Reinbek. Abendblatt-Wunschreportage: Wir haben Sanitäter vom Stormarner Rettungsdienst einen Tag lang im Einsatz begleitet.

Als Martin Boeck und Laura Baaß am frühen Morgen an der Rettungswache Reinbek eintreffen, ist das Thermometer schon weit über 20 Grad Celsius geklettert. Es wird ein heißer Tag. Aus der Umkleidekabine kommen die beiden Retter ungeachtet dessen in ihrer üblichen Montur: einer nicht atmenden langen Hose und kiloschweren Sicherheitsschuhen. Sommerkollektionen für Sanitäter gibt es nicht.

Zumindest Jacken und Helme können Boeck und Baaß vorerst im Rettungswagen lassen. Letzteren auf Vollständigkeit zu überprüfen ist vor jeder Zwölf-Stunden-Schicht Pflicht. Die heutige beginnt um 8 Uhr. „Tägliche Bestandsaufnahme“, sagt Boeck, während er mit seiner Kollegin im Wagen Ampullen und Schachteln kontrolliert.

Retter sind ein eingespieltes Team

Vor jeder Schicht kontrollieren die Retter Bestände und Geräte.
Vor jeder Schicht kontrollieren die Retter Bestände und Geräte. © Pelle Kohrs | Pelle Kohrs

Der 35- und die 20-Jährige sind oft gemeinsam unterwegs, bilden ein eingespieltes Team. Das Fahrzeug hingegen ist nicht immer dasselbe. Heute fahren der Notfall- und die Rettungssanitäterin den 90-83-04. „Die 90 steht für unsere Wache“, sagt Boeck. Diese ist Teil des Rettungsdienst-Verbunds Stormarn (RVS). Von acht Wachen aus gewährleistet der RVS die Notfallversorgung für 250.000 Bürger. Das Haupteinsatzgebiet der Reinbeker Wache umfasst rund 90.000 Menschen im Stormarner Süden.

Während Baaß das Fahrzeug von innen untersucht, kontrolliert Boeck die Außenregale. Defibrillator, Sauerstoff, Absaugeinheit – alles ist dort, wo es sein soll. Auch der Einsatzrucksack ist an Bord. Den nehmen die Retter immer aus dem Wagen mit. „Da ist alles drin, was für die Notfallversorgung nötig ist“, so Boeck. Für Patienten im Kindesalter gibt es einen Rucksack, der etwas handlicher ist und kleineres Equipment beinhaltet. „Den müssen wir heute aber hoffentlich nicht anrühren“, sagt Boeck. Ein Irrtum, wie sich später herausstellt.

Um 8.39 Uhr ertönt der Melder der Retter zum ersten Mal. Schon anhand des Tons, ein langsames Piepen, erkennen die Sanitäter, dass ihr Arbeitstag ruhig beginnt. „Krankentransport“, sagt Boeck und begibt sich mit seiner Kollegin in die Garage. „Um Leben und Tod geht es jetzt nicht.“ Trotzdem vergeuden die beiden keine Zeit. Kurz nach Alarmierung rückt der 90-83-04 erstmals aus. Allerdings ohne Blaulicht.

Die Einsätze teilen sich in Notfälle und Transporte auf

Bis zur ersten Station des Tages sind es nur wenige Meter. Die Patientin, eine 53 Jahre alte Frau, holen Boeck und Baaß im Krankenhaus Reinbek ab, das direkt neben der Wache liegt. „Davon profitieren wir total“, sagt Martin Boeck. „Mit den Ärzten und Schwestern hier sind wir alle per Du.“ Die Patientin, die aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung nur liegend transportiert werden kann, bringen die Sanitäter im Rettungswagen unter. Zur weiteren Untersuchung fahren die Helfer die Frau zur Spinalchirurgie in ein Hamburger Krankenhaus, übergeben sie dort an das Personal.

Derlei Krankenbeförderungen – also Transporte von nicht akut verletzten Personen – machen für die Sanitäter der Rettungswache Reinbek etwa die Hälfte aller Einsätze aus. Obwohl sie harmlos erscheinen, können es gerade diese sein, die den Rettern an die Nieren gehen. „Bei Transporten kommt man mit den Patienten meist ins Gespräch“, sagt Laura Baaß auf dem Rückweg zur Wache. „Wenn es sich um ältere und ganz liebe Menschen handelt, die keinerlei Angehörige mehr haben, bricht mir das manchmal das Herz.“

Der Melder bleibt auch in der Mittagspause eingeschaltet

Mit der 80-Kilogramm-Liege müssen die Sanitäter umzugehen wissen.
Mit der 80-Kilogramm-Liege müssen die Sanitäter umzugehen wissen. © Pelle Kohrs | Pelle Kohrs

Um 10.26 Uhr steht der 90-83-04 wieder in der Garage der Wache. Zwei weitere Rettungswagen und vier Sanitäter sind ebenfalls dort – einsatzbereit. „Die Leitstelle verteilt die Einsätze nach dem Prinzip ,First in – first out’“, sagt Boeck. „Der drittnächste ist also unser.“

Wie sich die Sanitäter die Zeit vertreiben, während sie auf den nächsten Notfall, die nächste Krankenbeförderung warten, ist ganz ihnen überlassen. Kochen, fernsehen, schlafen – all das und mehr ist theoretisch möglich. „Praktisch müssen wir immer innerhalb von 59 Sekunden ausrückbereit sein“, sagt Boeck. Auch in der Mittagspause, die 45 Minuten lang ist. „Zwar bekommen wir in dieser Zeit keine Krankentransporte mehr rein“, sagt Baaß. „Aber für Notfälle müssen wir immer empfänglich sein.“

Das sind die 20- und der 35-Jährige auch um 11.35 Uhr, als sie der erste Notfall des Tages erreicht. Der Ton des Melders ist diesmal deutlich schriller und schneller. Es dauert nur wenige Sekunden, bis die Sanitäter die Küchenstühle in der Wache gegen die Sitze ihres Wagens getauscht haben. Und noch weniger Zeit vergeht, bis sich der 90-83-04 auf der Straße befindet. Jetzt mit Blaulicht.

Fahrt durch den Verkehr besonders anstrengend

„Kreislauf, 26 Jahre“, sagt Boeck, während seine Kollegin den Rettungswagen mit angeschalteter Sirene durch den Verkehr lenkt – hupend und über rote Ampeln fahrend. „Autofahrer reagieren oft unberechenbar und hektisch“, sagt Baaß. Sie kenne das selbst. Nervig sei es trotzdem. Boeck ergänzt: „Es kommt nicht selten vor, dass man einen Rückspiegel abfährt.“ Ein Kollateralschaden, wenn es um Leben oder Tod geht. Auch hinter der Meldung „Kreislauf“ könne sich schließlich alles verbergen. „Und wir gehen natürlich immer vom Schlimmsten aus“, so Boeck.

Am Einsatzort in Barsbüttel stellt sich allerdings schnell heraus, dass hier kein Leben auf dem Spiel steht. Die Patientin klagt über Kopfschmerzen und Erbrechen. Weil die junge Frau kaum stehen kann, wird sie ins Krankenhaus gebracht. „Es gibt in diesem Beruf wirklich keine Standardeinsätze“, sagt Martin Boeck. „Aber das war einer.“

Auch unterwegs können die Sanitäter stets Einsätze erhalten. Aber es ist ein ruhiger Tag. „Gestern dagegen hatten wir zehn Einsätze“, sagt Baaß, die in dieser Woche sechs Schichten fährt und bald eine Ausbildung zur Hebamme startet. „Man weiß nie, was einen erwartet.“

Kindereinsätze sind nervenaufreibend

Ein weiterer Notfall erwartet die Sanitäter um 14.42 Uhr. „Fußverletzung, 7 Jahre“ zeigt der Melder an. „Könnte eine Trampolin-Verletzung sein“, sagt Baaß und liegt genau richtig. Das Kind ist beim Springen unglücklich aufgekommen. Die Sanitäter kümmern sich fürsorglich um das Mädchen, bringen es gemeinsam mit seiner Mutter ins Krankenhaus. Dort erhält es von Boeck einen Teddy, den die Patientin „Lilly“ tauft.

Sogenannte Kindereinsätze seien gleichzeitig die schönsten und schlimmsten. „Schön, wenn es uns gelingt, den Kindern die Angst zu nehmen und sie zum Lächeln zu bringen“, sagt Baaß. Schlimm, wenn die Sanitäter den jungen Patienten nicht mehr helfen können. Auch das gehöre dazu.

Der RSV bietet in einem solchen Fall Gespräche an, um das Erlebte zu verarbeiten. „Und auch auf der Wache sprechen wir viel miteinander“, sagt Boeck, der seit acht Monaten Vater ist. „Das ist einfach nötig, um diesen Job machen zu können.“ Auch schwarzer Humor sei hilfreich. Nicht aus Respektlosigkeit, sondern um Distanz zu schaffen und den täglichen Umgang mit dem Tod erträglicher zu machen.

Heute sind Laura Baaß und Martin Boeck nicht mit dem Sterben in Berührung gekommen. Ihr Arbeitstag endet, wie er begonnen hat: ruhig. Um 18.20 Uhr machen sie sich auf dem Weg zu ihrem letzten Einsatz: eine Krankenbeförderung. Um Punkt 20 Uhr und nach zwölf Stunden Arbeit stellen die Retter ihre Melder auf Stufe 6: außer Einsatz.

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