Reinbek/Bad Oldesloe. Zulassungsstelle zählt trotz Abgas-Streits mehr Zulassungen. Händler beklagen Verunsicherung bei Kunden, sehen Politik in der Pflicht.

Stormarner Autohändler klagen über verunsicherte Kunden wegen der wiederaufflammenden Diesel-Debatte und fürchten dadurch schlechtere Geschäfte in diesem Segment. „Die Besorgnis ist spürbar“, sagt Werner Blohm, Autohausbetreiber in Bad Oldesloe. Ausgelöst hatte die neue Diskussion der Mediziner Dieter Köhler. Der Facharzt für Lungenheilkunde und ehemalige Präsident der Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin hatte gemeinsam mit 107 Lungenspezialisten ein Positionspapier veröffentlicht, das die wissenschaftliche Grundlage der Fahrverbote infrage stellt.

Autohändler Werner Blohm aus Bad Oldesloe
Autohändler Werner Blohm aus Bad Oldesloe © Finn Fischer | Finn Fischer

„Die Fahrverbote in Hamburg schaffen Unsicherheit, zudem stehen auch in Kiel Verbote in der Schwebe“, beklagt Blohm, der auch Mitglied im Vorstand der Kfz-Innung Stormarn ist. Die Folge: „Kunden greifen tendenziell eher zum Benziner.“ In seinem Autohaus habe er den Fokus daher auf jene gelegt. „Dabei sind die Stormarner von den Fahrverboten gar nicht unmittelbar betroffen, im Kreis gibt es für Diesel-Fahrzeuge keine Beschränkungen.“

Händler klagen über die Folgen der Diesel-Debatte

„Die Rückfrage nach Diesel bei Privatkunden ist deutlich zurückgegangen“, sagt auch Stephan Schmidt, Verkaufsleiter im Reinbeker Autohaus C. Thomsen, der selbst einen Euro-4-Diesel fährt. Auch das Sortiment wurde verkleinert. Die Verunsicherung „hat auch etwas mit den Medienberichten zu tun“. Bernd Pachnicke (72) will sich einen neuen Seat Arona kaufen. „Keinen Diesel“, sagt er, „ich weiß ja nicht, was die Regierung mit uns vorhat.“

Auch andere Händler klagen über die Folgen der Diesel-Debatte. Marcus Westerfeld, Geschäftsführer des Autozentrums Glinde, kauft keine gebrauchten Dieselfahrzeuge mehr. Selbst Autos der aktuellen Euro-6-Abgasnorm hat er nicht mehr im Angebot. „Die Nachfrage ist zu gering“, sagt er. Bei Auto-Senger in Bad Oldesloe gestaltet sich die Situation anders. „Wir haben bisher alle Diesel, die wir in Zahlung genommen haben, veräußert“, sagt Verkaufsleiter Lars Bergmann zum Abendblatt.

Die Verbote empfinden viele als unverhältnismäßig

Gemeinsam ist Stormarns Autohändlern ein skeptischer Blick auf die Verhältnismäßigkeit der Fahrverbote. „Ich halte nichts davon, Diesel pauschal als Dreckschleudern abzutun“, sagt Blohm. Bei CO2-Ausstoß und Verbrauch seien diese Fahrzeuge den Benzinern noch immer klar überlegen. Es komme auch heute noch darauf an, was man will, meint auch Stephan Schmidt. „Bei einem Seat Alhambra, der im Jahr 30.000 Kilometer laufen soll, ist ein Diesel noch immer die beste Entscheidung“, sagt Schmidt, „wirtschaftlich und ökologisch.“

Werner Blohm kritisiert auch die mangelnde wissenschaftliche Belastbarkeit der Grenzwerte: „Teilweise werden durch das Anzünden eines Adventskranzes mehr Schadstoffe freigesetzt.“ Derzeit gilt für Stickoxide, die bei der Verbrennung von Dieselkraftstoff entstehen, in der EU ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Werner Blohm plädiert für höhere Werte.

Jedes dritte zugelassene Auto ist ein Diesel

Für Nina Scheer, SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg/Stormarn-Süd, hat der Schutz der Gesundheit Priorität: „Das Vorsorgeprinzip verlangt die Einhaltung der Grenzwerte.“ Sie spüre die Verunsicherung der Bevölkerung infolge der Diesel-Debatte, kommt daher am morgigen Dienstag zu einem Bürgergespräch nach Glinde. „Wenn man das Schreiben von Professor Köhler liest, muss man feststellen, dass auch erhebliche Praktikabilitätserwägungen angeführt werden“, kritisiert Scheer. So werde vor „erheblichen politischen Problemen mit vermutlich chaotischen, möglicherweise auch gewaltbereiten Szenarien“ gewarnt. Kurzum: Scheer wirft dem Wissenschaftler fehlende Fundiertheit vor. Sie sagt zudem: „Es ist nicht Aufgabe der Politik, spezielle Technologien zu schützen, sondern einen gerechten Zugang zu nachhaltiger Mobilität zu gewährleisten.“

Erstaunliches liefert die Statistik der Kfz-Zulassungsstelle in Bad Oldesloe. Demnach ist die Zahl der Fahrzeuge mit Dieselantrieb auf Stormarner Straßen zum zweiten Mal in Folge gestiegen. 70.678 Autos in diesem Januar bedeuten rund zwei Prozent mehr als zwölf Monate zuvor. Bei 202.848 zugelassenen Fahrzeugen ist rund jedes dritte Auto ein Diesel. Zwei solcher Pkw wurden bislang von der Behörde stillgelegt, weil die Fahrzeughalter der Aufforderung zur Nachrüstung nicht nachkamen. Zuständig dafür war Dirk Willhoeft, Leiter der Kfz-Zulassungsstelle. Er schätzt die Wahrscheinlichkeit von Fahrverboten für den überwiegend ländlich geprägten Raum und in nicht so eng bebauten Städten als gering ein. „Daher machen sich die Stormarner wenig Sorgen um Fahrverbote.“ Das sei auch Grund für das Plus bei den Diesel-Anmeldungen.

Landesamt misst Stickstoffdioxid-Belastung

In Stormarn wird die Stickstoffdioxid-Belastung momentan vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume nur an einer Strecke kontrolliert: mit einem mobilen Gerät an der Möllner Landstraße in Glinde in Höhe der Sandweg-Kreuzungen (wir berichteten). Dort liegt die Konzentration seit Jahren unter dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Bei einmaligen Messungen der Deutschen Umwelthilfe im April 2018 in Ahrensburg und Oststeinbek wurde der Grenzwert mit 37,5 und 30,4 Mikrogramm ebenfalls unterschritten.

Unabhängig von der wissenschaftlichen Belegbarkeit der gesundheitsschädlichen Wirkung von Stickoxiden habe der Diesel durch die Debatte einen rapiden Wertverlust erfahren, sagt Hans Pieper vom ADAC. Viele verunsicherte Kunden suchten Rat. „Auch im vergangenen Jahr waren Informationen rund um den Diesel das meistgefragte Thema bei unseren Technikern.“ Die Verbraucher fühlten sich von Politik und Wirtschaft allein gelassen. Autokäufern rät Pieper „ein Fahrzeug der Klasse 6dTEMP zu erwerben, denn nur diese sind auf der Straße so sauber wie auf dem Prüfstand“. Einig sind sich Händler, ADAC, Nina Scheer und Dirk Willhoeft darin, dass die von der Bundesregierung beschlossenen Diesel-Umtauschprämien keine Lösung sind. „Es macht keinen Sinn, fahrtüchtige Fahrzeuge zu verschrotten, um dann aber nach wie vor keine Garantie für das Einhalten der Grenzwerte geben zu können“, kritisiert die SPD-Politikerin. Willhoeft sagt: „Die Diesel der Euronormen 4 und 5 werden vielfach ins Ausland gebracht und fahren dort weiter.“

Nutzen der Umtauschprämien bleibt zweifelhaft

Werner Blohm hat festgestellt, dass die Nachfrage nach den Umtauschprämien begrenzt ist. „Viele Kunden sagen mir, die Prämien seien ja schön und gut, aber sie hätten bereits ein Auto und wollten kein neues.“

Ein Ausweg könnten Hardware-Nachrüstungen sein, die den Stickoxid-Ausstoß reduzieren. „Dass Nachrüstlösungen funktionieren, hat ein Test des ADAC bereits bewiesen“, sagt Hans Pieper. Für Werner Blohm ist vor allem eines wichtig: „Die Politik muss endlich eine eindeutige Linie vorgeben, um Klarheit für die Kunden zu schaffen. Die jetzige Situation hat der Bürger nicht verdient.“

Bürgergespräch mit Nina Scheer unter dem Motto „Wie geht es weiter in der Dieselkrise?“, Dienstag, 5. Februar, 19 Uhr, Bürgerhaus Glinde, Markt 2. Die Teilnahme ist kostenlos und eine Anmeldung nicht erforderlich.