Grosshansdorf. Im Tierheim am Waldreiterweg landen Hunde und Katzen mit einer schwierigen Vergangenheit. Auch Pensionsgäste werden aufgenommen.
Ein Golden Retriever wird an der Autobahn 21 bei Bad Oldesloe ausgesetzt, läuft auf die vierspurige Fahrbahn. Über eine Strecke von acht Kilometern versuchen Beamte der Autobahnpolizei, das verängstigte und körperlich angeschlagene Tier einzufangen. „Autobahnpolizei jagt Hund“ steht über der Meldung, die dazu im März 2016 im Abendblatt erschienen ist.
Seit der Rettungsaktion lebt Benji im Tierheim Großhansdorf. Weil er bei der Verfolgung eine Polizistin gebissen hat, haben ihn die Behörden als Gefahrenhund eingestuft. Das erschwert die Suche nach einem neuen Zuhause erheblich. Denn die meisten Städte und Gemeinden in Stormarn verlangen deutlich höhere Steuersätze – Rümpel zum Beispiel gleich 1000 Euro statt der sonst üblichen 80 Euro im Jahr. Das schreckt viele Interessenten ab.
Inzwischen zählt der Golden Retriever mit seinen etwa 13 Jahren nicht nur zu den ältesten Bewohnern der Einrichtung am Waldreiterweg, sondern auch zu den langjährigsten. Er hat sich zu einem lieben, anhänglichen Hund entwickelt, der schwanzwedelnd über den Hof läuft und sich gern von den Mitarbeitern kraulen lässt. Trotzdem sagt Tierheim-Sprecherin Monika Ehlers: „Er ist wohl nicht mehr vermittelbar.“ Denn Benji kann kaum noch sehen und hören, darf deshalb nur allein in den Auslauf. „Er rennt sonst aus Versehen die anderen Hunde um.“ Und dann gebe es Stress.
„Das ist eine traurige Geschichte“, sagt die Großhansdorferin. Es ist nur eine von vielen, die sie seit Beginn ihres ehrenamtlichen Engagements für den Tierschutzverein Ahrensburg-Großhansdorf im Jahr 1993 erlebt hat. Immer wieder kommen neue hinzu.
24 Katzen suchen zurzeit einen neuen Besitzer
444 Tiere lebten im vergangenen Jahr in dem Haus am Wald, darunter gut ein Drittel Pensionsgäste. Sie werden nur während des Urlaubs ihrer Besitzer gegen eine Gebühr versorgt. 95 wurden dauerhaft abgegeben. Von den 188 Fundtieren wurden 77 von den Haltern wieder abgeholt, darunter fast alle Hunde. Bei den Katzen, die einen Großteil der Tierheim-Bewohner ausmachen, sieht die Situation anders aus. „Das stimmt mich besonders traurig“, sagt Ehlers, die selbst Katzenbesitzerin ist. „Das sind doch Familienmitglieder.“
Derzeit warten 24 Katzen auf ein neues Zuhause, darunter zwei „Schwergewichte“. Kira und Balou wiegen beide deutlich über zehn Kilogramm – normal wären vier bis fünf. Sie wurden aus der Wohnung einer schwer dementen Frau beschlagnahmt. „Das war falsch verstandene Tierliebe“, sagt Ehlers. „Sie wurden ständig gefüttert.“ Die Folge: Beide können wegen ihres Übergewichts nicht mehr richtig springen, sich kaum putzen. „Sie bekommen jetzt ein Fitnessprogramm mit wenig Futter und viel Auslauf, haben bereits zwei Kilo abgenommen“, sagt Tierpflegerin Sandra Grube. Die 27-Jährige arbeitet seit vier Jahren in Großhansdorf, ist Chefin der Katzen.
Mehr als 70.000 Tiere werden nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes jedes Jahr in den Sommermonaten ausgesetzt. In Großhansdorf verzeichnen die Mitarbeiter trotz der Ferienzeit keinen Anstieg. „Es liegt vielleicht daran, dass wir sehr viel Aufklärungsarbeit leisten“, sagt Ehlers. Dafür nehme die Zahl der Straßenhunde aus dem Ausland zu. „Viele handeln unüberlegt. Sie merken erst zu Hause, dass sie mit dem Tier doch nicht klarkommen.“
Hündin Dörte kann nur schwer Vertrauen aufbauen
Die neun Hunde, die momentan im Tierheim leben, seien alle verhaltensgestört und deshalb schwierig zu vermitteln. Auf einer Pinnwand im Vereinsbüro können sich Besucher Steckbriefe mit den wichtigsten Daten ansehen. Auch das Bild von Schäferhündin Dörte ist dort aufgehängt. Sie hat eine schlimme Vergangenheit hinter sich. Dörte musste sechs Jahre lang in einem sechs Quadratmeter kleinen Verschlag leben, diente den Besitzern als „ lebendige Alarmanlage“. Die Folge: Es fällt ihr schwer, Vertrauen zu Menschen aufzubauen.
Besucher mustert sie aufmerksam und neugierig. Ihre markanten, zusammenstehenden Ohren erinnern an die eines Kaninchens. „Meine Schneckimaus“, ruft Tierpflegerin Julia Specht liebevoll, als sie an der Box vorbeikommt. Für die sieben Jahre alte Hündin bahnt sich ein Happy End an. Ein Ehepaar lernt Dörte seit Mai ganz behutsam kennen, inzwischen sind sogar schon gemeinsame Spaziergänge möglich.
Immer wieder werden die Großhansdorfer auch zur Auffangstation für illegale Tiertransporte. Vor einem Jahr beschlagnahmten die Polizisten in Stormarn zum Beispiel ein Fahrzeug aus Osteuropa, das auf dem Weg nach Schweden war. Im Gepäck: vier Spitzwelpen, der jüngste gerade einmal drei Wochen alt. Tierpflegerin Julia Specht zog Clara mit der Flasche auf, verliebte sich und behielt die Hündin. „Sie hätte die Reise nach Skandinavien niemals überlebt, war viel zu klein“, sagt die 32-Jährige. Die Strapazen und die frühe Trennung von der Mutter machten sich bis heute bemerkbar, Clara sei zum Beispiel sehr anfällig für Krankheiten.
Da nicht alle Hunde mit dem Trubel und der Lautstärke im Tierheim klarkommen, hat der Verein vor zwei Wochen eine Außenstelle in Hoisdorf eingerichtet. Dort gibt es nun bei einem Hundetrainer einen ruhigeren Platz für Pitbull-Mischling Goofy. Ehlers sagt: „Er war so gestresst, dass er bei uns immer nur im Kreis gelaufen ist. Jetzt geht es ihm viel besser.“
Der Tierschutzverein ist auf Spenden angewiesen
Rund 400 Mitglieder engagieren sich im Tierschutzverein Ahrensburg-Großhansdorf, der 1964 gegründet wurde. Fünf Jahre später war das Tierheim gebaut. Nach kleineren Anbauten in den 1980er-Jahren wurde das Haus 1995 erheblich erweitert. Hinzu kamen Quarantäneboxen und ein Bereich für Tiere, die außerhalb der Öffnungszeiten abgegeben werden. Polizei und Bauhofmitarbeiter haben einen Schlüssel, können dort im Notfall auch nachts Tiere unterbringen.
Mit ihren Beiträgen tragen die Mitglieder zur Finanzierung des Tierheims bei. Geld gibt es zudem von zehn umliegenden Kommunen und Ämtern, die ihre Fundtiere in Großhansdorf abgeben dürfen. Sie zahlen dafür jeweils eine Pauschale von 30 Cent pro Einwohner und Jahr. Beides reicht aber bei weitem nicht aus, um die Ausgaben zu decken. Sie lagen 2018 bei knapp 200.000 Euro. Deshalb ist der Verein auf Spenden angewiesen – auch beim Futter. In vielen Supermärkten können Stormarner Futterspenden abgeben, ein Fahrer hat gerade wieder 15 volle Paletten eingesammelt und in Großhansdorf vorbeigebracht. „Das funktioniert zum Glück wirklich gut“, sagt Ehlers. In der Hundeküche wird das gespendete Nassfutter sortiert. „Wir versuchen, die Tiere einheitlich zu ernähren, denn ein ständiger Wechsel tut ihnen nicht gut“, sagt Tierpflegerin Julia Specht. An einer Arbeitsplatte hängen die Namen der Hunde, davor sind die jeweils vorgesehenen Dosen aufgereiht. Gassigänge gibt es für die Hunde nicht. „Sie entwickeln dann schnell eine Erwartungshaltung, und die können wir zeitlich nicht erfüllen“, sagt Specht. Austoben können sich die Tiere in einem großen Auslauf im Wald.
In die Einrichtung nach Großhansdorf werden vor allem Hunde und Katzen gebracht, aber auch Kleintiere wie Kaninchen, Mäuse, Ratten und Vögel. Vor Kurzem mussten die Mitarbeiter sogar zwei Pfaue versorgen. „Wir nehmen erst mal alles auf und vermitteln es dann weiter“, sagt Ehlers. „Wildtiere kommen zum Beispiel in den Wildpark Eekholt.“
Die Mitarbeiter sind froh über jedes Tier, für das sie einen neuen Besitzer finden können. Viele kommen später noch mal vorbei und zeigen, wie glücklich diese in neuer Umgebung geworden sind.