sagt Horst Kalisch. Der 78-Jährige hat schon unzähligen Streithähnen zu einem Kompromiss verholfen: Seit zwölf Jahren amtiert er als Schiedsmann in Großhansdorf und versucht zu verhindern, dass aus einem Zank zwischen Nachbarn ein aufwendiges und teures Gerichtsverfahren wird.
Streitigkeiten zwischen Nachbarn sind klassische Fälle für die Schiedsleute
„Meine Aufgabe ist nicht, zu entscheiden, sondern eine einvernehmliche Lösung zu finden“, sagt Kalisch. Die Idee, zivilrechtliche Konflikte ohne Gang vor den Richter zu klären, gibt es schon lange. Seit dem 19. Jahrhundert sind die Schiedsleute in der deutschen Strafprozessordnung verankert. Ihre Zuständigkeiten und Rechte sind heute in Schleswig-Holstein im Landesschlichtungsgesetz geregelt.
Klassische Fälle für die Schlichter sind Streitigkeiten nach dem Nachbarrecht und Ehrverletzungen. „In solchen Angelegenheiten muss sogar verpflichtend erst eine Schiedsperson eingeschaltet werden. Nur wenn keine Einigung gelingt, kann vor einem Amtsgericht geklagt werden“, erklärt Kalisch. In seltenen Fällen können die Schiedsleute auch bei kleineren strafrechtlichen Vergehen angerufen werden. Kalisch: „Typische Beispiele sind Beleidigung, Hausfriedensbruch oder Nötigung.“
Posten der Schiedsperson ist ein Ehrenamt
Manch einer könnte meinen, dass es Verlockenderes gibt, als sich in der Freizeit mit Zoff und Zank um vermeintlich unwichtige Kleinigkeiten zu befassen. Denn viel mehr als die Erstattung seiner Auslagen für Büro und Fahrkosten bekommt Horst Kalisch nicht. Das Amt des Schiedsmannes ist ein Ehrenamt. Fünf Jahre beträgt eine Amtszeit, der Großhansdorfer ist bereits in seiner dritten. „Ich wollte der Gemeinde etwas zurückgeben“, sagt der 78-Jährige.
„Angestrebt habe ich den Posten nie“, betont Kalisch. „Ein Zufall war schuld.“ 2008 geriet er selbst in einen Nachbarschaftsstreit. „Es gab einen Anschwärzer bei mir in der Straße, der mich jedes Mal anzeigte, wenn ich falsch geparkt hatte“, erinnert sich Kalisch. Da habe er sich mit einem Brief an Bürgermeister Janhinnerk Voß gewandt. Zur selben Zeit habe die Waldgemeinde eine neue Schiedsperson gesucht. „Dem Bürgermeister muss mein Beschwerdeschreiben so gut gefallen haben, dass er mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, zu kandidieren.“
Vor der Pensionierung war Kalisch Kriminalbeamter beim BKA
Kalisch konnte und so wählten Großhansdorfs Gemeindevertreter ihn mit klarer Mehrheit in das Amt. „Ich war Pensionär, Zeit hatte ich also genug“, sagt er. Auch aufgrund seiner Berufserfahrung war Kalisch für den Posten geradezu prädestiniert. Als Kriminalbeamter war der Großhansdorfer jahrzehntelang mit Schwerpunkt internationale Kriminalität und Drogenkartelle beim Bundeskriminalamt (BKA) tätig. Seitdem habe er eine Leidenschaft für die Aufgabe entwickelt, die er bis heute verspüre. „Es ist unglaublich bestätigend, wenn sich Menschen, die jahrelang kein Wort miteinander gesprochen haben, am Ende wieder in die Arme fallen“, sagt der Großhansdorfer.
Juristische Fachkenntnisse sind hilfreich, aber nicht erforderlich
Seit 2016 stets an der Seite des 78-Jährigen ist Christian Woeste. Obwohl der 63-Jährige eigentlich Kalischs Stellvertreter ist, vermitteln die beiden meist im Doppelpack. „Wir ergänzen uns hervorragend“, sagt Woeste, der als Jurist bei einem Energieunternehmen tätig war. „Meine Rechtskenntnisse waren hilfreich, sind aber keine Voraussetzung für das Schiedsamt“, sagt er. Alles Handwerkszeug für die Aufgabe bekämen die Ehrenamtler vom Bund deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) vermittelt, der spezielle Seminare anbiete.
Entscheidend sei ohnehin nicht das juristische Fachwissen. „Sozialkompetenz, Menschenkenntnis, Empathie und vor allem Geduld sollte man mitbringen“, sagt Woeste. Auch Autorität könne oft nicht schaden. „Wir sind ja keine Richter, die Urteile fällen können, sondern müssen durch Argumente eine einvernehmliche Lösung zwischen den Konfliktparteien finden“, so der Großhansdorfer. „Es geht darum, Vorschläge zu machen, einen intensiven Dialog zu leiten.“ Oft sei auch die Fähigkeit des Relativierens gefragt, um Positionen auszugleichen.
Großhansdorfer sind bei Schlichtungsquote landesweit Spitze
In ihrer Amtszeit haben Kalisch und Woeste schon für allerlei Streithähne einen Kompromiss gefunden. Im Schnitt führen sie jedes Jahr 45 Verfahren, die Schlichtungssquote liegt bei mehr als 90 Prozent. Landesweit liegt Großhansdorf damit an der Spitze. Bürgermeister Janhinnerk Voß sieht darin ein Qualitätsmerkmal für die Arbeit der Schiedsleute. „Dass so viele Großhansdorferinnen und Großhansdorfer den Weg zu Herrn Kalisch und Herrn Woeste finden, zeigt, dass ihnen ein Ruf als verlässliche und korrekte Schlichter vorauseilt“, sagt der Verwaltungschef.
„Meist geht es um Lärmbelästigung, eine Hecke oder einen Baum, der über die Grundstücksgrenze wächst, einen neuen Grenzzaun mit dem der Nachbar nicht einverstanden ist oder den Verlauf der Grundstücksgrenze“, erzählt Kalisch. In seinen zwölf Amtsjahren hat der 78-Jährige allerdings auch schon allerlei skurrile Streitereien erlebt. „Einmal gab es einen Herren, der sich von den Überwachungskameras seines Nachbarn beobachtet fühlte“, erinnert er sich.
Konfliktparteien legten sich gegenseitig Kotbeutel vor die Haustür
In einem anderen Fall hätten sich die Bewohner eines Mehrfamilienhauses wiederholt mit einer älteren Dame angelegt, weil diese ihre Türen stets so laut zugeschlagen habe, dass dies im ganzen Haus zu hören gewesen sei. „Es stellte sich heraus, dass die Frau schwerhörig war“, sagt Woeste und schmunzelt.
„Bei unserem wohl bizarrsten Fall ging es um eine Parklücke“, sagt Christian Woeste. „Ein Herr hat sich geärgert, dass der Nachbar mit der Parklücke neben ihm sein Auto immer so abgestellt hat, dass er in seinen eigenen Stellplatz nicht mehr hineinkam, weil es zu eng war.“ Der Streit habe sich so weit hochgeschaukelt, dass die Nachbarn sich gegenseitig ihre Wagen zerkratzt und einander Kotbeutel vor die Haustür gelegt hätten. „Das war schon extrem“, sagt Woeste. Zum Schluss hätten aber auch diese beiden sich geeinigt und schriftlich festgehalten, beim Parken aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Das Schiedsverfahren beginnt immer mit einem Ortstermin
Grundsätzlich könne jeder mit einem Problem an die Schiedsleute herantreten. „In der Regel beginnt das Verfahren mit einem Ortstermin“, sagt Kalisch. „Denn oft sind Lokalitäten wie der Gartenzaun oder die Hecke Gegenstand des Streites“, erklärt der Großhansdorfer. „Wir haben schon festgestellt, dass Gegebenheiten falsch beschrieben oder Himmelsrichtungen verwechselt werden, deshalb machen wir uns selbst ein Bild.“ Bei der Besichtigung werde meist schnell deutlich, ob es zu einem formalen Schiedsverfahren komme, oder aber eine Einigung abseits des Protokolls möglich sei. „Wir nennen diese Fälle Tür- und Angelfälle, weil sich aus dem Vorgespräch vor Ort schon eine Lösung ergibt“, erklärt Kalisch.
Beide Parteien formulieren in Anträgen ihre Positionen
Sei das nicht der Fall, müsse im nächsten Schritt der Beschwerdeführer einen Antrag stellen, in dem er seine Forderungen an die Gegenpartei formuliert. „Dabei unterstützen wir auch gern“, sagt Woeste. Immer wieder müssten sie etwa beleidigende Formulierungen aus den Texten streichen. „In der Folgezeit treffen wir uns mit der Gegenseite und besprechen ihre Sicht der Dinge“, so der 63-Jährige. Das sei wichtig, um eine „Waffengleichheit“ herzustellen. „Meist wird dann ein Gegenantrag gestellt.“ Erst dann beginne das eigentliche Verfahren.
Sitzungen können bis zu fünf Stunden dauern
Bei einem Termin im Rathaus träfen beide Parteien unter Aufsicht der Schiedsleute zum direkten Gespräch aufeinander. „So eine Sitzung kann in schwierigen Fällen schon mal bis zu fünf Stunden beanspruchen“, sagt Kalisch. In seltenen Fällen gebe es auch mehrere Gesprächsrunden. „Mitunter stoßen Welten aufeinander, die arme Witwe gegen den reichen Unternehmer, der seinen Anwalt mitbringt“, sagt der 78-Jährige. In solchen Fällen sei es besonders wichtig, als Schiedsperson eine ausgleichende Rolle einzunehmen.
Generell seien Anwälte als Rechtsbeistände zwar zulässig, sie dürften aber anders als vor Gericht nur beratend tätig werden. Der Bezugsrahmen für die Verhandlung sei in der Regel das Nachbarschaftsgesetz. „Meist geht daraus deutlich hervor, wer berechtigte Ansprüche hat und wer nicht“, sagt Kalisch. Welche Strategie Woeste und er bei der Vermittlung verfolgten, sei von Fall zu Fall verschieden.
Am Ende schließen die Konfliktparteien einen Vergleich
„Eine allgemeingültige Strategie gibt es nicht, man muss sich auf die Konfliktparteien einstellen“, sagt der Großhansdorfer. Wichtig sei aber, beide Konfliktparteien ausreden zu lassen. „Entsteht erstmal der Vorwurf der Parteilichkeit, ist das für das Verfahren tödlich.“ Die Schlichter sind bei Gericht vereidigt und zur Überparteilichkeit verpflichtet. Nur selten begegneten Konfliktparteien den Schiedsleuten mit Anfeindungen. „Meist suchen beide Seiten aktiv eine Lösung, weil das Gerichtsverfahren als Damoklesschwert über ihnen schwebt“, so Woeste.
Am Ende eines erfolgreichen Verfahrens stehe ein Vergleich, der in einem Protokoll festgehalten werde. „Das Dokument wird beim Amtsgericht hinterlegt und hat dieselbe Rechtskraft wie ein Urteil“, erklärt Woeste. Ein solcher Vergleich könne sowohl finanzielle Sanktionen oder Schadensersatz als auch Auflagen für das künftige Verhalten und Umgangsregeln beinhalten. „Bei einem Verstoß können Vollstreckungsmaßnahmen erfolgen, die müssen dann aber bei Gericht beantragt werden“, so Woeste. Den großen Vorteil in einer außergerichtlichen Einigung sehen die Schiedsleute neben den eingesparten Anwalts- und Prozesskosten vor allem darin, dass es einen Kompromiss abseits des Gesetzes ermöglicht.
Woeste übergibt sein Amt zum Jahreswechsel an seinen Nachfolger
Die gemeinsame Zeit des Duos endet nun zum Jahreswechsel. Nach fünf Jahren hat sich Christian Woeste aus privaten Gründen gegen die Kandidatur für eine zweite Amtszeit entschieden. Ein Nachfolger ist allerdings bereits gefunden. Die Gemeindevertreter wählten Rüdiger Wilke zum stellvertretenden Schiedsmann in Großhansdorf. „Ich bin seit diesem Jahr Rentner und habe eine neue Aufgabe gesucht“, sagt der 66-Jährige, der Geschäftsführer einer internationalen Handelsgesellschaft war. Auch in seinem Beruf habe er mit Schiedsverfahren zu tun gehabt. „Mit Herrn Kalischs Erfahrung an meiner Seite sehe ich mich bestens gewappnet“, sagt Wilke. Der 66-Jährige übernimmt das Amt zum 1. Januar.