Lübeck. Einschlägig vorbestrafter Sporttrainer im Rentenalter soll sich mehrfach an einer Achtjährigen vergangen haben.

Im Missbrauchsprozess gegen einen Sporttrainer aus Stormarn gibt es weiterhin kein Urteil. Stattdessen beginnt der dritte Verhandlungstag vor dem Landgericht Lübeck mit einem Paukenschlag. Die Verteidiger des 73 Jahre alten Angeklagten Ullrich K. (alle Namen geändert), die Rechtsanwälte Christian Albrecht und Franziska Mayer, stellen einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin Helga von Lukowicz. Und es bleibt nicht der einzige Antrag dieser Art: Drei weitere folgen im Laufe des Prozesstages.

Anklage wirft dem Mann schweren sexuellen Missbrauch vor

Ullrich K. steht seit Anfang Februar in Lübeck vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Trainer und Inhaber eines Fachgeschäfts für Sportartikel schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes vor.

Während seiner Tätigkeit in einem Stormarner Sportverein zwischen 2012 und 2015 soll sich der Mann an der heute 15 Jahre alten Emily S. mindestens sechsmal vergangen haben. Das Mädchen war bei der ersten Tat acht Jahre alt. Während Trainingseinheiten soll K. das Kind auf dem Sportplatz im Intimbereich und an der Brust berührt haben. Während gemeinsamer Autofahrten habe K. das Mädchen und sich selbst entblößt und sich selbst befriedigt.

Auch ein befreundetes Ehepaar belastet den 73-Jährigen

„In zwei Fällen soll er auch versucht haben, den Geschlechtsverkehr mit dem Kind auszuführen, was ihm in einem Fall gelungen sein soll“, heißt es in der Anklageschrift. Am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht hatte zudem ein mit dem Angeklagten befreundetes Ehepaar dem 73-Jährigen vorgeworfen, während einer Grillparty 2018 ihrer damals fünf Jahre alten Tochter seinen Penis gezeigt zu haben.

Ullrich K. bestreitet die Taten, äußerte sich bislang nicht. Bereits 2005 hatte das Amtsgericht Ahrensburg K. zu einer Bewährungsstrafe von eineinhalb Jahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt.

Anwalt vermutet „persönliche Abneigung“ der Richterin

Der Konflikt zwischen K.s Verteidigern und der Vorsitzenden Richterin, der zu den Befangenheitsanträgen führte, schwelt seit Prozessbeginn. Die Verteidigung wirft der Großen Strafkammer unter Vorsitz von von Lukowicz vor, Beweise, die ihren Mandanten entlasten, im Verfahren systematisch zu vernachlässigen.

Hintergrund ist, dass K.s Verteidiger Christian Albrecht beweisen möchte, dass nicht Ullrich K. Emily S. missbrauchte, sondern möglicherweise deren Stiefvater, Sebastian S., der inzwischen von der Familie getrennt lebt.

Verteidiger rückt Stiefvater des Mädchens ins Gespräch

„Mein Mandant beteuert seine Unschuld, er weist darauf hin, dass es große Probleme in der Familie des Opfers gab“, erklärt Albrecht. Diesen Eindruck hätten Zeugen vor Gericht bestätigt. „Sowohl die Mutter als auch andere Familienangehörige haben ausgesagt, dass Emily S. ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Stiefvater hatte.“

So sei dieser alkoholabhängig gewesen und, wie die Mutter bestätigte, abends oft stark betrunken gewesen. Albrecht: „Und er war häufig mit Emily allein, weil er und die Mutter zeitversetzte Schichten hatten.“ Außerdem leide Sebastian S. laut Aussage seiner Mutter an einer nicht näher genannten Krankheit. „Eine Nachfrage seitens der Verteidigung dazu hat die Kammer für unzulässig erklärt“, so Albrecht.

Gericht sieht keine Anhaltspunkte für Vergehen des Stiefvaters

„Es kommt vor, dass Kinder, die Opfer von sexueller Gewalt durch ihre Eltern werden, die Taten auf andere Vertrauenspersonen projizieren“, sagt Albrecht. Das sei ein psychologisches Schutzphänomen. „Und mein Mandant war, wie wir gehört haben, eine solche enge Vertrauensperson außerhalb der Familie.“ So hätten K. und seine Frau Emily S. wie eine Enkeltochter behandelt, auch abseits des Trainings mit ihr Ausflüge unternommen und ihr Geschenke gemacht.

Daher hatten die Verteidiger beantragt, Sebastian S. als Zeugen vorzuladen und zu seinem Verhältnis zu seiner Stieftochter zu befragen. Doch das Gericht lehnt die Vernehmung zu Beginn des dritten Prozesstages ab. „Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Stiefvater eine Straftat gegenüber Emily S. begangen hat.

Richterin Helga von Lukowicz (Mitte), Vorsitzende der Große Strafkammer am Landgericht Lübeck, mit ihren Beisitzern.
Richterin Helga von Lukowicz (Mitte), Vorsitzende der Große Strafkammer am Landgericht Lübeck, mit ihren Beisitzern. © Filip Schwen

Ein von ihnen so bezeichnetes schwieriges Verhältnis zwischen beiden tut in diesem Verfahren nicht zur Sache“, sagt von Lukowicz. Daraufhin stellen K.s Verteidiger den ersten Befangenheitsantrag. „Zeugen, die für den Angeklagten günstig sind werden nicht zugelassen. Fragen, die für unsere Verteidigungsstrategie relevant sind, beanstandet“, begründet Franziska Mayer das Vorgehen.

Kammer lehnt Befangenheitsanträge ab

Anschließend zieht sich die Kammer zurück, um über den Antrag zu entscheiden. Eine knappe Stunde später verkündet sie: Der Befangenheitsantrag wird abgelehnt, er sei nicht gerechtfertigt. Die Beweisanträge der Verteidigung zielten auf Sachverhalte, die rein spekulativ seien und für die es keine Anhaltspunkte gebe.

Ks. Verteidiger reagieren mit weiteren Beweisanträgen, wollen einen Handychat zwischen Angeklagtem und Opfer verlesen lassen und ehemalige Nachbarn von K. vorladen, um dessen gutes Verhältnis zu Emily S. nachzuweisen. „Die Zeugen werden uns auch von den familiären Problemen berichten“, so Albrecht. Wieder berät die Kammer, wieder lehnt sie die Beweisanträge als unbegründet ab. Albrecht reagiert ungehalten, wirft von Lukowicz eine persönliche Abneigung ihm gegenüber vor. „Egal was ich beantrage, sie blockieren alles“, echauffiert er sich.

Der Prozess soll am 28. Februar fortgesetzt werden

Erneut stellen die Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende, den die Kammer nach Beratung ablehnt. Der Vorgang wiederholt sich am Mittwoch auch ein drittes Mal. Mit den eigentlich für den dritten Prozesstag geplanten Plädoyers können Staatsanwältin, Verteidigung und Nebenklage nicht mehr beginnen. Stattdessen hat das Landgericht einen zusätzlichen Verhandlungstag für diesen Freitag, 28. Februar, anberaumt. Doch ob das Verfahren dann mit einem Urteil abgeschlossen werden kann, ist unklar. Zunächst muss die Kammer über einen weiteren, vierten Befangenheitsantrag gegen Helga von Lukowicz entscheiden.