Bad Oldesloe. Historiker hat zwei Jahre über Stormarner Verwaltungschefs geforscht. Jetzt ist sein Buch erschienen, mit überraschenden Biografien.

15 Gemälde aus den vergangenen 151 Jahren hängen in der Galerie der Landräte zwischen den Gebäuden A und B der Stormarner Kreisverwaltung in Bad Oldesloe – eine Ehre, für diejenigen, die sich um den Kreis besonders verdient gemacht haben. Eine Ehre auch für Rolf Bruesing, der als überzeugter Nationalsozialist 1930 erst in die NSDAP eintritt, sich 1933 bei der SS meldet und 1940 Landrat von Stormarn wird.

Henning Müller ist Historiker und Autor des Buches „Die Stormarner Landräte und der Nationalsozialismus.“
Henning Müller ist Historiker und Autor des Buches „Die Stormarner Landräte und der Nationalsozialismus.“ © HA | {Fotostudio Fegan}

Seine Biografie hat der Historiker Henning K. Müller wie die von elf weiteren Landräten und kommissarischen Vertretern zwischen 1919 und 1975 auf ihre Verstrickung in das nationalsozialistische Terrorregime geprüft. Herausgekommen ist ein Buch mit dem Titel „Die Stormarner Landräte und der Nationalsozialismus“, das jetzt in Bad Oldesloe vorgestellt wurde.

Das Projekt hat 18.500 Euro gekostet

„Auslöser für die historische Aufarbeitung war die Galerie der Landräte“, sagt Stormarns amtierender Verwaltungschef Hennig Görtz. Die hatte im Kreistag immer wieder für Diskussionen gesorgt. Er freue sich, dass mit den wissenschaftlich fundierten Ausarbeitungen jetzt eine Lücke geschlossen sei: „Die Zeit des Nationalsozialismus gehört zur mittlerweile 151-jährigen Geschichte des Kreises genauso dazu, wie die vielen Erfolgsgeschichten im Kreis“, so Görtz. Auch das Ergebnis sei erfreulich. „Wir müssen kein Bild abhängen“, sagt der Landrat.

Zur Frage stand, ob die Landräte während ihrer Amtszeit direkt an NS-Verbrechen beteiligt waren. „Das war nicht nachzuweisen“, sagt Autor Müller. Ihn hat die Sparkassen-Kulturstiftung Stormarn mit dem Projekt beauftragt, um ein unabhängiges Bild von der Geschichte der Landräte zu bekommen. 18.500 Euro hat das Projekt gekostet. Zwei Jahre lang hat Müller, der an der Universität Hamburg promoviert, in 35 Archiven und wissenschaftlichen Instituten dafür recherchiert. Auch die Entnazifizierungsverfahren seien eine wichtige Quelle gewesen.

Insgesamt gibt es im Buch zwölf Biografien

Erich Keßler (1899–1989) ist von 1937 bis 1940 Landrat. Danach wird er nach Kattowitz versetzt, unweit seiner Dienststelle befand sich das KZ Auschwitz.
Erich Keßler (1899–1989) ist von 1937 bis 1940 Landrat. Danach wird er nach Kattowitz versetzt, unweit seiner Dienststelle befand sich das KZ Auschwitz. © HA | Ha

Die zwölf Biografien, die Müller schwarz auf weiß aufgeschrieben hat, fallen vor allem durch viele Grautöne auf: durch Entscheidungen und Äußerungen irgendwo zwischen glühendem Nationalsozialismus und Widerstand – durch all das, was zwischen Mitläufer und Mittäter das Leben im Faschismus prägte. Auffällig sei, so Müller, dass die Landräte größtenteils Fachkräfte waren und nicht wegen ihrer Verdienste innerhalb der NSDAP zu ihrer Stelle kamen.

Offenbar habe dabei immer wieder auch Opportunismus eine Rolle gespielt, so der Historiker: „Bewerbungsschreiben wurden geschönt und der Lebenslauf national getrimmt, um sich für ein Amt zu qualifizieren, nach dem Krieg wurden Mitgliedschaften und Nähe zum Regime verharmlost, um sich reinzuwaschen.“

Porträts hängen nun in der Kreisverwaltung

Wilhelm Siegel (1890–1977) war ab 1946 der erste Landrat nach dem Krieg – und blieb es für zehn Jahre.
Wilhelm Siegel (1890–1977) war ab 1946 der erste Landrat nach dem Krieg – und blieb es für zehn Jahre. © HA | Ha

Das Buch soll jetzt „unter die Leute kommen“, wie Kreisarchivar StefanWatzlawzik sagt. Jeweils ein Exemplar bekommen die Mitglieder des Kreistages, die weiterführenden Schulen sowie die öffentlichen Büchereien im Kreis. Einsicht in die Biografien gewährt ab jetzt auch die Galerie der Landräte in der Kreisverwaltung: Dort wurden kurze Infotafeln neben die Porträts gehängt, zudem liegen Infoflyer bereit.

Eine Sensibilisierung für die Zeit des Nationalsozialismus sei gerade heute wichtig, sagt Jörg Schumacher, Geschäftsführer der Sparkassen Kulturstiftung Stormarn. Ihn freue, dass die ehemaligen Landräte jetzt im Nachhinein Gerechtigkeit erfahren: So galt Rolf Bruesing, der in der Nazizeit Karriere machte, vor der Publikation überwiegend als sauber. Erich Keßler, der sich immer wieder gegen das Regime gewehrt hat, bis dato eher als glühender Nazi: Er wurde nach seiner Zeit als Landrat in Stormarn (1937–1940) als Regierungsvizepräsident in Kattowitz eingesetzt, wenige Kilometer entfernt von dem Konzentrationslager Auschwitz. Darüber hinaus gehörte er aber, wie jetzt erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt wird, zum erweiterten Kreis der Widerstandsgruppe, die am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler durch ein Attentat zu stürzen.

Das Buch mit 12 Biografien und Fotos kann für 15 Euro beim Kreisarchiv Stormarn erworben (Mommsenstraße 14) oder per Mail (kreisarchiv@kreis-stormarn.de) bestellt werden