Oststeinbek. Alle Mandatsträger haben die Fraktion verlassen. Sie haben dafür einen Nachbarschaftsverein gegründet, der auch politisch aktiv ist.

Die FDP in Oststeinbek ist erledigt, der Ortsverband personell ausgeblutet. Alle Mandatsträger sind aus der Partei ausgetreten. Sie haben einen Nachbarschaftsverein gegründet, der auch politisch aktiv ist und sich Ostbek.net nennt. Unter diesem Namen mischen die ehemaligen liberalen Gemeindevertreter und Ausschussmitglieder in den Gremien weiterhin mit. Die neue Organisation will sich breit aufstellen und durch zahlreiche Aktionen Bürger im 9000 Einwohner zählenden Ort für das Ehrenamt gewinnen.

Bürger unterstellten Nähe zur AfD

Florian Tange, der Vereinsvorsitzende, war Anfang 2018 der FDP beigetreten, um sich für seine Heimatgemeinde einzusetzen. Mit vielen neuen Köpfen schafften die Liberalen bei der Kommunalwahl 11,7 Prozent, der 48-Jährige war fortan Gemeindevertreter. Seinen Elan hat er nicht verloren, beklagt jedoch, dass Dinge auf ihn projiziert wurden, für die er gar nicht verantwortlich ist. Er nennt die Kita-Reform, die im Zuständigkeitsbereich des schleswig-holsteinischen Familienministers Heiner Garg (FDP) liegt. Tange sagt: „Es wurde versprochen, Eltern zu entlasten und die Betreuungsqualität zu steigern. Uns wird von Ortsansässigen vorgeworfen, dass das Gegenteil der Fall ist.“

Das ist aber nur ein Grund für den Parteiaustritt. Einen zweiten liefert Carsten Bendig, Fraktionschef von Ostbek.net und bis vor Kurzem in dieser Funktion für die FDP aktiv: „Durch die Ereignisse in Erfurt wurde uns von Bürgern Nähe zur AfD unterstellt.“ In Thüringen hatte sich der Liberale Thomas Kemmerich mit Stimmen der Alternative für Deutschland zum Ministerpräsidenten wählen lassen, sorgte damit für einen Skandal. Er trat zwar zeitnah zurück, doch dieser Vorgang beschädigte das Ansehen der Partei.

Karin Graham-Wagner ist Gründungsmitglied

Bendig, 53 Jahre alt und IT-Unternehmer, bildet mit Tange das Gemeindevertreter-Duo des Vereins. Er war seit 2009 in der FDP und zuletzt zunehmend frustriert wie all seine Mitstreiter. „Wir waren gefühlt bei fünf Prozent, wollen den Ballast jetzt abwerfen“, sagt Tange. Die Oststeinbeker wundern sich auch über das Auftreten der Parteispitze in Berlin und bemängeln deren Kritik an den „Regierungsmaßnahmen im Umgang mit dem Coronavirus“. Außerdem gehen ihnen Projekte im Ort, die von der Politik beschlossen werden müssen, nicht schnell genug voran. So brachte die FDP Waldkindergarten und Mitfahrbänke auf die Agenda, die Umsetzung zieht sich aber hin.

„Da verliert man natürlich Energie“, sagt Karin Graham-Wagner (62), die sich für die Liberalen unter anderem im Kultur-, Sozial- und Jugendausschuss engagiert hatte und Gründungsmitglied von Ostbek.net ist. Im März schrieben die Oststeinbeker der Kreis-FDP, schilderten ihre Probleme und baten um Rat. Mehr als zwei Monate, erzählen sie, dauerte es bis zu einer Reaktion. Zu diesem Zeitpunkt war der Entschluss, sich umzuorientieren, bereits gefallen.

Der Verein sucht Räume für Veranstaltungen

Tange, der auch Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr ist und zu Einsätzen ausrückt, hat den Verein mit sechs Gleichgesinnten ins Leben gerufen. Ein solches Projekt hatte er schon 2017 ins Auge gefasst, sich dann aber für den Parteieintritt entschieden. Jetzt ist er gerade dabei, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die ehrgeizigen Ziele erreicht werden.

Dazu gehört auch ein Ort, wo sich die Mitglieder treffen und Veranstaltungen abgehalten werden können. Womöglich gibt es eine zentrale Anlaufstelle an der Möllner Landstraße gegenüber dem Einkaufszentrum. „Ich bin in Kontakt mit der Sparkasse Holstein“, sagt Tange. Das Geldinstitut hat seine Kundenberater aus Oststeinbek abgezogen und führt dort nur noch eine SB-Filiale, ist aber Eigentümer der Immobilie. Die Räume im Erdgeschoss wären ideal für den Verein, der dort auch anderen Organisationen wie zum Beispiel Verbänden Unterschlupf gewähren würde.

Geplant ist auch ein Mitgliedermagazin

Die Initiatoren wollen keinen normalen Vereinsraum, sondern einen „lebendigen Treffpunkt“. Das Büro soll unter der Woche täglich drei Stunden besetzt sein. Spiel- und Lerngruppen, Hausaufgabenhilfe, Bastelnachmittage sind dort angedacht genauso wie ein Repaircafé und eine Ehrenamtsbörse. Außerdem würde Ostbek.net dort gern eine flexible Kinderbetreuung anbieten, wenn Mütter zum Beispiel einen Arzttermin haben.

„Wir möchten auch einen Nachbarschaftstreff für Jung und Alt einrichten, Zugezogene sollen hier Kontakte knüpfen“, sagt Tange. Er hat eine Liste verfasst und unter der Überschrift „Angebote und Aktivitäten“ weitere Dinge aufgeführt, die umgesetzt werden sollen: Dazu gehören Kurse und Seminare, in denen zum Beispiel Senioren der Umgang mit dem Smartphone beigebracht wird. Lesungen und Vorträge stehen ebenfalls auf dem Programm. „Wir wollen dem bürgerlichem Engagement neuen Schwung verleihen und Kommunalpolitik auf die Straße bringen“, so Tange, der mit einer Homepage und einem Mitgliedermagazin auf das Projekt aufmerksam machen will.

Ihre politische Ausrichtung werden die Ex-Liberalen nicht verändern. Sie wünschen sich mehr bezahlbaren Wohnraum, wollen einen „Kommunal-Fahrplan 2035“ entwickeln, der in den Gremien diskutiert wird. Carsten Bendig sagt, Oststeinbek mache viel für Kinder und Senioren. „Wir müssen aber mehr für die Generation in der Mitte tun. Das wurde bislang vernachlässigt.“