Bad Oldesloe. Jäger haben in den vergangenen Jahren Reflektoren montiert. Die Prismen sollen Wildunfälle vermeiden. Die Wirkung ist aber umstritten.
Sie springen von einer Sekunde auf die nächste auf die Straße, Autofahrer haben oft keine Chance mehr, zu reagieren. Dreimal pro Tag kommt es in Stormarn statistisch zu einem Wildunfall. So registrierte die Polizei im vergangenen Jahr 1145 Unfälle, bei denen Autofahrer mit Rehen, Rot- und Damwild oder Wildschweinen zusammengestoßen waren.
Um Wildunfälle zu verhindern, haben Jäger in den vergangenen Jahren zahlreiche blaue Halbkreisreflektoren an die Leitpfosten an Straßen im Kreis montiert. Doch schreckt das blaue Licht die Tiere tatsächlich ab? Studien und die Meinungen unter Jägern gehen bei dieser Frage auseinander.
In Schleswig-Holstein gibt es 16 Teststrecken
So kam das Institut für Wildbiologie Göttingen und Dresden zu dem Ergebnis, dass die Reflektoren für einen deutlichen Rückgang der Wildunfälle sorgen. Im Auftrag einer Projektgruppe, zu der das Umweltministerium in Kiel, der ADAC, der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr und der Landesjagdverband zählten, untersuchte das Institut die Wirksamkeit der blauen Reflektoren auf 16 Teststrecken in Schleswig-Holstein.
Die Experten beobachteten dort das Unfallgeschehen in den Jahren 2011 bis 2015. Auf einigen Straßen verzeichnete das Institut einen Rückgang der Unfallzahlen um 41 Prozent, auf anderen sogar um 85 Prozent.
Neue Untersuchung kommt zum anderen Ergebnis
Eine neue Untersuchung der Georg-August-Universität Göttingen in Kooperation mit der Universität Zürich kommt hingegen zu einem völlig anderen Ergebnis: Weder sei die Zahl der Wildunfälle nach Anbringen der Reflektoren rückläufig, noch hätten Wildtiere ihr Verhalten geändert.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hatte diese Studie in Auftrag gegeben, für die 150 Straßenabschnitte in vier Landkreisen (Göttingen, Höxter, Kassel und Land-Dill) untersucht wurden.
Reflektoren an L 83 zwischen Bad Oldesloe und Schlamersdorf
„Vielleicht wirken die Reflektoren auf dem flachen Land bei uns im Norden besser“, mutmaßt Kreisjägermeister Uwe Danger, der von den blauen Prismen überzeugt ist. „Allerdings beobachten auch wir, dass, sobald beispielsweise ein Knick am Straßenrand verläuft, die Reflektoren an Wirkung verlieren.“ Nur wenn das blaue Licht in den Wald hinein strahle, werde das Wild davon abgeschreckt. Trifft das Scheinwerferlicht die Halbkreisreflektoren, bilde sich quasi eine Lichtschranke, die die Tiere nicht passieren – so die Theorie der Befürworter.
2014 brachte Danger die Reflektoren an der L 83 zwischen Bad Oldesloe und Schlamersdorf an den Leitpfosten an. „Zuvor hatten wir auf der Strecke 18 Wildunfälle jährlich“, sagt Danger. Nachdem die Prismen angebracht waren, zählte der Jäger nur noch vier Wildunfälle auf der Strecke. Aktuelle Zahlen zu dem Abschnitt hat der Kreisjägermeister aber nicht.
Stormarner Jäger vermutet einen Gewöhnungseffekt
Heino Wriggers, dessen Jagdbezirk sich über Ahrensburg und Umgebung erstreckt, hat zunächst ebenfalls gute Erfahrungen mit den blauen Reflektoren gemacht. Vor einigen Jahren brachte er sie am Ostring und der Straße Brauner Hirsch an. „Die ersten beiden Jahre hatten wir dort kaum einen Wildunfall“, erinnert sich der Jäger. „Doch nach dem dritten Jahr zählten wir wieder rund zehn Unfälle.“
Warum die abschreckende Wirkung verloren gegangen ist, weiß der Ahrensburger nicht und mutmaßt: „Vielleicht haben sich die Tiere daran gewöhnt oder die Reflektoren haben an Strahlkraft verloren.“
2005 gab es landesweit 15.841 Unfälle
Ähnliche Erfahrungen hat auch Eckhard Wiggers gemacht, der in und um Trittau auf Jagd geht. Im April 2016 brachte er die blauen Reflektoren unter anderem an der B 404 an, die als Schwerpunkt bei Wildunfällen gilt. Im ersten Jahr zählte er im gesamten Hegering 16 Wildunfälle. Im darauffolgenden Jahr waren es mit 31 Zusammenstößen fast doppelt so viele.
Der Landesjagdverband Schleswig-Holstein präsentiert hingegen deutlich rückläufige Zahlen an Wildunfällen. Laut dem Präsidenten Wolfgang Heins registrierten die Jäger 2005 landesweit 15.841 Unfälle. Zehn Jahre später waren es nur noch 11.790 Wildunfälle.
Polizei verzeichnet stetigen Anstieg der Unfallzahlen
„Diesen enormen Rückgang kann sich die Jägerschaft des Landes auf die Fahnen schreiben“, sagt Wolfgang Heins, Präsident des Landesjagdverbandes: „Wir haben landesweit an unfallträchtigen Straßen Reflektoren an den Leitpfosten montiert und konsequent an Unfallschwerpunkten Rehwild bejagt.“
Die Polizei kommt hingegen zu ganz anderen Ergebnissen. Dort heißt es, landesweit sei die Zahl der Wildunfälle seit 2005 permanent gestiegen. 2005 sind der Polizei 7500 Wildunfälle gemeldet worden. 2015 hat sich die Zahl auf fast 15.000 Unfälle verdoppelt. In Stormarn lässt sich im Fünf-Jahres-Vergleich hingegen kaum eine Veränderung beobachten. 2013 zählte die Polizei im Kreis 1142 Wildunfälle, 2017 waren es 1145.
Die Kosten für die Reflektoren haben in der Regel die Jäger selbst zu tragen gehabt. Allerdings sind sie dabei vom Land oder Kreis finanziell unterstützt worden. Der Ahrensburger Jäger Heino Wriggers sagt : „Auch wenn die Wirkung auf die Tiere umstritten ist, sollten die blauen Reflektoren für Autofahrer auf jeden Fall ein Warnsignal sein. Dort sollten sie besonders achtsam fahren.“