Stapelfeld. Stapelfeld genehmigt Bauplan für Müllverbrennungsanlage. Bürger wollen weiter gegen 150-Millionen-Euro-Projekt kämpfen.

„Alles klar. Danke“: In drei Wörtern fasste Stapelfelds Bürgermeister Jürgen Westphal (Wählergemeinschaft WGS) die Abstimmung der Gemeindevertretung zum Neubau der Müllverbrennungsanlage (MVA) zusammen. Fünf Kommunalpolitiker stimmten fürs gemeindliche Einvernehmen nach dem Baugesetzbuch, vier enthielten sich, einer war dagegen. Die drei weiteren fehlten krankheitsbedingt.

Dem Votum war eine emotional geführte Einwohnerfragestunde vorausgegangen. Zwei Dutzend Bürger appellierten vehement an die Gemeindevertreter, Nein zu den Plänen des MVA-Betreibers EEW Energy from Waste zu sagen. Das Unternehmen will bis Mitte 2022 für schätzungsweise 150 Millionen Euro ein Restmüll-Heizkraftwerk sowie zusätzlich eine sogenannte Mono-Klärschlammverbrennung errichten.

„Die Aussage, es gebe keine Gründe, das gemeindliche Einvernehmen zu versagen, ist nicht nachzuvollziehen“, sagt Gerhard Schack, MVA-Kritiker.
„Die Aussage, es gebe keine Gründe, das gemeindliche Einvernehmen zu versagen, ist nicht nachzuvollziehen“, sagt Gerhard Schack, MVA-Kritiker. © Ewelina Berger

Für die erste Aufregung sorgte Gerhard Schack mit seinem Antrag, nicht nur während der Fragestunde mitreden zu dürfen, sondern auch in der Debatte der Gemeindevertreter. Er habe „Ungereimtheiten“ entdeckt, die dringend zu klären seien. Das Ansinnen wurde abgelehnt, löste aber eine Nebendiskussion aus, die zeigt, wie angespannt einige Nerven im 1800-Einwohner-Ort sind. Jürgen Westphal sprach irrtümlich von einem Antrag der Bürger-Interessen-Gemeinschaft (BIG!), deren Sprecher Gerhard Schack ist. Dieser betonte, „als einzelner Bürger“ gehandelt zu haben. „Mein Fehler“, entgegnete Westphal, woraufhin Schack forderte, diesen Vorgang „im Protokoll festzuhalten“.

Klärschlamm als Dünger auf den Feldern

Die BIG!-Vorsitzende Katrin Delfs wollte wissen: „Was ist heute anders als 1991 und 2002, als die Gemeindevertretung MVA-Erweiterungen einstimmig abgelehnt hat?“ Damals sei es sogar noch eine deutsche Firma gewesen. „Heute gehört sie zu 100 Prozent Peking“, sagte sie in Anspielung auf die chinesische Holding Beijing Enterprises. Die hatte die EEW-Gruppe Anfang 2016 von einem schwedischen Investor gekauft. „Damals waren ganz andere Emissionswerte im Gespräch, zudem war eine Holzverbrennung geplant“, sagte Jürgen Westphal. Kai-Uwe Stehr (WGS) ergänzte, dass die Holzverbrennung gar nicht vom Bebauungsplan erfasst gewesen sei. Und SPD-Fraktionssprecher Klaus Fechner sagte: „Die MVA wollte ihre Kapazität deutlich von zwei auf drei Linien ausbauen, künftig gibt es sogar nur noch eine.“

Dann präzisierte Gerhard Schack seine Vorwürfe. Er habe entdeckt, dass der Landrat schon 2017 vom Einverständnis der Gemeinde Stapelfeld zum Bau der Klärschlammverbrennung geschrieben habe. Dazu kämen die widersprüchlichen EEW-Angaben zur Kapazität. „Die Aussage des Kreises, es gebe keine Gründe mehr, das gemeindliche Einvernehmen zu versagen, ist nicht nachzuvollziehen.“

Maximalkapazität für Untersuchungen

Beim Restmüll hatte EEW öffentlich 320.000 bis 350.000 Tonnen genannt, beim Klärschlamm 32.500 Tonnen Trockensubstanz plus 2500 als Reserve. Im Genehmigungsantrag standen für den Klärschlamm knapp 189.000 Tonnen. Beim Restmüll errechnete die BIG! rund 434.000 Tonnen. Daraufhin versicherte EEW schriftlich, dass die von Beginn an genannten Zahlen weiterhin gültig seien. Für alle Untersuchungen und Gutachten sei gesetzlich eine theoretische Maximalkapazität vorgeschrieben, die in der Praxis nie erreicht werde.

„Das Schreiben ist eindeutig, darauf beruft sich die Gemeinde“, sagte Jürgen Westphal. Die Gemüter vermochte er damit nicht zu beruhigen. „Wir sollen das alles einatmen!“, rief eine Frau. „Es geht um unsere Gesundheit!“, eine andere. Auch Kinder würden gefährdet. Zudem gebe es in der Nähe eine „Lungenheilanstalt“, was nicht zusammenpasse.

Lutz Tonne (CDU) erinnerte daran, dass der mit Mikroplastik und Antibiotika belastete Klärschlamm noch ungefiltert als Dünger auf den Feldern verteilt wird, was künftig per Gesetz verboten ist. „Möchten Sie, dass das weiter passiert?“, fragte er in die Runde. In und um Stapelfeld geschehe das nicht, meinten Bürger. „In der Umgebung wird Klärschlamm ganz klar auf Feldern verteilt, ohne Wenn und Aber“, sagte Bürgermeister Westphal. Und weil es im Norden keine Verbrennungskapazitäten gebe, werde Schlamm „bis nach Zwickau und Bayern“ gefahren.

Kreis sah in Ablehnung vorsätzlichen Rechtsbruch

„Auch in der Umgebung wird Klärschlamm ganz klar auf Feldern verteilt, ohne Wenn und Aber,“ sagt Jürgen Westphal (WGS), Bürgermeister.
„Auch in der Umgebung wird Klärschlamm ganz klar auf Feldern verteilt, ohne Wenn und Aber,“ sagt Jürgen Westphal (WGS), Bürgermeister. © René Soukup | René Soukup

Martin Wesenberg (WGS) sagte: „Wir gehen bestimmt nicht leichtfertig über Bedenken hinweg, sondern sind kritisch.“ Deshalb habe man sich von einem Fachanwalt beraten lassen, deshalb habe man wegen offener Fragen im September das gemeindliche Einvernehmen versagt, deshalb habe man im Genehmigungsverfahren eine 16-Punkte-Stellungnahme abgegeben. „Auch wir sind Bürger der Gemeinde“, so Wesenberg. Ähnlich argumentierte SPD-Vertreter Fechner, für den es „abenteuerlich“ ist, den Gemeindevertretern zu unterstellen, sie wollten Kinder vergiften: „Wir alle leben hier und möchten gesund alt werden.“

Nach EEW-Angaben ist die Klärschlammverbrennung bereits zu mehr als 80 Prozent mit Anlieferungen aus der Metropolregion Hamburg ausgelastet. „Wer garantiert, dass das fünf Jahre später noch so ist und kein Schlamm aus Italien oder England kommt?“, wollten Bürger wissen. Ob der Abgasschornstein – geplant sind 63 statt jetzt 110 Meter – nicht höher gebaut werden könne. Und ob die rund 500 Einwendungen, die es im Genehmigungsverfahren beim Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) gebe, bei der jetzigen Entscheidung berücksichtigt würden.

„Wir haben nur nach dem Baugesetzbuch zu handeln“, betonte Jürgen Westphal. Das bekräftigte die Amtsverwaltung. Ein Nein der Gemeinde sei ein vorsätzlicher Rechtsbruch, habe die Kommunalaufsicht des Kreises auf Nachfrage bestätigt. In dem Fall müsse der Kreis die Gemeinde quasi überstimmen und das Einvernehmen einsetzen. „Es ist also egal, was wir machen, das kommt sowieso“, sagte Helke Köhne (CDU) zusammenfassend. Während die Gemeindevertreter zum nichtöffentlichen Teil übergingen, diskutierten die MVA-Kritiker draußen vor der Tür unvermindert lebhaft, was nun zu tun sei. Für sie ist noch lange nicht alles klar.