Glinde. Zahl der polizeilich bekannten Fälle in Stormarn gestiegen. Situation im Frauenhaus spitzt sich zu. Aktionen zu Hilfsangeboten.

Seit vielen Jahren machen die hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten und ihre Kooperationspartner in Stormarn rund um den internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November auf einen Missstand aufmerksam, der sich durch alle gesellschaftliche Schichten zieht. Gisela Bojer vom Verein „Frauen helfen Frauen Stormarn“ sagt: „Statistisch gesehen müsste eigentlich jeder im Bekanntenkreis jemanden haben, der von Partnergewalt betroffen ist.“ Doch das Thema werde immer noch tabuisiert und vielfach als Privatangelegenheit angesehen. Ziel der Aktionen sei es zu erreichen, dass Gewalt gegen Frauen geächtet werde.

Denn tätliche Angriffe auf Frauen und Mädchen sind kein Nischenproblem, sondern Alltag in Deutschland. Und traurige Realität im Kreis Stormarn, wie Zahlen belegen: 2018 übermittelte die Polizei 65 Fälle häuslicher Gewalt an die Frauenberatungsstellen. 25-mal wurde eine sogenannte polizeiliche Wegweisung des Täters ausgesprochen, die eine Zeitspanne von bis zu 14 Tagen umfassen kann. Sie beinhaltet die Wohnungsverweisung sowie ein Rückkehr- und Betretungsverbot. 59 weitere Frauen meldeten sich aus eigener Initiative bei den Beratungsstellen wegen häuslicher Gewalt. 124 Fälle in einem Jahr kreisweit – die Dunkelziffer der Betroffenen dürfte um ein Vielfaches höher sein. Und in Extremfällen führt die Gewalt zum Tod des Opfers. In Stormarn war das 2016 und 2017 je einmal der Fall. Zwei versuchte Tötungsdelikte gab es 2017 und 2018.

Stormarn hat das kleinste Frauenhaus im Land

Gisela Bojer (M.) mit den Rechtsmedizinerinnen Daniela Fröb (l.) und Antonia Fitzek, die ein Projekt zur Spurensicherung bei häuslicher Gewalt verantworten.
Gisela Bojer (M.) mit den Rechtsmedizinerinnen Daniela Fröb (l.) und Antonia Fitzek, die ein Projekt zur Spurensicherung bei häuslicher Gewalt verantworten. © HA | Katharina Geßler

Schon jetzt übertreffen die polizeilich gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt in diesem Jahr die Zahlen des Vorjahres. „Bisher haben wir 79 Fälle verzeichnet“, berichtet Gisela Bojer. „Frauen helfen Frauen“ ist Träger der Frauenfachberatungsstelle Bad Oldesloe und des einzigen Frauenhauses im Kreis. Dessen Kapazitäten reichen für die vielen Anfragen nicht aus. Kein Wunder: Für Schutzsuchende und ihre Kinder gibt es gerade mal 14 Plätze in der Einrichtung.

Stormarn sei zwar der reichste Kreis Schleswig-Holsteins, habe aber das kleinste Frauenhaus im Land, so Bojer. „Voll oder überbelegt waren wir immer schon, aber 2018 gab es über längere Zeiträume keinen freien Platz in Frauenhäusern in ganz Schleswig-Holstein.“ Die Situation habe sich zugespitzt. In einer Mitteilung der Stormarner Gleichstellungsbeauftragten Sophie Olbrich heißt es: „Das Frauenhaus bot 2019 Schutz und Wohnmöglichkeit für 46 Frauen und 52 Kinder. 99 Frauen mit 110 Kindern mussten an andere Frauenhäuser im Land vermittelt oder wegen Platzmangels abgewiesen werden.“ Demnächst soll die Belegzahl des Frauenhauses erhöht werden – um einen Platz.

Merks rät, Nachbarn um Unterstützung zu bitten

Am heutigen Mittwoch, 27. November, verteilt Bojer anlässlich der Kampagne von 10 bis 12 Uhr am Informationsstand auf dem Oldesloer Wochenmarkt Brötchentüten, die mit der Nummer des bundesweiten Frauen-Hilfetelefons 08000/11 60 16 bedruckt sind. „Mit dieser Aktion der Öffentlichkeitsarbeit gehen wir auf die Menschen zu“, sagt Bojer, und mit vielen komme sie auch ins Gespräch. Manche Gesprächspartnerinnen outeten sich als Opfer, andere fragten, wie sie von Gewalt Betroffenen aus ihrem Bekanntenkreis helfen könnten.

In Glinde ist die Brötchentütenaktion bereits vorbei. Am Montag hatte es im BrAWO-Center eine konzertierte Aktion von Gleichstellungsbeauftragter, Koordinatorin des „Stadt ohne Partnergewalt“-Projekts (SToP), Frauenforum und Frauen- und Mädchenberatungsstelle der SVS gegeben. Petra Merks von der Beratungsstelle sagt: „Wir haben darauf hingewiesen, dass die Menschen die Augen aufmachen und nicht zurückschrecken sollen, wenn sie von Gewalt gegen Frauen erfahren.“ Es gebe viele Wege zu helfen. „Wenn man die Gewalt unmittelbar mitbekommt, muss man nicht unbedingt an der Wohnungstür klingeln und sagen, tu deiner Frau nichts“, so Merks. Besser sei es, eine unauffällige Frage zu stellen – wie nach dem Leihen von einem Lebensmittel – und so die Gewaltanwendung zu unterbrechen. „Sonst kann man sich selbst in Gefahr bringen.“ Merks rät, Nachbarn um Unterstützung zu bitten. Wer weniger mutig sei, könne beim Hilfetelefon um Rat nachfragen. Die Beratung kann in 17 Sprachen erfolgen und ist rund um die Uhr erreichbar.

Im Glinder Gutshaus wird eine neue Ausstellung eröffnet

Im Gutshaus Glinde (Möllner Landstraße 53) wird am Donnerstag, 5. Dezember (19.30 Uhr), die Ausstellung „Glaubt mir, ich bin an einem sicheren Ort“ eröffnet. sie beschäftigt sich in Fotografien und Texten mit häuslicher Gewalt und dem Frauenhaus. In Bargteheide steht am Freitag, 29. November, von 14 bis 16 Uhr ein Infostand auf dem Wochenmarkt, an dem auch wieder Brötchentüten verteilt werden. Einen Tag später gibt’s dieselbe Aktion auf dem Ahrensburger Wochenmarkt von 10.30 bis 12 Uhr. Im Verwaltungsgebäude von Trittau ist bis Freitag, 29. November, ein Stand mit Infomaterial öffentlich zugänglich. Die Gleichstellungsbeauftragte zeigt am Dienstag, 3. Dezember, um 19 Uhr im Bürgerhaus (Europaplatz 8) den Kinofilm „Shortcut to Justice“ über die Situation der indischen Frauen.

Weibliche Opfer von Gewalt können helfen, diese öffentlich zu machen. Auf www.Gewaltreport.de gibt es anonyme Umfragen zum Thema.