Bargfeld-Stegen. Im Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus hospitieren Schüler auf einer Suchtstation. Präventions-Experte im Abendblatt-Interview.
Wie fühlt sich Sucht an? Was sind illegale Drogen? Und wie kommt man überhaupt in eine Suchtspirale? Antworten auf diese Fragen erhalten Schüler im Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus in Bargfeld-Stegen. Und sie lernen, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen. „Auf frühe Prävention kommt es an“, sagt Matthias Hollmann, Oberarzt der Suchtabteilung. „Zwar werden die Jugendlichen ihre eigenen Erfahrungen machen, so aber im Voraus die kritischen Aspekte von Drogen und Alkohol kennen.“
Wie die Sechstklässler der Norderstedter Gemeinschaftsschule Harksheide haben schon öfter Schüler einen Tag in der Klinik hospitiert. Die Leitung ist bestrebt, Besuche zu ermöglichen, selbst wenn längst nicht alle Anfragen im Stationsalltag erfüllt werden können. Doch auch wenn Patienten anonym bleiben wollten, sind sie laut Hollmann oft dankbar, ihre Geschichten erzählen zu können. „Gerade bei eigenen Kindern oder Enkelkindern ist ihnen die Aufklärung wichtig“, sagt der 34 Jahre alte Mediziner. „Hinter jeder Sucht steckt ein Einzelschicksal. In diesem Stadium zählt der Coolness-Faktor schon lange nicht mehr.“
Das Internet ist mit die größte Gefahr
Eine große Gefahr stelle heute das Internet dar. Informationen würden von Kindern und Jugendlichen meist ungefiltert aufgenommen, Drogenkonsum von YouTube-Stars regelrecht verharmlost. Auch das sogenannte Komasaufen sei nach wie vor Thema, auch wenn es aus der öffentlichen Diskussion fast verschwunden sei. „Ebenfalls kritisch sehe ich die Legalisierungswelle von Cannabis, weil wir im Klinikalltag die negativen Auswirkungen erleben“, so Hollmann. „Frühe Aufklärung ist deshalb der beste Schutz.“ Diese Forderung unterstützt auch Jan Oelkers, Bereichsleiter bei der Sucht- und Drogenberatung Südstormarn in Reinbek. Für das Abendblatt hat er Fragen rund um das Thema Drogenprävention beantwortet und erläutert, warum Aufklärung am besten bereits in der Grundschule beginnt.
Sind harte Drogen eher ein Problem der großen Städte?
Jan Oelkers Nein, auch wenn diese Vorstellung in der öffentlichen Wahrnehmung verankert ist. Zwar gibt es in Städten eine gewisse Ballung von Suchtmittelmissbrauch, aber ich kenne durchaus Jugendliche in Handwerksberufen auf dem platten Land, die öfter zu Kokain greifen.
Alkohol, Cannabis oder Crystal Meth – wo fängt Drogenmissbrauch überhaupt an?
Gefährlich ist tatsächlich bereits Alkohol, weil der Konsum bei uns kulturell tief verankert ist. Seit Alkopops verteuert wurden, sind sie bei Jugendlichen nicht mehr so stark angesagt. Das Problem ist jedoch, dass das Thema generell in unserer Gesellschaft unterschätzt wird.
Dann ist Cannabis harmloser?
Heute kann man das nicht mehr sagen. Der erhältliche Stoff kann nicht mit dem aus den 70er-Jahren verglichen werden. Die Pflanzen sind genmanipuliert und werden in nordeuropäischen Hochleistungsplantagen angebaut. Der hohe THC-Gehalt führt zu einer schnelleren Gewöhnung und Dosissteigerung. Außerdem kann der halluzinogene Wirkanteil Psychosen auslösen. In diesem Bereich sind die Fälle in den vergangenen drei Jahren gefühlt gestiegen.
Stichwort Tablettenabhängigkeit – auch bei Jugendlichen ein Thema?
Ja, vor allem in Studentenkreisen. Die jungen Menschen konsumieren Aufputschmittel, um größere Leistung bringen zu können. Hier sind die Dunkelziffern allerdings sehr hoch. Bis sich jemand in die Behandlung begibt, dauert es oft sehr lange. Das klingt für Eltern bedrohlich. Sie sollten in erster Linie ruhig bleiben und schauen, dass sie den Kontakt zu ihren Kindern nicht verlieren. Wie stark ist das Kind belastet? Zieht es sich zurück? Kommt es mit seiner Lebenswelt klar oder hat es sich verändert? Das alles sind Fragen, die Eltern im Kopf behalten sollten. Und wenn ein begründeter Verdacht besteht, aktiv werden und eingreifen.
Ab wann ist Prävention sinnvoll?
Wir fangen bereits im Grundschulalter an. Hier geht es zunächst um Einführungsthemen wie Zucker- und Medienkonsum. In erster Linie ist es wichtig, die Lebens- und Problemlösekompetenz der Kinder zu stärken. Bei Fragestellungen rund um diese Themen können Kinder erfahren, wie sie mit ihren Emotionen umgehen und ob sie diese ausgewogen regulieren können. Während der Grundschulzeit können wir auch über Elternarbeit viel erreichen.
Apropos Elternarbeit: Können Erwachsene denn nichts weiter tun, als ihre Kinder zu beobachten?
Neben einer Vorbildfunktion, die Eltern beim Alkoholkonsum haben, können sie ihr Kind bei der Wahl von Hobbys unterstützen. Eine Vielfalt an Beschäftigung ist wichtig – und zwar im Sportverein und mit Menschen. Dies ist für eine ausgewogene Entwicklung unabdingbar.
Weitere Informationen und Beratungsmöglichkeiten unter: sucht@svs-stormarn.de