Reinbek. Zollhausboys treten in Reinbek auf. Syrisch-deutsche Gruppe geht Themen wie Fremdsein, Heimat, Flucht mal berührend, mal mit Humor an.
Die Zollhausboys sind eine Gruppe von drei jungen Syrern, die gemeinsam mit dem Schauspieler und Kabarettisten Pago Balke und dem Musiker Gerhard Stengert ein musikalisch-satirisches Programm auf die Bühne bringen. Am Donnerstag, 3. September (19 Uhr), sind sie im Schloss Reinbek zu Gast.
Kabarettist Pago Balke konzipiert die Programme
Azad Kour, Ismaeel Foustok und Shvan Sheikho lassen die Zuschauer auf authentische und zugleich berührende Weise an ihren Erfahrungen teilhaben. Mit ihren Songs, Poetry und Kabaretteinlagen wirbt die Gruppe für Toleranz und wendet sich zugleich gegen Rechtspopulisten, die alles Fremde verdammen. Inhaltlich geht es um Verlust der Heimat, Flucht, Ankunft und das neue Leben in Deutschland. Diese Themen kurzweilig und heiter zu verpacken, ist die anspruchsvolle Aufgabe von Pago Balke. Der Kabarettist sagt: „Das muss man gut ausbalancieren. Damit das Publikum nicht abwechselnd in einen heißen und einen kalten Kochtopf geworfen wird, gibt es dazwischen lauwarme Bäder.“ Derzeit arbeiten die Musiker an ihrem dritten Programm.
Die so ungewöhnliche wie erfolgreiche Gruppe aus jungen Geflüchteten ohne jede Bühnenerfahrung und professionellen deutschen Künstlern hat sich aus einem Projekt entwickelt. Balke berichtet, wie es dazu kam: „Im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 wurden 60 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Zollhaus in Bremen-Überseestadt, einem ehemaligen Hostel, untergebracht.“
Beim SV Werder Bremen spielten sie in der VIP-Etage
Da er als Regisseur in zwölf Jahren intensiver Probenarbeit mit behinderten Darstellern viel Geduld und Einfühlungsvermögen bewiesen hatte, fragte die Leitung des Hauses bei Balke an, ob „ich eine Art Hymne der Unterkunft mit den Jungs einstudieren könnte“. Die Umsetzung erwies sich als schwierig: „Bei 60 Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren aus aller Herren Länder habe ich kapituliert“, sagt Balke. „Doch dann habe sich eine kleine Gruppe von Syrern aus Aleppo und Kobani herausgebildet, die zuverlässig kamen.“ Sie hätten ihm vom Überfall des IS auf die Kurdenstadt Kobani berichtet, von der Zerstörung Aleppos und von ihrer Flucht.
Der erste Auftritt bei der Einweihung einer Flüchtlingsunterkunft stieß beim Publikum auf viel Zuspruch. Der SV Werder Bremen lud die Zollhausboys ein, bei einer Diversity-Veranstaltung zwei Lieder in der VIP-Etage zu spielen. Balke: „Das hat die Leute sehr begeistert. Wir merkten, dass es ein Bedürfnis nach authentischen Geschichten gibt, die auf anrührende Weise erzählt werden.“
Bei Auftritten bekommen nur Männer Taschentücher
Inzwischen ist die Gruppe bundesweit unterwegs. Bei den Auftritten verteilt sie manchmal Taschentücher – jedoch nur fürs männliche Publikum. Warum, wird klar, sobald Shvan Sheikho das Lied „Männer weinen nicht“ anstimmt. Eine Zeile lautet: „Ich seh noch meinen Vater, wie er schluchzend spricht: ,Denk immer dran: Männer weinen nicht!‘“ Die Szene hat sich ins Gedächtnis des Syrers eingebrannt: Sein Vater, der nie weinte, brach beim Abschied von seinem Sohn plötzlich in Tränen aus. Shvan hat ihn seit 2015 nicht wiedergesehen.
Anfangs zählte die Gruppe sechs Mitglieder, doch ein Syrer schied aus, weil er eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Azad Kour ist dagegen noch dabei. Der 20-Jährige will im kommenden Jahr sein Abitur machen. Wie Shvan stammt er aus Kobani, seine gesamte Familie lebt dort. Zu ihr hält er telefonisch Kontakt. Azad erzählt: „Ich vermisse meine Eltern und drei jüngeren Geschwister. Im letzten Jahr mussten sie die Stadt verlassen, weil ein Dorf in der Nähe Dorf bombardiert wurde und Menschen starben.“ Es sei eine bedrohliche Situation gewesen. Seine Familie habe oft Angst, weil sie nicht sicher sei. „Sie können nie ruhig schlafen und machen sich viele Sorgen.“
Für Azad gab es keine Zukunft in seinem Heimatland
Manchmal fällt es ihm schwer, bei seinen Auftritten von seinen Erfahrungen zu berichten. Bevor er über die Balkanroute nach Deutschland kam, lebte die Familie monatelang in einem Flüchtlingslager in der Türkei. Als die Kurden den IS schließlich besiegt hätten, seien viele Einwohner zurückgekehrt. Zu früh, denn der IS habe Hunderte von ihnen bei einem erneuten Überfall getötet.
Doch dann musste die Familie zurück. Für Azad gab es dort keine Zukunft. „Ich wäre sofort als Soldat zum Kämpfen gezwungen worden.“ In Deutschland fühlt er sich inzwischen „zu 100 Prozent integriert“. „Ich glaube, ich bin sehr deutsch geworden“, sagt er und lacht. Er habe Pünktlichkeit, Tischmanieren, Planung und Organisation gelernt. Hat er Wünsche für die Zukunft? „Dass meine Familie in Frieden leben und ihre Rechte als Kurden bekommen kann.“ Und dass sich seine Ziele wie Studium und Einbürgerung in die Tat umsetzen lassen. Azad gibt sich optimistisch, er sagt: „Ich habe noch viel vor.“