Glinde. Wir sind die Neuen! In unserer Sommerserie stellen wir Menschen aus Stormarner Neubaugebieten vor. Heute: eine Glinder Hausgemeinschaft.
Das Duell im Dezember 2018 hat das zweite Obergeschoss gewonnen: 2,40 Meter hoch war der Tannenbaum, den die Bewohner auf dem Flur installierten. Dort, wo sie oft zusammenkommen und feiern im Wohnkomplex der Firma Semmelhaack an der Möllner Landstraße in Glinde. Das grüne Stück der Mieter in Etage eins brachte es nur auf 140 Zentimeter. Die Partys dort sind nicht weniger lustig – mit Kuchen, Sekt, Frikadellen und einem Herrn, der auf dem Schifferklavier unterhält.
Es ist der ausgeprägte Gemeinschaftssinn, den die Menschen betonen und der Grund ist, dass sie sich in ihrer neuen Umgebung so wohl fühlen. „Alle duzen einander. Die Nachbarschaft ist einmalig“, sagt Erwin Golomb. Der 81-Jährige zog im September 2015 mit seiner Frau Annegret (80) und damit einen Monat später als die ersten Mieter in den Wohnpark Alte Gärtnerei im Zentrum. 53 Einheiten für Senioren verteilen sich auf zwei Gebäude, die drei Geschosse plus Staffelgeschoss haben. Nur einen Steinwurf entfernt baute die Firma Senectus zuletzt zwei Gebäude mit 37 und 22 Eigentumswohnungen, ebenfalls für ältere Personen. Auf einem rund 1,5 Hektar großen Areal, der Erweiterungsfläche des Quartiers Alte Wache, ist auch noch ein Alten- und Pflegeheim der Unternehmensgruppe KerVita mit Platz für 121 Bewohner beheimatet.
Kurze Wege zu Ärzten, Supermärkten und zur Bushaltestelle
Erwin Golomb sagt, es seien in seiner Anlage viele neue Freundschaften entstanden. Der Rentner versteht sich mit seinem Nachbarn Werner Koopmann so gut, dass sich die beiden zusammen einen Carport zugelegt haben. Teilen wird hier groß geschrieben. Außerdem lobt der Rentner die kurzen Wege zu Ärzten, die guten Einkaufsmöglichkeiten und die nahe gelegene Bushaltestelle. Tritt er aus der Tür, sind es nur wenige Schritte bis zum Discounter. Mit Marktleiter Waldemar Tabor hält er regelmäßig einen Plausch. Früher und über den Zeitraum von 50 Jahren haben die Golombs in Aumühle gelebt, dort zwei Töchter großgezogen. Platz hatten sie genug. Das Haus hat der frühere Polier selbst gebaut. 200 Quadratmeter Wohnfläche samt Schwimmbad auf einem dreimal so großen Grundstück.
„Das war dann aber doch zu viel Arbeit, gerade im Garten, also haben wir verkauft“, sagt der Neu-Glinder. Seine Frau erzählt, es sei ihnen schwergefallen, die vertraute Umgebung zu verlassen. Allerdings hätten sie es schwer ertragen können, in Aumühle zur Miete zu wohnen und dann regelmäßig am ehemaligen Eigenheim vorbeizulaufen. Als sich das Semmelhaack-Projekt im Rohbau befand, erblickte Erwin Golomb das Bauschild und wurde neugierig. Er ließ sich auf die Warteliste setzen und bekam zwei Monate später den Zuschlag.
Jetzt lebt das Paar auf 77 Quadratmetern in zweieinhalb Zimmern inklusive Balkon, zahlt 10,30 Euro kalt pro Quadratmeter. Nach drei Jahren wurde die Miete um drei Prozent erhöht. Mitgenommen hat es nur wenige Sachen wie TV-Gerät, eine Holzvitrine und Teppiche, sich größtenteils neu eingerichtet und das Mobiliar passend zum hellen Linoleumboden in Parkett-Optik gewählt. Die Golombs haben ihre Umgebung auch außerhalb der Hausgemeinschaft liebgewonnen, fahren gern mit dem Rad um den Mühlenteich. Mitbewohner aus dem zweiten Stock haben ihnen übrigens ein Zertifikat ausgestellt. Es bescheinigt dem Paar, „den Lehrgang Überleben in Glinde mit ausgezeichnetem Erfolg absolviert zu haben“. Solche Kleinigkeiten mit Ideenreichtum sind auch ein Merkmal dieser Hausgemeinschaft.
Neues erkunden mussten Werner und Gudrun Koopmann nach ihrem Umzug in Glinde nicht. Der 74-Jährige wurde in der jetzigen Bücherkate in der Dorfstraße geboren und hat immer in der Stadt gelebt, davon 40 Jahre in einem Einfamilienhaus in der Mühlenstraße. „Ich hatte immer vor, die Immobilie einmal zu verkaufen“, sagt der Rentner. Er hat früher in der Hafenwirtschaft gearbeitet, Containerschiffe am PC geladen. Eine Krankheit beschleunigte den Beschluss zur Veräußerung. „Denn unser Sohn wollte das Haus nicht.“
Nacharn feierten mit Canapees und Käseplatte
Den Schritt haben die Koopmanns nicht bereut. „Wir sind hier ein verschworenes Team“, sagt der frühere Tennisspieler, der auch Mitglied der Feuerwehr gewesen ist. Die Frauen treffen sich einmal im Monat ohne die Männer zum Kartenspielen. Gudrun Koopmann sagt allerdings auch: „Manchmal vermisse ich mein Malzimmer und die Waschküche im Keller. Dort konnte ich alles liegen lassen, da war genug Platz.“ Ihr Ehemann nahm Abschied von der kleinen Werkstatt.
Nun leben sie ebenfalls auf zweieinhalb Zimmern und mussten vor dem Einzug viele Dinge aussortieren. „Ich wollte aber unbedingt in einem Neubau wohnen“, sagt Werner Koopmann, der seinen Nachbarn viel Herzlichkeit attestiert: „Egal ob Ostern, Nikolaus oder zum Geburtstag: Es stehen immer Kleinigkeiten auf der Fußmatte.“ Er und Erwin Golomb betätigen sich noch handwerklich. Sie besorgen für die Nachbarn Filter für die Abzugsanlagen und schneiden diese auch zurecht.
Die Koopmanns haben ein kleines Buch angefertigt mit dem Titel „Unsere neue Heimat und die lieben Nachbarn“. Zu sehen sind darin viele Fotos von Feiern. Eines zeigt die Menükarte des Festes ein Jahr nach dem Einzug mit „Schmalzbrot a la Groß, Hübners Buletten, hellen Canapees, Koopmanns Käseplatte und Riesling Classic“. Ganz so ausgeprägt ist die Gemeinschaft im zweiten Gebäude nicht, allerdings herrscht ein freundlicher Umgangston.
Das sagt Bewohnerin Brigitte Völz. Sie lebt seit dem Jahr 1980 in Glinde, erst in einem Reihenhaus und dann in einer Wohnung an der Dorfstraße, die nicht barrierefrei war. Vor eineinhalb Jahren siedelte sie in den Neubau um. „Ich wollte alles früh genug allein regeln, bevor ich den Absprung verpasse“, sagt die 67-Jährige, die zwei erwachsene Söhne hat und allein wohnt.
In diesem Jahr stehen noch vier runde Geburtstage an
Völz hat sich von 70 auf 50 Quadratmeter verkleinert und deswegen viele Dinge aus der alten Wohnung dem Sozialkaufhaus gespendet. Sozial eingestellt ist sie schon von Berufswegen. Die Krankenschwester machte ihre Ausbildung im Marienkrankenhaus, arbeitete zuletzt in der ambulanten Pflege.
Seit zwei Jahren engagiert sich Völz in der Hausaufgabenhilfe der Grundschule Tannenweg. Das sei gut für ihren Kopf. Die Rentnerin ist viel mit dem Fahrrad unterwegs, geht gern den Fußweg zwischen den Semmelhaack-Gebäuden und dem Pflegeheim entlang, der an den Seiten mit vielen Büschen und Sträuchern versehen ist. „Das Besondere an meiner Wohnung ist die zentrale Lage“, schwärmt sie. Zufrieden ist auch Alfred Zieroth, der aus dem Reinbeker Stadtteil Neuschönningstedt hierher kam. Als Grund nennt er die Tatsache, dass seine Frau nicht mehr die Treppen steigen konnte. Jetzt nutzt sie einen Fahrstuhl. „Ich laufe immer noch zu Fuß hoch“, sagt der 85-Jährige.
Auf früherem Depot der Bundeswehr leben 2500 Menschen
Der frühere Kraftfahrer hält Kontakt zu den Menschen in seinem früheren Wohnort, macht mit Bekannten und Freunden einmal im Monat einen Ausflug mit der Arbeiterwohlfahrt (Awo). So wohl sich die Menschen im Wohnpark Alte Gärtnerei auch fühlen und von ihrem Umfeld begeistert sind, es gefällt ihnen nicht alles in der Stadt. „Glinde muss sauberer werden“, fordert Erwin Golomb im Gespräch mit dem Abendblatt. Und Michael Koopmann möchte, dass auf der anderen Straßenseite neue Wohnungen entstehen. Das Projekt stockt, weil Anwohner ein Normenkontrollverfahren initiiert haben. „Ich habe kein Verständnis für die Initiative, Glinde braucht Wohnraum“, sagt er.
In den kommenden Monaten hat die Hausgemeinschaft weitere Termine für Feiern ins Auge gefasst. Drei Bewohner werden in diesem Jahr 80 Jahre alt und einer sogar 90.