Bad Oldesloe/Lübeck. Rechtsmedizin: Obdachloser starb binnen Sekunden. Polizeigewerkschaft fordert Einsatz von Elektroschockpistolen. Anwalt berät Beamten.

Zwei Tage nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf den obdachlosen Robin L. in Bad Oldesloe haben Rechtsmediziner festgestellt, dass der 21 Jahre alte Mann binnen Sekunden an schweren inneren Verletzungen im Bereich der Lunge gestorben ist. „Lungenarterien und Luftröhre wurden durch die Schüsse stark beschädigt. Das hat zu massivem Blutverlust geführt“, sagt Christian Braunwarth, Sprecher der Staatsanwaltschaft Lübeck, auf Abendblatt-Anfrage. Der Tod sei sehr schnell eingetreten, wie Befragungen beteiligter Polizisten ergeben hätten. Die Beamten vor Ort hätten sofort nach den Schüssen bei Robin L. keinen Puls mehr gespürt.

„Der Einsatz war sehr dramatisch“, sagt der Staatsanwalt über die tragischen Ereignisse vom Sonntag an der Schützenstraße. „Die Beamten haben noch überlegt, wie sie ihn reanimieren könnten.“ Sie hätten aber keine Chance dazu gesehen. Der alarmierte Notarzt habe nur noch den Tod des Mannes feststellen können.

Bei dem Polizisten, der die beiden tödlichen Schüsse abgefeuert hatte, handelt es sich um einen 32 Jahre alten Beamten des Oldesloer Reviers. Er habe sich einen Rechtsanwalt genommen und lasse sich bisher nicht zu dem Geschehen vernehmen. Die drei übrigen beteiligten Beamten hätten inzwischen befragt werden können, ebenso ein unbeteiligter Zeuge.

Staatsanwaltschaft muss noch klären, ob Notwehr vorlag

Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersucht nach dem Polizeieinsatz am Sonntag den Tatort.
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung untersucht nach dem Polizeieinsatz am Sonntag den Tatort. © dpa | -

Die Angaben bestätigen laut Braunwarth den bisher angenommenen Ablauf der Geschehnisse. Demnach hatten die Polizisten Robin L. am Sonntag mehrfach dazu aufgefordert, das Messer fallen zu lassen, das dieser bei sich trug. Ein Beamter habe im weiteren Verlauf einen Warnschuss abgegeben, auf den der Obdachlose nicht reagierte. Zudem sei Pfefferspray eingesetzt worden. Der 21-Jährige, der nach Angaben der Ermittler psychisch krank war, sei zunächst immer wieder geflüchtet. An der Schützenstraße sei die Situation dann eskaliert. Der Mann habe dicht vor den Beamten gestanden und sie bedroht.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck sind damit noch nicht abgeschlossen. „Erst wenn die rechtsmedizinische Begutachtung in schriftlicher Form vorliegt, kann eine rechtliche Bewertung erfolgen, ob in dem Fall Notwehr vorgelegen hat“, sagt Braunwarth. Das könne noch ein paar Tage bis Wochen dauern. Der Leichnam werde aber nach der jetzt erfolgten Obduktion zur Bestattung freigegeben.

Gewerkschaft der Polizei fordert Elektropistolen

Der Staatsanwalt gab am Dienstag zudem Details zu den Vorstrafen des Obdachlosen bekannt. Robin L. war demnach wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz, Fahren ohne Führerschein und Diebstahls vorbestraft. Beim Amtsgericht Ahrensburg sei noch eine Anklage wegen Auto-Aufbruchs offen gewesen. Weitere Verfahren seien vorläufig eingestellt worden, weil die Behörden den Mann unter keinem festen Wohnsitz auffinden konnten.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert angesichts der Ereignisse von Bad Oldesloe, den Einsatz von Elektroschockpistolen zu testen. Diese setzen den Getroffenen aus einer Distanz von mehreren Metern für mehrere Sekunden außer Gefecht. Ob das Mitführen einer solchen Waffe in Bad Oldesloe etwas geändert hätte, könne er nicht sagen, sagt der GdP-Landesvorsitzende Torsten Jäger. „Das kommt sehr auf den Einzelfall an.“ Eine Schwierigkeit: Wenn ein Polizist seine scharfe Pistole und eine Elektropistole mitführe, müsse er in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, welche Waffe er einsetzt. Das könnte manchen überfordern, sagt Jäger. „Im Zweifel könnte er sich auch für die falsche Waffe entscheiden.“

Bürgermeister ist selbst ehemaliger Polizist

Die Regionalgruppe Lauenburg-Stormarn der GdP hat ihr Entsetzen über den tödlichen Verlauf des Polizeieinsatzes geäußert. „Er zeigt aber auch, mit welchen unberechenbaren Gefahren und Gewalt der Polizeiberuf verbunden ist“, sagt der Vorsitzende Marco Hecht-Hinz. Die psychischen Folgen und Belastungen für einen Polizisten nach dem Schusswaffengebrauch gegen einen Menschen würden oft unterschätzt. „Viele betroffene Kollegen leiden erheblich darunter, auf einen Menschen geschossen zu haben“, sagt Hecht-Hinz. „Sie haben Probleme, dies seelisch zu verarbeiten.

Der Oldesloer Bürgermeister Jörg Lembke, selbst ehemaliger Polizist, möchte in der nächsten Woche Kontakt zur Polizei aufnehmen, um sich über das Befinden der beteiligten Beamten zu erkundigen. Der Verwaltungschef kannte das Opfer Robin L. – wie viele Einwohner – vom Sehen her. „Es saß oft am Eingang des Rathauses und hat sich dort aus alten Kippenstummeln neue Zigaretten gedreht“, sagt er. Seit etwa drei Jahren soll der 21-Jährige in Stormarns Kreisstadt auf der Straße gelebt haben. Hilfe von Behörden habe er in der Zeit nicht angenommen. „Wir haben Obdachlosenunterkünfte und betreuen im Schnitt 70 Personen“, sagt Lembke. Da sei alles dabei – die von einer Räumungsklage betroffene Familie genauso wie Härtefälle. Ein solcher war auch Robin L. Er übernachtete meistens am Travebad oder auf dem Kinderspielplatz am Bürgerpark. „Von Menschen, die dauerhaft auf der Straße leben, gibt es in der Stadt vielleicht gerade einmal eine Handvoll“, sagt Lembke. Diesen Personen werde Hilfe angeboten. „Aber wenn die nicht angenommen wird, ist da seitens der Verwaltung nicht viel zu machen. Wir können niemanden zwingen.“