Jersbek. Rotwildbrunft: Wer jetzt durch den Wald geht, hört das Röhren der Tiere. Wie Naturfreunde in der Dämmerung zu „Stalkern“ werden.

Als wärmende Sonnenstrahlen den Duvenstedter Brook in abendliches Licht tauchen, sichern sich die ersten Besucher die besten Plätze. Im Schutz von Holz und Grün bringen sie an der Beobachtungsstelle ihre Spektive in Position. Einige der Naturfreunde packen auf Bänken Bierdosen aus. Denn der Abend kann lange währen, bis weit nach der Dämmerung.

Während sich die Menschen für ein Naturspektakel rüsten, laufen die Platzhirsche zur Hochform auf. Versteckt im Dickicht beginnt zur Dämmerstunde ihre Brunft. Das Röhren, Brüllen und Bellen der Hirsche ist weithin im Wald zu hören und wird nur durch Flugzeuglärm übertönt. Die männlichen Tiere wollen von jetzt an bis Mitte Oktober nur noch eines: möglichst viele Hirschkühe. Am Ende der kräftezehrenden Prozedur werden manche männliche Exemplare gut 40 Kilogramm an Gewicht verlieren. Frühlingsgefühle im Herbst sind Schlankmacher.

Wild und Natur bekommen größeren Stellenwert

Jäger Thimo Scheel mit dem abgeworfenen Geweih eines Hirsches
Jäger Thimo Scheel mit dem abgeworfenen Geweih eines Hirsches © Edgar S. Hasse | Edgar S. Hasse

Der Naturschutzbund Nabu aber auch Jagdausübungsberechtigte wie der Jersbeker Jagdpächter Thimo Scheel bieten jetzt sachkundige Führungen zur Hirschbrunft an und bemerken ein stetig wachsendes Interesse. „Wild und Natur bekommen bei den Menschen einen größeren Stellenwert“, sagt Thimo Scheel, der nächste Woche eine morgendliche Tour anbietet.

Der Nabu bekommt seit Langem sehr viele Nachfragen und versucht, den Besucherstrom zu lenken, damit die Tiere nicht gestört werden. Dass sich so viele Menschen für die Platzhirsche im Liebesrausch interessieren, führt Nabu-Umweltpädagoge Guido Teenck unter anderem auch auf eine TV-Dokumentation vor zehn Jahren und weitere Medienberichte zurück. „Seitdem ist das Interesse weiter gewachsen“, sagt er. „Eine Hirschbrunft live mitzuerleben, spricht alle Sinne an“, sagt Jenifer Calvi von der Deutschen Wildtier Stiftung, „Augen und Ohren, und die Nase schnuppert frischen Wiesentau.“ Viele städtische Familien hätten zunächst den Kontakt zur Natur verloren und begännen nun, Versäumtes nachzuholen.

Wie die Hamburger Nazis die Rothirsche ansiedelten

Ausgerechnet Karl Kaufmann, der NS-Reichsstatthalter in Hamburg, hatte 1939 die Ansiedlung des Rotwildes im Duvenstedter Brook befohlen. Damals fehlte diese Spezies noch vor den Toren Hamburgs. Als einzige Schalenwildart kam lediglich Rehwild vor. Die Firma Carl Hagenbeck und die Ulmer Tiergroßhandlung Julius Mohr erhielten den Auftrag, Hirsche aus Privatgattern in Polen und Schlesien zu besorgen. 18 Tiere wurden im Brook ausgesetzt – die Ahnen der heutigen Population.

Seitdem gilt der rund 800 Hektar große Brook mit den angrenzenden Wäldern als Wiege kapitaler Hirsche. Und das sogar weltweit. Im August 2002 wurde im Jersbeker Forst der Spitzenhirsch Kastor erlegt. Mit 14,6 Kilogramm Geweihgewicht steht er an der Spitze deutscher Rekordgeweihe. Bereits ein Jahr zuvor hatte der Ammersbeker Jäger Henry Harms im Revier Klein-Hansdorf-Timmerhorn mit einem Blattschuss einen kapitalen „Achtzehnender“ (Geweih mit 18 Enden) zur Strecke gebracht. Es war der zehn Jahre alte Hirsch „Prinz“. Rothirsche werfen ihr Geweih übrigens jedes Frühjahr ab – es wächst schnell nach.

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An den insgesamt acht Aussichtungspunkten im Brook redet niemand. Noch ist die Sonne nicht untergegangen, und noch hat sich keiner der Hirsche blicken lassen. Dennoch herrscht gebannte Aufmerksamkeit. Die einen blicken durch das Fernglas, die anderen machen Fotos mit ihren Teleobjektiven. „Ich bin hier jedes Jahr dabei“, sagt Karina Schönefeld aus Hamburg.

Platzhirsche wagen sich erst in der Dämmerung aus der Deckung

© Edgar S. Hasse | Edgar S. Hasse

Erst als die Sonne gegen 19.36 Uhr untergeht, wagen sich die ersten Platzhirsche aus der Deckung heraus und posieren kraftstrotzend auf der Brunftwiese. Klick, klick, jetzt werden Fotos vom ersten Star des Abends gemacht, der aber sogleich wieder von der grünen Bühne verschwindet. Den Waidmännern sind sie alle gut bekannt. Sie haben ihnen Namen gegeben: Wodan und Odin. Selbst ein Abendblatt-Hirsch gehörte mal zur Population. Er wurde inzwischen erlegt. Nach Nabu-Angaben leben im Duvenstedter Brook etwas mehr als 100 Exemplare Rotwild, darunter rund 50 männliche Tiere. Die Zahl der potenten Platzhirsche, die gern einen Harem um sich scharen, liegt zwischen fünf und zehn. Den Lebensraum teilt sich das Rotwild mit Damwild und Wildschweinen (jeweils rund 140 Exemplare) sowie vielen Rehen.

Damit das Rotwild beim lautstarken Liebesspiel nicht gestört wird, geben Naturschützer einige Verhaltenstipps. Nabu-Experte Teenck rät zu unauffälliger Kleidung und sagt: „Seid leise!“ Die Wege sollten nicht verlassen werden. Jagdpächter Scheel empfiehlt die Mitnahme eines guten Fernglases oder eines Spektivs. „Damit können die Besucher die Hirsche ,stalken’“, scherzt er. Nach Angaben der Deutschen Wildtier Stiftung eignen sich vor allem die kälteren Tage zur Brunft-Beobachtung. Denn je kälter die Nächte seien, desto höher sei die Kampfbereitschaft der Hirsche um die Gunst der Hirschkühe. Im Juni werden die Weibchen ihren Nachwuchs zur Welt bringen. Jährlich sind das rund 30 Jungtiere. Damit die Population nicht größer wird, erlegen die Jäger jedes Jahr dafür 30 ältere Tiere.

Nächste Führung mit Thimo Scheel:
19. September, 6 Uhr. Spenden für Förderverein Jersbeker Park erbeten. Anmeldung: Tel. 04532/1726. Beobachtungsstellen befinden sich u.a. in der Nähe der Duvenstedter Revierförsterei (Duvenstedter Triftweg 251)