Bad Oldesloe. Andreas Fichtner von der Rettungsleitstelle in Bad Oldesloe gab einem aufgeregten Vater Anweisungen für eine Hausgeburt.
Die kleine Leni fühlt sich sichtlich wohl am Tag der Rückkehr aus der Klinik in ihrem Zuhause in Ammersbek auf dem Arm ihrer Mutter Annika (34). Vater Sebastian streichelt das Baby, lächelt und ist ganz entspannt. Das war 56 Stunden vorher ganz anders, als plötzlich die Wehen bei seiner Lebensgefährtin einsetzten und der 35-Jährige in Hektik verfiel.
Er rief sofort bei der Integrierten Regionalleitstelle Süd in Bad Oldesloe an. Er ahnte schon, dass er jetzt anpacken musste, weil die Geburt unmittelbar bevor stand und der Weg in ein Krankenhaus zu weit ist. Allerdings fehlt ihm das medizinische Know-how. Dass dann alles gut ging und Leni heute wohlauf ist, verdankt die Familie Andreas Fichtner. Er nahm den Notruf an und wurde zum Geburtshelfer am Telefon.
Am Telefon hörte er zuerst einen Schrei
Für Fichtner beginnt an diesem Mittwochmorgen die Frühschicht wie immer um 6.30 Uhr im zweiten Stock der Kreisverwaltung an der Mommsenstraße in Bad Oldesloe. Er ist hellwach schon aufgrund des einstündigen Anfahrtsweges mit dem Auto aus Güster im Kreis Herzogtum Lauenburg, wo er direkt am See ein Haus bewohnt. Der Hobby-Angler sitzt an einem der sieben Arbeitsplätze mit vier Bildschirmen und einer großen Telefonanlage auch für den Funkverkehr.
Es sei einer der ersten Anrufe gewesen, wenige Minuten nach Arbeitsbeginn, den Fichtner so beschreibt: „Im Hintergrund hörte ich einen markerschütternden Schrei. Ein Mann sagte aufgeregt, wir sollen schnell kommen, er könne schon das Köpfchen des Babys sehen.“ Ihm sei sofort klar gewesen, dass es der Rettungswagen nicht mehr zeitig schaffen würde bis nach Ammersbek.
Das Baby war am Anfang blau angelaufen
Leni war seit fünf Tagen überfällig. Mutter Annika hatte ob der Wehen starke Schmerzen und befand sich auf der Toilette. „Ich habe dem Anrufer gesagt, er möge seine Frau auf den Boden setzen und ihre Beine anwinkeln.“ Immer wieder habe der Mann gefragt, was er jetzt machen solle. „Und ich konnte hören, wie sich die Wehen aufgebaut haben. Ich habe dann gesagt: pressen, pressen, pressen“, so Fichtner. „Und gelobt, er mache das ganz toll und wunderbar.“ Alles sei sehr schnell gegangen – wie von Null auf Hundert. Nach zwei Minuten war Leni dann da.
Doch damit war Fichtners Hilfe nicht beendet. Er sagt: „Der Mann war sehr aufgeregt, teilte mit, dass Kind sei blau angelaufen und atme nicht.“ Er habe daraufhin geraten, es auf den Arm zu nehmen mit Gesicht sowie Bauch nach unten und auf die Schulterblätter zu klopfen. Dann habe er auch schon das Schreien des Kindes gehört.
Vater: „Der Herr am Telefon hat sehr beruhigend gewirkt“
Fichtner wartete noch so lange am Telefon, bis die Kollegen im Rettungswagen vor Ort waren. Erst dann wurde die Nabelschnur von einem Notarzt durchtrennt. Mutter Annika und Leni kamen für zwei Tage in ein Krankenhaus. Dort wurde das Mädchen auch gewogen und gemessen: Es ist 53 Zentimeter groß und 3815 Gramm schwer. Vater Sebastian sagt: „Der Herr am Telefon hat sehr beruhigend gewirkt. Er hat mir die Angst genommen.“
Seine erste Tochter Lotta, die in Kürze ihren dritten Geburtstag feiert, kam wie geplant in einer Klinik zur Welt. Andreas Fichtner möchte seinen Einsatz nicht zu hoch bewerten: „Eine Geburt ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Vorgang. Ich musste dafür sorgen, die Mutter in Position zu bringen.“ Wenn das Kind gut liege, laufe alles wie von allein.
An dem Tag war auch die Bombenentschärfung in Glinde
In der Nachbetrachtung des Ereignisses sagt er: „Das sind Momente, in denen der Job extrem viel Spaß macht.“ Freude über die gelungene Hilfe habe er jedoch erst Stunden später auf der Heimfahrt verspürt, zu eingebunden sei er im Dienst gewesen. An jenem Mittwoch wurde in Glinde eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. 1000 Meter rund um den Fundort mussten die Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Bei Fichtner und seinen Kollegen gingen in der Frühschicht binnen sechs Stunden rund 550 Anrufe ein.
Andreas Rehberg ist Fachbereichsleiter Sicherheit und Gefahrenabwehr bei der Kreisverwaltung in Bad Oldesloe und damit der Rettungsleitstelle übergeordnet. Er sagt über Andreas Fichtner: „Von der Stimmlage her ist es so, dass der Kollege eine besondere Ausstrahlung hat.“ Die Gesprächsführung sei in der Ausbildung beim Kreis zum Einsatzsachbearbeiter – so lautet die offizielle Funktion von Andreas Fichtner – stetig weiterentwickelt worden. Der 45-Jährige bildet selbst aus, ist nicht verbeamtet, sondern angestellt.
Der eigene Sohn wurde per Notkaiserschnitt geboren
Dass er bei der Kreisbehörde eine berufliche Heimat finden würde, war gar nicht geplant. Nach der Realschule machte Fichtner eine Lehre zum Kfz-Mechaniker, war auch bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Danach startete er seinen Zivildienst und durch den Rat von Freunden parallel eine Ausbildung zum Rettungsassistenten, um nahtlos ins Angestelltenverhältnis überzugehen: beim Kreisverband Herzogtum Lauenburg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Auch dort bildete er aus, stieg zum stellvertretenden Wachleiter auf. Während dieser Zeit begleitete er im Außeneinsatz drei häusliche Geburten. Kenntnisse dafür erwarb er unter anderem während seiner Ausbildung bei einem Aufenthalt in der Gynäkologie der Ratzeburger Klinik.
Im Jahr 2009 wechselte Fichtner zum Kreis, ist jetzt ausschließlich im Innendienst aktiv. Seitdem habe es seiner Erinnerung nach nur einen Fall von telefonischer Geburtsbegleitung gegeben – und zwar im vergangenen Jahr. „Bei so einer Sache ist man nur auf sein Gehör angewiesen“, sagt der Vater eines neun Jahre alten Sohnes.
Dessen Geburt verlief übrigens alles andere als normal. Seine Frau, von der er inzwischen getrennt ist, lag 26 Stunden in den Wehen. Das Kind wurde per Notkaiserschnitt im Geesthachter Krankenhaus zur Welt gebracht. Andreas Fichtner war dabei: „Der Moment war nicht greifbar. Ich war damals nur erschöpft und froh, als es vorbei war.“