Ahrensburg. Beratungsstelle in Ahrensburg hilft Süchtigen. Eine Frau, die dort zur Therapie geht, berichtet über ihren Weg in ein neues Leben.
Hannah B. (Name geändert) hat nichts ausgelassen, sich exzessiv betrunken und andere Drogen geschluckt. In Hochphasen konsumierte die Stormarnerin an Wochenenden von Freitagnachmittag bis in den Sonntag hinein zwei Flaschen Wodka, diverse Dosen Bier und Kurze, dazu Kokain, Amphetamine und Ecstasy. Nicht zu vergessen die Joints zum Schluss. Im Rausch war an Schlafen nicht zu denken. Mehr als 20 Jahre ging das so. „Ich war komplett am Ende“, sagt die Frau, die seit 19 Monaten clean ist.
Wie lange der Prozess noch dauern wird, ist unklar
Sie sitzt in einem Behandlungsraum des Vereins Therapiehilfe in Ahrensburg, spricht offen über die Vergangenheit. Ihr gegenüber Jörg Rönnau, Leiter der Einrichtung. Der 57-Jährige ist Vertrauensperson von Hannah B. und hilft ihr, den richtigen Weg zu finden und die Sucht hinter sich zu lassen. Wie lange dieser Prozess noch dauert, ist nicht abzusehen. Hannah B. leidet an einer Essstörung, macht eine kombinierte Therapie. Die Sucht hat sich verlagert. Statt Alkohol gibt es Schokolade und Pizza. Mitunter maßlos, so wie früher in der Kindheit. Binnen zwei Jahren steigerte die Frau ihr Körpergewicht um 34 Kilogramm. Und Corona mit dem Lockdown setzte ihr ebenfalls zu.
„Mein primäres Problem ist die Vergangenheit. Ich habe Menschen als grausam empfunden, die sich nur wehtun“, sagt die 40-Jährige, die in Niedersachsen aufgewachsen ist. Ihr Blick ist klar, die Worte sind bewusst gewählt. Sie spricht in normalem Tempo, nicht aufgeregt. Dass sie so lange nicht mehr zur Flasche gegriffen hat, darauf ist die Frau stolz. Sie weiß um ihre Schwächen. Der Wille, die andere Sucht zu besiegen, ist unverkennbar.
Die Ursachen für die Sucht liegen in der Kindheit
Die Ursachen für ihr Abdriften sind in der Kindheit begründet. Auch die Mutter nimmt zeitweise Drogen, zieht mit ihren drei Töchtern nach Italien, als Hannah B. sieben Jahre alt ist. Der Vater bleibt zurück. Sie sagt: „Das war wie eine Kindesentführung, ich habe Freunde und meinen Papa verloren.“ Zwei Jahre später geht es zurück nach Deutschland. Es ist der Zeitpunkt, wo es laut Hannah B. „mit der Sucht angefangen hat in Form einer Essstörung“. Sie wird immer dicker, macht Diäten, die mit dem Jo-Jo-Effekt enden. Im Jugendalter beginnt sie, Alkohol zu trinken. Erst ein bisschen, dann immer mehr. Mit 17 der erste stationäre Aufenthalt in der Klinik. Vier weitere solcher Therapien folgen.
Hannah B. wird wie ihre Schwestern missbraucht, sie zieht mehrmals um, sucht an den Orten immer wieder Beratungsstellen auf. Der Erfolg ist von kurzer Dauer. Mal kommt sie drei Monate von der Flasche und den Pillen weg, dann ein halbes Jahr, bevor sie weitermacht mit dem zerstörerischen Lebenswandel. Eine Auszeit nimmt sie zum Ende der Schulzeit, als die Abiturprüfungen anstehen. Sie schafft den Abschluss mit der Note 2,1 und beginnt ein Studium, pflegt zugleich ihre kranke Großmutter. „Ich hatte das Helfersyndrom, Sorge um andere Menschen, obwohl ich mein eigenes Leben nicht im Griff hatte“, sagt Hannah B. Sie sei somit über ihre Grenzen gegangen. „Und ich habe mir die falschen Partner ausgesucht. Männer, die auch Drogen genommen haben und denen es noch schlechter ging als mir.“ Zwölf Beziehungen sind es gewesen.
Depressionen kamen zurück mit Corona-Beschränkungen
Mit ihrem jetzigen Freund ist sie seit 2018 zusammen, die Erzieherin schafft den Drogen-Ausstieg. „Wobei ich noch Suchtträume habe. Das geht in die Richtung, gern noch einmal das Gefühl zu haben, breit zu sein.“ Doch sie habe sich jetzt ein Leben aufgebaut und wolle nichts aufs Spiel setzen. In der Ahrensburger Beratungsstelle hat Hannah B. einmal in der Woche ein Einzelgespräch sowie alle zwei Wochen Gruppentherapie. Zudem besucht sie die Narcotics Anonymous (NA), eine Selbsthilfegruppe mit abstinent lebenden Süchtigen und solchen, die immer noch konsumieren.
Hannah B. geht inzwischen ins Fitnessstudio und spielt Theater. Wegen der Corona-Beschränkungen, die im März verhängt wurden, sind diese Hobbys wochenlang nicht möglich. Auch ihren Beruf kann sie vorübergehend nicht ausüben. Die Stormarnerin wird rückfällig, sagt: „Ich bin in Depressionen verfallen, nicht mehr aus dem Bett gekommen.“
In der Beratungsstelle Ahrensburg arbeiten fünf Experten
Von ihrem Essensplan mit drei festen Mahlzeiten am Tag weicht sie nicht nur einmal ab, stopft Ungesundes in sich hinein: Schokolade, Muffins, Gummibärchen. Auch sind da noch die Bestellungen beim Pizzaservice. Nahrung mit bis zu 10.000 Kalorien nimmt die Frau binnen 24 Stunden zu sich, obwohl sie auch digital mit ihrem Berater in Kontakt steht.
„Ich habe zwar keine Statistik, aber es gab vermehrt Probleme. Die Zahl derer, die während des Lockdowns rückfällig geworden sind, ist höher als sonst“, sagt Jörg Rönnau, dessen Beratungsstelle im Jahr rund 800 Menschen hilft. Fünf Experten arbeiten in Ahrensburg.
Seit Mitte Mai werden Klienten wieder vor Ort beraten
Seit Mitte Mai sind die Räume wieder für Klienten geöffnet. Das Arbeiten sei dadurch wesentlich leichter, erzählt der Sozialpädagoge und Suchttherapeut. Hannah B. hat dank der Lockerungen einen geregelten Tagesablauf mit Job und Hobbys, nascht an zwei Tagen in der Woche ein bisschen. Das darf sie laut Ernährungskonzept, an das sie sich wieder hält. Die Stormarnerin hat einen ausgeprägten Kinderwunsch, sagt: „Es ist therapeutisch bestätigt, dass ich das Familienschema nicht übertragen kann.“