Reinbek. Dagmar Lucht hat eine Pension, machte nun eine Fahrlehrerausbildung. Inzwischen hilft sie ihrem Sohn, der eine eigene Schule hat.
Kurz vor dem Renteneintritt noch einmal durchstarten – das tun nur wenige. Dagmar Lucht, Pensionsinhaberin am Rosenplatz in Reinbek, hat sich getraut. Sie hat neun Monate die Schulbank gedrückt und arbeitet jetzt als Fahrlehrerin in der Fahrschule ihre Sohnes Daniel im gleichen Haus. Als Daniel Lucht 2017 verzweifelt nach einem Fahrlehrer suchte, sagte er zu seiner Mutter im Scherz: „Wird Zeit, dass du die Ausbildung machst.“ Die damals 63-Jährige reagierte erst nicht, fragte aber 14 Tage später: „Hast du das ernst gemeint?“ „Na klar“, habe er geantwortet, erinnert sie sich.
Erst mündliche und schriftliche Prüfung, dann Praktikum
„Die Basis für mich war dann eine grundsätzliche Änderung der Fahrlehrerausbildung. Früher musste man auch den Lkw-Führerschein haben. Das hätte ich nicht gewollt, und es wäre auch zu teuer geworden“, sagt die Reinbekerin. Die Bedingungen für eine Ausbildung sind: Mindestalter 21 Jahre, vor allem aber kein Höchstalter, eine abgeschlossene Berufsausbildung und die Führerscheine B/BE. Kostenpunkt: 12.000 Euro. „Aber die Ausbildung wird von der KfW und der Investitionsbank Schleswig-Holstein gefördert. Ich habe Meister-BAföG beantragt und auch bekommen“, berichtet die heute 64-Jährige. „Unterm Strich musste ich ein Drittel finanzieren“, sagt sie. Aber, was tut man nicht alles für den Sohn...
Anfang 2018 begann das Abenteuer mit der neunmonatigen theoretischen Ausbildung in Lüneburg. „So ein Frontalunterricht ist schon ungewohnt, und es war doch letztes Jahr so heiß. Da ließ die Konzentration am Nachmittag schon mal nach. Das war anstrengend“, räumt Dagmar Lucht ein. Aber die Klassengemeinschaft sei prima gewesen. So ackerte sie sich durch Verkehrsverhalten und -pädagogik, allgemeines Recht, Fahrzeugtechnik und Umweltschutz. Zudem musste sie die fahrpraktische Ausbildung „Pkw mit Anhänger“ absolvieren. Schließlich gilt es, das Fahrzeug in jeder Situation zu beherrschen. Es folgten die mündliche und die schriftliche Prüfung und dann das Praktikum – natürlich in Reinbek.
Reinbekerin wird für ihren Ausbildungsstil gelobt
„Erst durfte ich nur mitfahren, und dann hat mir Daniel gute Schüler gegeben, ist aber selbst mitgefahren. Schließlich war ich da noch ganz unerfahren“, sagt sie und amüsiert sich. Das Kopfkino holt ihr besondere Situationen zurück. „Aber sie hat das gut gemacht“, lobt ihr Sohn und Ausbilder. „Nur musste sie lernen, dass das Auto nicht auf den Zuruf ,ujujujuj’ reagiert und dass man dem Fahrschüler besser direkt sagt, dass er zu dicht am Bordstein entlangschrammt“, berichtet der 39-Jährige schmunzelnd. „Nein, Spaß beiseite. Sie macht das prima, und die Schüler mögen sie gern“, lobt er. „Ich habe mich sehr gefreut, als der erste Schüler sich nach den Simulator-Stunden für die Fahrstunden bei mir entschieden hat“, sagt Dagmar Lucht. – „So’n bisschen Oma mögen die Schüler“, neckt der Sohn.
Simon Meinert (17) hingegen lobt ihren Ausbildungsstil. „Sie ist ruhig, erklärt und wir haben lustige Gespräche“, sagt der Aumühler, der Ende des Monats die Prüfung zum Begleiteten Fahren absolvieren wird. Das eint beide. Dagmar Lucht wird parallel vor einer Prüfungskommission eine theoretische und eine praktische Unterrichtsstunde geben. Danach wird sie als Fahrlehrerin dafür sorgen, dass die künftigen Autofahrer sicher, verantwortungsvoll und umweltbewusst unterwegs sind. Bundesweit gibt es 25.000 bis 30.000 aktive Fahrlehrer, wobei mehr in den Ruhestand gehen als neu anfangen. In etlichen Regionen herrscht ein extremer Fahrlehrermangel. „Das liegt auch daran, dass die Wehrpflicht weggefallen ist. Früher haben viele die Ausbildung beim Bund gemacht. Nun fischt die Bundeswehr eher auf dem freien Markt“, erläutert Daniel Lucht.
Heute entscheiden sich mehr Frauen für diesen Beruf
„Auch das ändert sich. Wir waren elf in der Klasse, unsere neue Auszubildende sitzt jetzt mit 23 anderen in einer Klasse. Prima ist, dass jetzt mehr Frauen in den Beruf gehen“, sagt Dagmar Lucht, die nur einmal während der Ausbildung mit dem Anhänger überlegt hat: „Warum tue ich mir das an?“ Aufgeben sei aber keine Option gewesen, sagt sie: „Es macht viel Freude, und wenn die Schüler dann auch bestehen, einfach klasse!