Bargteheide. Drogen Alkohol, Gewalt: Exzessiv feiernde Jugendliche halten die Polizei seit Monaten auf Trab. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Ausufernder Alkoholkonsum, Gewalt- und Drogenkriminalität und ein von der Polizei als „gefährlicher Ort“ deklariertes Schulzentrum: In Bargteheide (Kreis Stormarn) ist es spätestens an den Wochenenden vorbei mit der beschaulichen Vorstadt-Idylle. Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Ort und Umlandgemeinden feiern in den dunklen Ecken der Stadt, bis die Polizei kommt.
In der 16.000-Einwohner-Kleinstadt nordöstlich von Hamburg macht sich langsam, aber sicher Ratlosigkeit breit. Auch bei der Polizei: Die führt seit Jahren einen Kampf gegen Windmühlen. Personenkontrollen zeigen keinen nennenswerten Effekt. Jugendliche auf Drogen oder unter Alkohol werden ihren Eltern übergeben und sitzen am nächsten Wochenende schon wieder im Polizeiauto.
Am vergangenen Freitag gipfelte der Konflikt zwischen Feiernden und Polizei in einem Großeinsatz im Volkspark. Aus einer Gruppe heraus flogen Flaschen auf Beamte, Sanitäter wurden angegriffen und konnten eine hilflose Person nur unter Polizeischutz behandeln. „Wir gehen mittlerweile von mehr als 200 Personen aus, die sich dort versammelten“, sagt Frank-Stephan Simon, Leiter der Polizeistation in Bargteheide. Für den Hauptkommissar und seine Kollegen hatten die Erlebnisse vom Freitagabend eine ganz neue Qualität – allein schon durch die große Zahl an feiernden Jugendlichen.
Polizei forderte Verstärkung aus anderen Orten an
Zuvor hatte die Polizei Hinweise von Zeugen erhalten, dass sich Jugendliche in einer WhatsApp-Gruppe zu einer Party an einem Supermarkt verabreden würden. Die Polizei schritt ein und machte den Urheber ausfindig. Der zog sich daraufhin aus der Organisation der Party zurück. Dann, so schildert es Frank-Stephan Simon, hätten sich andere WhatsApp-Gruppen gebildet. Eine von ihnen trug den Namen „Rest in Peace Famila“ – der Name des Supermarktes. „Laut Zeugen wurde in der Gruppe aufgefordert, sich zu bewaffnen und sich der Polizei bei einer Kontrolle entgegenzustellen“, sagt Simon.
Daraufhin forderte die Bargteheider Polizei Verstärkung aus Bad Oldesloe und Ahrensburg sowie eine Einsatzhundertschaft aus Eutin an. Die Situation stellte die örtliche Polizei vor ganz andere Herausforderungen, als es bei bisherigen Einsätzen der Fall war. Simon: „Am Schulzentrum haben wir normalerweise mit 20 oder 30 Personen zu tun.“
Das Bargteheider Schulzentrum ist seit Oktober 2017 als sogenannter gefährlicher Ort deklariert. Das Landesverwaltungsgesetz erlaubt es den Polizeibehörden, nach bestimmten Kriterien „Gefahrengebiete“ einzurichten. Beamte können dort verdachtsunabhängig kontrollieren.
Viele Eltern sind uneinsichtig
Früher war die Bahnhofsgegend ein beliebter Treffpunkt für Drogendealer und -konsumenten. Die Polizei verstärkte die Kontrollen, die Lage besserte sich – jedoch offenbar nur punktuell. Es zeigt sich: Die Probleme lösen sich nicht in Luft auf. Sie verlagern sich nur.
Für die Polizei ist das frustrierend. Hauptkommissar Simon: „Wenn es an einem Ort vermehrt zu Straftaten kommt, müssen wir kontrollieren. Aber ehrlich gesagt lässt uns die ganze Sache langsam, aber sicher verzweifeln, denn es ändert sich nichts.“
Am Schulzentrum kommt es weiterhin zu Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Es werden Drogen beschlagnahmt, Jugendlichen Joints abgenommen, Minderjährigen Alkohol und Zigaretten. Wochenende für Wochenende. Was den Hauptkommissar am meisten schockiert, ist die Uneinsichtigkeit vieler Eltern. „Selbst die Erziehungsberechtigten von Mehrfachtätern scheinen im Verhalten ihrer Kinder kein großes Problem zu sehen“, sagt Simon. Es sei doch nur ein Joint, heiße es dann.
Dass Jugendliche geeignete Treffpunkte wählen, um dort Alkohol zu trinken und sich nicht immer in gesellschaftlichen oder gesetzlichen Rahmen bewegen, ist für den renommierten Soziologen Dr. Dirk Baier nicht außergewöhnlich. „Hinzu kommt hier aber, dass die Jugendlichen mit ihrem Verhalten Aufmerksamkeit erhalten“, sagt der Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). „Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei kann die Jugendlichen zusätzlich motivieren, Grenzen zu überschreiten.“ Auch einer der in Bargteheide eingesetzten Sozialarbeiter analysiert: „Widerstand zieht Jugendliche an, die provozieren wollen.“
Stadt hat Arbeitsgruppe eingerichtet
Mittlerweile beschäftigt sich eine von der Stadt Bargteheide eingerichtete Arbeitsgruppe mit der Suche nach Ursachen – und vor allem nach einer Lösung des Problems. An den zwei bisherigen Treffen hat sich auch die Polizei beteiligt. Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht (parteilos) verteidigt den Polizeieinsatz vom Wochenende: „Es war eine Reaktion auf die Eskalation.“ Allerdings könne dem Problem nicht dauerhaft mit Polizeipräsenz und Repression begegnet werden. „Wir wollen mit Beteiligten sprechen. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem, das nur gemeinsam mit ihnen gelöst werden kann“, sagt Kruse-Gobrecht. Für Ende September hat sie einen Maßnahmenkatalog angekündigt.
In ihm könnten auch Forderungen an die Stormarner Kreisverwaltung enthalten sein: „Wir sind auf uns allein gestellt und finanzieren unsere Jugendarbeit selbst“, sagt Kruse-Gobrecht. Es müsse langsam auch darüber gesprochen werden, ob der Kreis bei der Straßensozialarbeit gut genug aufgestellt ist. Für das gesamte Kreisgebiet hat Stormarn nur 20 Stunden vorgesehen. Zum Vergleich: Der Kreis Herzogtum-Lauenburg beschäftigt sechs Streetworker.
Die Folgen eines möglicherweise strukturellen und kreisweiten Defizits bei der Jugendarbeit sind nicht nur in Bargteheide zu beobachten. Auch in der Kreisstadt Bad Oldesloe sowie in Ahrensburg kam es in der jüngeren Vergangenheit zu Sachbeschädigungen auf öffentlichen Plätzen, zu Beschwerden von Anwohnern über Ruhestörungen.