Reinbek. Bank-Geheimnisse: In der Serie treffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Dr. Annette Sommerfeld, Chefärztin in Reinbek.
Frauen haben im altehrwürdigen St.-Adolf-Stift schon immer eine herausragende Rolle gespielt. Jahrzehntelang ist das Reinbeker Krankenhaus von Ordensschwestern geführt worden. Eine Chefärztin moderner Prägung hatte das Haus in seiner 136-jährigen Geschichte aber nie. Das hat sich jetzt geändert. Seit Juni leitet Dr. Annette Sommerfeld die Gefäßchirurgie des Hauses. „Ich hätte gar nicht gedacht, dass meine Ernennung für solch einen Aufruhr sorgt“, sagt sie. Aber Frauen in solchen Positionen seien eben noch immer eher die Ausnahme als die Regel, gerade in kleineren Häusern. Im Adolf-Stift ist sie jedenfalls die einzige Chefärztin unter elf männlichen Kollegen.
Inzwischen ist bei Sommerfeld der Alltag eingekehrt
Als wir die 49-Jährige auf ihrer Lieblingsbank im Garten ihres Hauses am Rande von Reinbek treffen, haben sich die Wogen längst geglättet. Nachdem ihr unzählige Menschen im Stift und außerhalb persönlich gratuliert und ihr viel Glück gewünscht hätten, sei längst der Alltag eingekehrt: „Ich habe den ganzen Zinnober eh nicht so richtig verstanden. Vielleicht deshalb, weil ich nicht in Geschlechterrollen denke.“
Bedenken, womöglich als Quotenfrau wahrgenommen zu werden, treiben sie nicht um. Sie wolle nicht anders behandelt werden als die männlichen Chefärzte, wolle nicht geschont werden, nur weil sie eine Frau sei. Aber natürlich fordere sie den gleichen Respekt ein. Auch wenn sie in der Außendarstellung sicher weniger dominant auftrete, als das Männer zuweilen tun würden. Und sie sich vielleicht eher hinterfrage.
„Natürlich hoffe ich auf Unterstützung, denn solch eine Aufgabe kann niemand im Alleingang bewältigen“, so Sommerfeld. Sie verstehe sich als Teamplayer, der Erfahrungen mitnehmen, aber auch weitergeben wolle. Jedenfalls habe sie von Beginn an viel Rückhalt erfahren von den drei Ober- und vier Assistenzärzten, die ihr unterstellt sind.
Aufgewachsen ist sie in einem Dorf bei Magdeburg
Der Aufstieg von Annette Sommerfeld ist derweil auch eine spannende Ost-West-Geschichte. Aufgewachsen in dem kleinen Dorf Biederitz, unweit von Magdeburg, prägt ländliche Idylle ihre Kindheit. Als sie mit 14 Jahren am Knie operiert werden muss, verliebt sich der pubertierende Teenager prompt in den netten Stationsarzt. Ein Jahr später jobbt sie im Krankenhaus auf einer urologischen Station.
„Ich weiß, das klingt jetzt nicht sonderlich anziehend. Doch die Klinik in Vogelsang lag mitten im Wald, und ich habe mich dort sofort wohlgefühlt“, erinnert sie sich. Die ganze Atmosphäre, das stete Bemühen der Ärzte und Schwestern um die ihnen anvertrauten Patienten, das alles habe sie fasziniert und früh geprägt. Und den Wunsch reifen lassen, selbst Medizin studieren zu wollen.
Plötzlich stand der heute 49-Jährigen die Welt offen
Doch als sie 1989 ihr Abitur mit Bravour meistert, zieht sich noch der „eiserne Vorhang“ quer durch Europa. Weil die Eltern als politisch nicht ganz zuverlässig gelten, wird ihr Studienwunsch abschlägig beschieden. Vater Erich darf irgendwann nicht mal mehr als Agrarflieger arbeiten, Mutter Heidemarie ist Industrieschneiderin.
Als dann im November 1989 die Mauer fällt, wendet sich praktisch über Nacht das Blatt. Während eines Besuchs mit den Eltern im einheitstrunkenen Berlin lernt die Familie den Arzt Dr. Werner Gompf aus der Nähe von Hamburg kennen. Er lädt sie alle nach Wohltorf ein und bestärkt die junge Frau in ihrem Ziel, Ärztin zu werden. Wenig später wird sie tatsächlich an der Universität Hamburg immatrikuliert.
„Die Wende kam für mich genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Annette Sommerfeld. Plötzlich habe ihr die Welt offengestanden. Und die berufliche Karriere war nicht mehr abhängig von einem bestimmten Parteibuch oder der Bereitschaft, sich mit der Stasi einzulassen. Sich selbstbestimmt frei entfalten zu können sei wohl der größte Gewinn dieser schicksalhaften Fügung gewesen.
Einer ihrer wichtigsten Mentoren ist selbst Reinbeker Chefarzt
Dass man ihr im Studium wie später auch an verschiedenen Krankenhäusern in Norddeutschland vorurteilsfrei begegnet sei, habe sie immer als wohltuend empfunden: „Meine Herkunft hat eigentlich nie eine Rolle gespielt. Vielleicht, weil in unserem Metier vor allem die Leistung zählt und der Wille, sich ständig weiterzuentwickeln.“
Einer ihrer wichtigsten Mentoren ist neben Dr. Jürgen Tepel, heute Chefarzt in Osnabrück, Dr. Gunter Schimmel, 2008 selbst Reinbeker Chefarzt in der Gefäßchirurgie. Von 2004 bis 2007, während ihrer Weiterbildung am Lübecker Sana-Klinikum, arbeitet sie zusätzlich als Notärztin im St.-Adolf-Stift. Und das, obwohl sie im Oktober 2007 Mutter der Zwillinge Charlotte und Pascal geworden war. „Dennoch bot mir Schimmel die Stelle als Oberärztin an. Das war ein großer Vertrauensvorschuss und eine riesige Chance für mich“, sagt Sommerfeld heute.
Joggen im Sachsenwald, schwimmen im Tonteich
Zugleich zementiert das unverhoffte Angebot ihre Verbundenheit mit dem Reinbeker Krankenhaus. Wann immer sie der Drang, Neues zu wagen und den eigenen Horizont zu erweitern, in andere Häuser führt, wie zuletzt von 2017 bis 2020 nach Buchholz in der Nordheide, so kehrt die toughe Vollblutmedizinerin doch stets wieder in das St.-Adolf-Stift zurück. „Egal, wo ich auch gearbeitet habe, es war das Krankenhaus, an dem sich die anderen messen lassen mussten“, sagt Annette Sommerfeld.
Unterdessen ist Reinbek zur zweiten Heimat für sie geworden. Mit ihren Kindern bewohnt sie ein Haus unweit des Billetals, mit einem Garten als Refugium, um Luft zu holen und Kraft zu tanken. Sie joggt im Sachsenwald, schwimmt im Wohltorfer Tonteich und tanzt mit ihrem Lebenspartner in Hamburg Tango. Sie liest gern norddeutsche Krimis, hat eine Schwäche für melodramatische Kinofilme und bewundert den britischen Polarforscher Sir Ernest Shackleton für seine Führungskraft.
Ihre Eltern sind Sommerfeld ein wichtiger Rückhalt
„Ausgleich ist wichtig, unabhängig von Zeit und Raum“, weiß die sympathische Frohnatur. „Wenn mich etwas stört, dann versuche ich es zu ändern. Etwas länger ertragen ist einfach nicht mein Ding“, sagt sie.
Die Eltern, die nicht weit entfernt in Dassendorf wohnen, sind ihr ein wichtiger Rückhalt. „Sie haben nicht nur stets versucht, einen besseren Menschen aus mir zu machen. Sie haben mich auch immer unterstützt, wo sie nur können. Das hilft mir bis heute, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen“, sagt die Gefäßchirurgin. Im St.-Adolf-Stift sind sie jedenfalls überzeugt, dass Annette Sommerfeld die richtige Frau auf dem richtigen Posten ist.