Ahrensburg. Heidrun Scholz musste wegen der Corona-Pandemie der Einäscherung ihrer Mutter fernbleiben. Sie sagt: „Das ist unmenschlich“.
Als der Leichnam ihrer Mutter im Krematorium in Ahrensburg eingeäschert wird, steht Heidrun Scholz mit ihrem Mann und ihrer Schwester vor dem Fenster der Feuerhalle. „Um zumindest in Gedanken dabei sein zu können“, wie die 56-Jährige sagt. Denn sie darf der Verbrennung nicht beiwohnen – trotz mehrfacher Bitte ihrerseits. Das Krematorium habe dies abgelehnt, sagt Scholz. Als Grund habe es den wegen der Corona-Pandemie nötigen Infektionsschutz genannt und auf das Gesundheitsamt des Kreises Stormarn verwiesen, das die Teilnahme untersage.
Ihre Mutter war am 28. April in einem Krankenhaus gestorben
Eine Woche ist seit dem Vorfall vergangen, Heidrun Scholz ist noch immer sichtbar aufgewühlt und verzweifelt. „Es ist für mich ein unverzichtbarer Akt des Abschiednehmens, beim Hineinschieben des Sargs in das Feuer dabei zu sein“, sagt sie. Und weiter: „Aus ethischen und religiösen Gründen ist dies für mich unerlässlich. Ich wollte meiner Mutter in diesem Moment nah sein.“ Mit dem Ausschluss vom Akt des Verbrennens sei ihr ein wichtiger Teil der Trauerverarbeitung genommen worden.
Ihre Mutter war am 28. April nach gesundheitlichen Problemen im Alter von 82 Jahren in einem Krankenhaus in Hamburg gestorben. Die Einäscherung sei der ausdrückliche Wunsch der Seniorin gewesen. „Den Ablauf kannte ich bereits vom Tod meiner Schwiegermutter vor vielen Jahren“, sagt Scholz. Damals hätten die Angehörigen bei der Einäscherung dabei sein können, allerdings war dies in einem Krematorium in Stendal (Sachsen-Anhalt). „So hatte ich mir das jetzt auch vorgestellt.“
Chef nennt den Schutz der Mitarbeiter als Begründung
Nachdem sie über die beauftragte Bestattungsfirma erfahren habe, dass sie der Einäscherung wegen der Corona-Pandemie wohl nicht beiwohnen dürfe, habe sie mehrmals im Krematorium und dann auch beim Gesundheitsamt des Kreises angerufen. „Selbstverständlich hätte ich im Krematorium Maske und Handschuhe getragen, um den Hygieneschutz zu gewährleisten“, sagt Heidrun Scholz. Zudem wollte sie allein ins Krematorium gehen, hätte im Falle einer entsprechenden Erlaubnis höchstens noch ihren Mann mitgenommen.
Bei der Behörde in Bad Oldesloe habe sie erfahren, dass es kein entsprechendes Teilnahmeverbot wegen der Corona-Krise gebe. Kreissprecher Gregor Tuscher bestätigt das auf Anfrage dieser Zeitung. Er sagt: „Es besteht kein Betretungsverbot für solche Einrichtungen.“ Krematorien stünden auf der sogenannten Positivliste des Landes, dürfen demnach ihren Betrieb fortsetzen und öffnen. Aber sie könnten natürlich selbst entscheiden, den Zugang für Besucher zu beschränken, wenn zum Beispiel Auflagen wie das Abstandsgebot von 1,50 Meter wegen der Größe der Räumlichkeiten nicht gewahrt werden könnten, so Gregor Tuscher weiter.
Krematoriumschef: „Wir arbeiten in einem sensiblen Bereich“
Dietmar Schmidt ist Geschäftsführer von Stormarns einzigem Krematorium in Ahrensburg. Auf der Internetseite des Unternehmens heißt es: „Die Angehörigen können von einem geschmackvoll gestalteten Verabschiedungsraum aus der Übergabe des Sarges an das Element Feuer beiwohnen." Schmidt sagt dazu: „Das ist eine Sonderleistung, die wir erbringen, wenn es möglich ist.“ Derzeit sei dies wegen der Corona-Pandemie aber nicht der Fall.
„Wir arbeiten in einem sensiblen Bereich, müssen auf uns selbst achten und uns vor einer Ansteckung schützen“, sagt der Krematoriumschef. Und weiter: „Der Sarg muss vor der Einäscherung von unseren Mitarbeitern bewegt werden. Wenn sie in Quarantäne müssen, bekommen wir Schwierigkeiten. Dann kann das Krematorium nicht mehr arbeiten.“ Das gelte es unbedingt zu verhindern. Schmidt sagt: „Wir gehen bei diesem Thema kein Risiko ein. Die Situation erfordert das.“
Die Auseinandersetzung hat Scholz viel Kraft gekostet
Heidrun Scholz ist am Tag der Einäscherung trotz allem nach Ahrensburg gefahren. Sie habe beim Krematorium geklingelt – in der Hoffnung, vielleicht doch noch hineingelassen zu werden. Doch ohne Erfolg. Ein Mitarbeiter habe ihr das Fenster gezeigt, hinter dem sich der Raum mit dem Ofen befinde. Dort blieben die Angehörigen dann stehen und warteten.
„Wir haben nichts gesehen, nur Geräusche gehört“, sagt die 56-Jährige. „Ich fühlte mich so allein, als ob ich etwas Schlimmes verlangt hätte und nun etwas Verbotenes täte, weil ich mich in der Nähe des Krematoriums aufhalte.“ Sie habe dem Umgang als „unmenschlich“ empfunden. „Die Auseinandersetzung hat mich viel Kraft gekostet – und das in dieser Situation“, sagt sie. „Das wünsche ich niemand anderem.“ Deshalb habe sie im Anschluss einen Brief an das Gesundheitsamt des Kreises Stormarn und die zuständige Industrie- und Handelskammer geschrieben, um auf den Fall aufmerksam zu machen.
Auf dem Friedhof in Rahlstedt kann sie Abschied nehmen
„Für mich lässt sich zwar nichts mehr ändern“, sagt sie. „Aber ich möchte nicht, dass es anderen Menschen genauso ergeht. Ich hoffe, dass die Regelung vielleicht noch mal überdacht wird.“
Ende Mai wird die Urne mit der Asche ihrer Mutter auf dem Friedhof in Hamburg-Rahlstedt beigesetzt. „Dort dürfen wir uns mit zehn Personen und Abstand um die Grabstätte versammeln“, sagt Scholz. „Dann kann ich noch mal von meiner Mutter Abschied nehmen. Das kann mir zum Glück niemand nehmen.“
Krematorien stehen auf der sogenannten Positivliste
Die Landesregierung in Kiel zählt auf ihrer sogenannten Positivliste auf, welche Verkaufsstellen und Dienstleistungen trotz der Corona-Pandemie öffnen beziehungsweise angeboten werden dürfen. Die Übersicht ist im Internet unter www.schleswig-holstein.de zu finden und wird immer wieder den aktuellen Entwicklungen angepasst. Seit den Lockerungen in der vergangenen Woche stehen zum Beispiel Sonnen- und Piercingstudios drauf. An diesem Montag kommen Fitnessstudios, Restaurants und Hotels dazu, die unter Auflagen wieder öffnen dürfen. Der Betrieb von Krematorien war während der Corona-Pandemie durchgängig gestattet. Kreissprecher Gregor Tuscher sagt: „Sie gehören zum systemrelevanten Bereich.“