Sirksfelde. Willis Mutter ist nahe Kaltenkirchen überfahren worden. Nun kümmert sich Britta Lantz um das fünf Wochen alte Jungtier.

Nein, dieses Bild ist nicht das Werk eines passionierten Fotofälschers. Dieser Schnappschuss entstand gerade im beschaulichen Sirksfelde, nördlich der Trittauer Hahnheide. Dorthin hat es Rehkitz Willi verschlagen, seit seine Mutter nahe Kaltenkirchen überfahren worden ist.

„Normalerweise sollten Kitze in der Natur aufwachsen, da sie ja Wild- und keine Haustiere sind. Aber mutterseelenallein haben sie in den ersten Monaten nach ihrer Geburt ohne Hilfe des Menschen keine Chance zu überleben“, sagt Britta Lantz.

Die 57-Jährige ist selbst in der Natur und einer Jägerfamilie aufgewachsen. Jetzt lebt sie mit ihrem Lebenspartner Lothar in einem ehemaligen Forsthaus, umgeben von Wäldern, Wiesen und Feldern. Und von vielen Tieren. Auf dem naturnahen Grundstück tummeln sich japanische Chabo- und amerikanische Amrockhühner, Maine-Coon-Katze Margot, schottische Hochlandrinder, vor allem aber sechs Labradore, die Britta Lantz selbst züchtet.

Vor einiger Zeit hat sie sich einem Freiwilligen-Netzwerk angeschlossen, dessen Mitglieder als Kitzretter einen wertvollen Beitrag zum Wildtierschutz leisten. In diesen Wochen ist der Einsatz der Kitzretter besonders gefragt. Denn die erste Frühmahd von Wiesen und Grünroggen zur Herstellung von Silage und Biomasse fällt in die Brut- und Setzzeit vieler heimischer Wildtiere.

Radios können Rehen dabei helfen, Gefahrenzonen zu erkennen

„Das Problem ist der Drückinstinkt kleiner Rehkitze, aber auch von Hasenjungen und Bodenbrütern, die nicht weglaufen und nicht fliehen“, sagt die Sprecherin des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Kirsten Hess. Damit die Jungtiere nicht Opfer der Kreiselmäher und Mähbalken würden, müssten sie gesucht und in Sicherheit gebracht sowie Nester markiert und geschützt werden.

Der Bundesverband Lohnunternehmen (BLU), der Bundesverband der Maschinenringe (BMR), der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Deutsche Jagdverband (DJV) empfehlen den Landwirten, den Mähtermin mindestens 24 Stunden zuvor mit dem Jagdpächter abzusprechen. Oder selbst erforderliche Maßnahmen zum Schutz von Wildtieren durchzuführen.

Britta Lantz mit Willi auf dem Schoß. Links Maine-Coon-Katze Margot, ganz vorn Küken Lotte
Britta Lantz mit Willi auf dem Schoß. Links Maine-Coon-Katze Margot, ganz vorn Küken Lotte © Lutz Kastendieck

Bewährt haben sich das Aufhängen von Knistertüten und Flatterbändern ebenso wie das Aufstellen von Radios. Sie sorgen dafür, dass etwa Rehe ihren Nachwuchs aus der Gefahrenzone bringen. Inzwischen gibt es zudem elektronische Wildscheuchen. Sie senden unterschiedliche Töne wie Menschenstimmen, klassische Musik und Motorengeräusche aus. Experten haben ermittelt, dass bereits eine Maßnahme pro Hektar genügt, um Wildtiere aufzuschrecken und zu vertreiben.

Um Rehkitze zu retten, sind auch Drohnen im Einsatz

Landwirte, Tierschützer und Jäger setzen unterdessen zunehmend auch auf moderne Technik. „In Schleswig-Holstein werden zur Rehkitzrettung inzwischen Drohnen und Wärmebildkameras eingesetzt“, weiß Britta Lantz. Sie sollen Jungtiere aufspüren, damit sie dann durch Helfer von den Wiesen gebracht werden können. Angefasst werden sollen die Kitze dabei nicht. Anderenfalls wäre die Gefahr groß, dass die Ricke das Kitz nicht mehr annimmt.

Laut Kirsten Hess vom Bauernverband bieten etwa die Maschinenringe Drohnenflüge an. Der Landesjagdverband Schleswig-Holstein hat das Projekt bereits 2016 gemeinsam mit der Deutschen Wildtier Stiftung initiiert. „Flächendeckend werden die Flugroboter aber längst noch nicht eingesetzt, auch aus Kostengründen“, sagt Geschäftsführer Marcus Börner.

So ist das Abschreiten der Wiesen durch Kitzretter nach wie vor ein probates Mittel, um den Nachwuchs von Reh, Hase und Bodenbrütern zu schützen. Die inzwischen auf 62 Mitglieder angewachsene Gruppe um Ann-Kathrin „Kiki“ Petermann konnte allein im Vorjahr im Kreis Stormarn sieben Rehkitze in Sicherheit bringen.

Hundemama Heaven weicht Willi nicht von der Seite

Jüngst auch Willi. Da ihn die Wildtierhilfe-Station aus Platzgründen aber nicht aufnehmen konnte, hat nun Britta Lantz die Aufgaben der Ricke übernommen. „Weil er gerade erst etwa fünf Wochen auf der Welt ist, muss er noch alle vier bis fünf Stunden mit Lämmermilch versorgt werden“, berichtet sie. Zudem werde Willi regelmäßig massiert, damit er sein kleines und großes Geschäft verrichten kann. Vor allem sei aber wichtig, dass der kleine Kerl viele Ruhephasen zum Schlafen bekomme.

An seine weitaus kräftigeren Freunde aus dem wuseligen Labrador-Rudel hat sich das Kitz derweil längst gewöhnt. Vor allem Hundemama Heaven weicht nicht von Willis Seite, wenn er auf noch wackeligen Beinen das Sirksfelder Tierparadies von Britta Lantz erkundet.

Natürlich würde sie sich wünschen, Willi in die freie Wildbahn zu entlassen, wenn er alt genug ist, sich selbst zu versorgen. Doch könnte ihm die gewohnte Nähe zu Menschen dann zum Verhängnis werden. „Deshalb ist es auch eine ernsthafte Option, ihn in ein geeignetes Rehwildgehege umzusiedeln“, sagt Britta Lantz. Mit dieser Frage werde sie sich indes erst beschäftigen, wenn es so weit sei. Jetzt will sie sich erst einmal daran erfreuen, dass ihr kleiner Schützling mit jedem Tag größer und kräftiger wird.