Glinde. Das Abendblatt hat einen Tag lang Beschäftigte und Bewohner des Togohofs begleitet. In dem Heim in Glinde leben 112 Menschen.
Um 4.30 Uhr ist es mit dem Schlafen vorbei an diesem Tag. Duschen, einen Becher Kaffee trinken, kurz Nachrichten schauen – rund 30 Minuten dauert das. Dann steigt Karsten Zilm in sein Auto und fährt von Mölln nach Glinde. Dort arbeitet die examinierte Pflegekraft im Togohof, einem Altenheim, in dem 112 Menschen leben. Es ist ein anspruchsvoller Job. Der 51-Jährige ist nicht nur gefragt, wenn es darum geht, Insulin zu spritzen, Medikamente zu verteilen oder Senioren zu waschen. Er und seine Kollegen fungieren auch als Prellbock, wenn Bewohnern zum Beispiel das Essen nicht schmeckt und sie deswegen meckern. Auch gibt es verbale und körperliche Attacken gegenüber Mitarbeitern. Trotzdem macht Zilm seine Arbeit gern. Das Abendblatt hat ihn und seine Mitstreiter einen Tag lang begleitet sowie mit Pflegebedürftigen gesprochen.
Im Wohnbereich 3 betreuen fünf Pfleger 50 Menschen
Im Wohnbereich mit der Nummer drei ist der Möllner die stellvertretende Leitung. Lindenallee heißt dieser Abschnitt, darauf weist ein blaues Schild mit weißen Buchstaben neben dem Fahrstuhl hin. Auf zwei Etagen betreuen in der Frühschicht, die um 6.15 Uhr beginnt, normalerweise fünf Pfleger und eine Servicekraft 50 Damen und Herren. Doch heute sind sie einer weniger. Ein Kollege von der Zeitarbeit hat sich kurzfristig abgemeldet.
Pfleger wäscht und duscht acht Personen in 90 Minuten
Nach der Übergabe bereitet Zilm Tabletts mit Medikamenten vor. Und er zählt jene in den Schränken nach, bestellt bei Bedarf nach. Es muss zügig gehen, denn ab 6.30 Uhr werden Bewohner gewaschen und geduscht. Acht Personen schafft Zilm binnen eineinhalb Stunden. Daneben nimmt er Anrufe an, weil das Büro erst ab 8 Uhr besetzt ist. „Der Job ist bedeutend stressiger geworden“, sagt der gebürtige Rügener. Er berichtet von frustrierenden Momenten, seine gute Laune verliert er aber nicht.
Für Spaziergänge mit den Senioren fehlt es leider an der Zeit
Dann bringt Zilm Senioren, die im Rollstuhl sitzen, in den Frühstücksraum, hält dabei Klönschnack und fragt nach deren Befinden. Er hilft auch bei der Nahrungsaufnahme. Nicht jeder ist mehr in der Lage, das Brot zu schmieren oder den Löffel in die Hand zu nehmen und Richtung Mund zu führen. Für einen gemeinsamen Spaziergang hat er keine Zeit mehr, dafür sind spezielle Betreuer zuständig. Neun davon sind in der Einrichtung aktiv. Auch gibt es im Togohof 25 Ehrenamtler, die sich um die Freizeitgestaltung der Bewohner kümmern.
Auch in der Frühstückspause haben die Bewohner Vorrang
Binnen kürzester Zeit klingelt Zilms mobiles Telefon dreimal. Erst ist ein Angehöriger einer älteren Dame dran, danach kündigt sich ein Vertreter für Rollstühle und Verbandsmaterial an. Nicht zu vergessen eine Ärztin, die am frühen Nachmittag vorbeischaut.
Zilm hat Elektromonteur gelernt, wollte in dem Beruf aber nicht Fuß fassen. Also ging er nach der Wende zu einem Wachdienst, machte schließlich auf Rügen eine Ausbildung im Pflegebereich. Diese dauerte drei Jahre. Er arbeitete in einem Hospiz und in verschiedenen Heimen auch in Hamburg. „Da war ich auf dem Weg in einen Burn-out, habe die Reißleine gezogen“, erzählt der Hobbygärtner. Seit fünfeinhalb Jahren ist er im Togohof, arbeitet seitdem mit denselben Kollegen zusammen.
Pflegerin beugt eigenen Rückenproblemen im Fitnessstudio vor
Um 9 Uhr sitzen sie in ihrem Raum und frühstücken, reden über das Kochen. Julia Wienke (34) ist die zweite examinierte Kraft der Schicht, seit 17 Jahren in der Branche und körperlich fit. Die Glinderin sagt: „Um Rückenproblemen vorzubeugen, gehe ich ins Fitnessstudio und jogge.“ Eine andere Mitarbeiterin hat Biscuits und Salami-Sticks für alle mitgebracht. Das Haus stellt Kaffee und Wasser. Die Pause dauert 30 Minuten. Wenn aber Bewohner so wie jetzt gleichzeitig klingeln, wird diese unterbrochen. Die Senioren haben Vorrang. „Heute ist ein ruhiger Tag“, sagt Zilm. Ein Bewohner sei mit einer Lungenentzündung in die Klinik gekommen, und es gebe wenig Absprachen mit Ärzten.
Hin und wieder werden Senioren gewalttätig gegen Pflegekräfte
Hinter ihm auf der Pinnwand sind Dienstpläne angeheftet – und ein Zettel mit der Überschrift „Zwei Armlängen Distanz“. Es geht um Gewalt gegenüber Pflegekräften. Das Thema ist auch im Togohof allgegenwärtig. „Die Aggressivität der Leute nimmt zu, wir werden körperlich vornehmlich von Dementen angegangen, aber auch von psychisch Kranken“, sagt Zilm. Mehr als 3000 Euro brutto im Monat verdient er als Vollzeitkraft bei zwölfeinhalb Gehältern im Jahr. Darüber hinaus bekommen die Mitarbeiter Feiertags- und Nacht- sowie Kinderzuschlag, haben 30 Tage Urlaub per anno. Zilm arbeitet in der Regel Früh- und Spätschicht, hilft nur in Notfällen nachts aus. Dann sind drei Pfleger für alle Bewohner zuständig.
Für fünf Ausbildungsplätze im Heim gibt es zu wenig Bewerber
In dem Haus der Wichern-Gemeinschaft sind rund 100 Menschen beschäftigt, unter anderem in der Großküche, die auch Altenheime des Vereins in Reinbek und Wentorf beliefert. 45 Planstellen hat der Togohof in der Pflege, zwei solcher für Examinierte sind unbesetzt. „Das kompensieren wir mit Zeitarbeitern, obwohl wir das eigentlich nicht mögen“, sagt Einrichtungsleiterin Edith Schnoor (60). Von fünf Ausbildungsplätzen sind nur zwei vergeben – wegen fehlender Bewerber. Die Branche leidet unter Fachkräftemangel. „Wobei wir das Glück haben, dass viele Mitarbeiter schon lange bei uns sind, einige 30 Jahre“, sagt Edith Schnoor. Und man habe wenig Fluktuation, 2019 seien zwei Kräfte gegangen.
Arbeitsagentur Stormarn verzeichnet 76 offene Stellen in der Pflege
Bei der Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe sind derzeit 76 offene Stellen für examinierte Altenpflegekräfte in Stormarn gemeldet. Drei Jahre zuvor waren es 25 weniger. „Sie können aus einem breiten Stellenangebot wählen und haben dabei die Chance, Verdienstmöglichkeiten oder flexible Arbeitszeitmodelle gegeneinander abzuwägen, um den für sich passenden Arbeitsplatz zu finden“, sagt Agenturchefin Heike Grote-Seifert.
Michael Zilm verteilt am späten Vormittag wieder Tabletten und misst den Zuckerwert von Manfred Sturm. Der 89-Jährige ist im August 2019 mit seiner Frau (90), die Parkinson hat, eingezogen. Ein Jahr hatte das Paar auf den Platz gewartet. Beide waren in ihrer Eigentumswohnung in Oststeinbek oft hingefallen, der Senior zog sich dabei einen Schädelbruch zu. Er sagt: „Es ist hier natürlich anders als zu Hause, aber Herr Zilm ist sehr zuvorkommend und immer freundlich.“ Mit den Zeitarbeitern sei er allerdings nicht immer zufrieden.
Dokumentation nimmt immer mehr Zeit in Anspruch
Lob für Zilm und die Angestellten gibt es auch von Herma Mühlena (93) und Helga Dorniden (72), die beide dem Bewohnerbeirat angehören. „Es wird angeklopft und gewartet, bis man hineinbittet“, sagen die Damen. Und die Pfleger seien schnell zur Stelle, wenn man klingele, zudem sei der Umgangston sehr gut.
Eine Mittagspause hat die Frühschicht nicht. Zilm begleitet Bewohner zum Essen, schneidet einigen das Fleisch klein. Nachdem alle versorgt sind, macht er Intimpflege bei zwei Personen und bringt Senioren zwecks Mittagsruhe ins Bett. Es folgen Verbandswechsel und der Anruf bei einem Bestatter. „Wir kriegen mehr Leute als früher in Finalpflege. Sie kommen aus dem Krankenhaus zum Sterben hierher“, sagt er. Gabriela Pacynko (61) hat diesen Job fünf Jahre gemacht, sich dann aus der Pflege zurückgezogen und ist nun Betreuungskraft. Sie leitet die Spielgruppe. „So habe ich mehr Zeit für die Bewohner“, sagt sie.
Dokumentation nimmt zu viel Zeit in Anspruch, sagen Mitarbeiter
Zilm stört, dass er und seine Kollegen immer mehr dokumentieren müssen. Ab Februar füllen sie zusätzlich alle sechs Monate ein mehrseitiges Formular für jeden Bewohner aus und senden es an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Darin bewerten die Fachkräfte unter anderem kognitive und kommunikative Fähigkeiten.
Um 13.30 Uhr trifft sich Zilm zur Übergabe, berichtet, dass ein Bewohner seit zwei Tagen nicht frühstückt und den Besuch eines Arztes ablehnt. „Da müssen wir uns was einfallen lassen.“ An diesem Wochenende hat er frei, ab Montag acht Tage am Stück Dienst. „Eigentlich habe ich einen schönen Beruf. Wir helfen, erfahren Dankbarkeit von Bewohnern“, sagt der Möllner. Dann wird er von Tatjana Hooge (54) abgelöst. Als Helga Doniden diese auf dem Flur entdeckt, umarmt sie die Pflegerin liebevoll und wünscht ihr „ein frohes 2020“.