Ahrensburg/Lübeck. Fachkräftemangel, schlechte Busverbindungen und der Brexit: Trotz boomendem Geschäfts stehen Firmen vor Herausforderungen.
Die Wirtschaft in Stormarn boomt, immer mehr Unternehmen siedeln sich in der Region zwischen Lübeck und Hamburg an. Viele neue Gewerbegebiete entstehen, zum Beispiel in Ahrensburg (Beimoor Süd II) oder das länderübergreifende Projekt in Stapelfeld und Hamburg-Rahlstedt. Die Beliebtheit des Kreises stellt die ansässigen Firmen nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck aber auch zunehmend vor Herausforderungen. „Die neuen und großen Unternehmen brauchen viele Mitarbeiter“, sagt Präses Friederike Kühn. „Diese ziehen sie zum Teil aus den alteingesessenen Firmen ab. Gerade für einen kleinen Betrieb ist es ganz schwierig, das zu kompensieren, selbst wenn ihm nur eine Fachkraft verloren geht.“
Der Grund: In Stormarn herrscht mit einer Arbeitslosenquote von drei Prozent annähernd Vollbeschäftigung. „Wir versuchen alles, was möglich ist, um neue Mitarbeiter zu generieren, zum Beispiel über mehr Ausbildungen und die Integration von Langzeitarbeitslosen“, so Kühn bei der Jahrespressekonferenz am Mittwoch in Lübeck. Der Fachkräftemangel treffe inzwischen viele Bereiche, besonders stark müssten aber das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Logistikbranche, die Pflege und das Handwerk um Mitarbeiter kämpfen. „Viele Unternehmen arbeiten an ihren Kapazitätsgrenzen“, sagt Kühn.
2018 rund 600 Ausbildungsplätze nicht besetzt
Die IHK zu Lübeck versucht schon seit Längerem, mehr junge Menschen für eine duale Ausbildung zu begeistern – mit Erfolg. Bis Mitte Dezember registrierte sie in ihrem Kammerbezirk 4028 neue Ausbildungsverträge und damit 66 mehr als vor einem Jahr. Trotzdem konnten die Unternehmen 2018 rund 600 Ausbildungsplätze nicht besetzen. Für Schulabgänger, die noch auf der Suche sind, ist das eine gute Nachricht. Sie haben Chancen, im bereits begonnenen Ausbildungsjahr noch einzusteigen. Beim Werben um Fachkräfte für Stormarn sei es zudem wichtig, „dass diese Region mit den tollen Chancen bundesweit Bekanntheit erlangt“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Lars Schöning.
Ein Problem ist nach Angaben der Industrie- und Handelskammer, dass der Öffentliche Personennahverkehr in einigen Teilen Stormarns noch zu schlecht ausgebaut sei. „Viele junge Menschen möchten gern in Hamburg wohnen, aber zum Beispiel in Reinbek arbeiten“, sagt Schöning. „Wenn dann aber kein Bus ins Gewerbegebiet fährt, hält das potenzielle Interessenten ab.“
Kammer will Firmen bei der Digitalisierung unterstützen
Auch aus diesem Grund freut sich die IHK darüber, dass es bei den Planungen für den Bau der S 4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe endlich vorangeht. „Mit ihrer Einigung haben der Bund, die Länder und die Deutsche Bahn in der vergangenen Woche die Weichen für dieses wichtige Projekt in der östlichen Metropolregion gestellt“, sagt Lars Schöning. „Die zusätzlichen Gleise verbessern den Personennahverkehr.“ Zudem schafften sie Kapazitäten für den Fernverkehr sowie für den wichtigen Güterverkehr auf dieser hochfrequentierten Strecke.
Genauso wichtig wie eine gute Verkehrsanbindung sei für die Unternehmen inzwischen die digitale Infrastruktur. Sie seien auf schnelles Internet angewiesen, müssten sich aber auch auf veränderte Geschäftsprozesse durch die Digitalisierung einstellen. Die IHK will auch im kommenden Jahr verschiedene Veranstaltungen rund um die Themen Online-Marketing, IT-Sicherheit und vernetzte Industrie anbieten. Zudem können Firmen weiterhin Sicherheitschecks ihrer Internetseiten vornehmen lassen. „Datensicherheit spielt eine wichtige Rolle“, sagt Schöning. Die Angebote sollen noch weiter ausgebaut werden, zum Beispiel mit der neuen Reihe „Meet the Experts“, bei der Digitalisierungsexperten und Unternehmen zusammengebracht werden.
Unternehmen sind wegen Brexit verunsichert
Ein großes Thema für die Wirtschaft ist zurzeit der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. „Die Unternehmen sind zunehmend verunsichert“, sagt Kühn. Da der Verlauf und die Folgen des Brexit noch unklar seien, könnten sich die Firmen nicht darauf vorbereiten. Sicher sei aber, dass er spürbare Auswirkungen haben werde – auch auf den Norden. „Großbritannien ist der fünftgrößte Exportmarkt Schleswig-Holsteins“, sagt Kühn. Deutschlandweit hingen mehr als 750.000 Arbeitsplätze vom Export nach Großbritannien ab.
Auch die Handelspolitik der USA mit hohen Zöllen auf Importe und deren Handelsstreit mit China machen sich laut IHK zunehmend im Norden bemerkbar. Das gelte auch für die Sanktionen gegen Russland und die russischen Gegenmaßnahmen. Das schwächere Türkeigeschäft belaste die Wirtschaft ebenfalls.
Stimmung in der Wirtschaft ist überwiegend positiv
Trotz der Unsicherheiten und Herausforderungen erwartet die IHK zu Lübeck im kommenden Jahr einen stabilen Konjunkturverlauf. „Es wird weiterhin ein Wachstum geben, auch wenn es sich verlangsamt“, sagt Kühn. „Die schleswig-holsteinische Wirtschaft ist trotz aller Risiken durch drohende Handelsbeschränkungen in robuster Verfassung.“ Mit dem sogenannten Konjunkturklima-Index erfasst die IHK regelmäßig die Stimmung in der regionalen Wirtschaft. Er kann zwischen null und 200 liegen. Im dritten Quartal 2018 erreichte er einen Wert von 116 Punkten, eine leichte Verschlechterung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (125 Punkte). Knapp 35 Prozent der befragten Unternehmen bewerten ihre aktuelle Lage als gut, 52 Prozent als befriedigend und rund 14 Prozent als schlecht.