Welches Buch kommt mit in den Urlaub? Sebastian Knorr hat Stormarner Buchhändler nach Empfehlungen mit lokalem Bezug gefragt.

Am Stück habe sie das Buch, das sie in der Hand hält, nicht lesen können. Darin geht es um Entbehrungen, Leid und Gewalt – auch sexuelle. Trotzdem empfiehlt Uta-Sophia Freund-Jentzsch„Der Gott jenes Sommers“(Suhrkamp, 254 Seiten, 22 Euro) von Ralf Rothmann. Weil es schonungslos von den letzten Atemzügen des Zweiten Weltkrieges berichtet. Die Oldesloer Buchhändlerin sitzt auf dem Brunnen vor ihrer Buchhandlung Willfang in der Innenstadt und spricht über das neue Werk des in Schleswig geborenen Autors. In „Der Gott jenes Sommers“ erzählt Rothmann aus der Perspektive der 12 Jahre alten Luisa über die Schrecken der letzten Kriegsmonate in Kiel. „Ich mag sie“, sagt Freund-Jentzsch über die Hauptfigur. Ihr gefällt die Kinderperspektive des historischen Romans, mit dem Rothmann an seinen 2015 erschienen Buch „Im Frühling sterben“ anknüpft. Wie im Vorgänger erfahre der Leser viel über Zeit und Region. „Und das stilistisch glänzend erzählt.“

Die Buchhandlung Willfang führen Freund-Jentzsch und ihr Mann Martin, die sich in der Buchhändlerausbildung kennen und lieben gelernt haben, mittlerweile seit 25 Jahren. Leidenschaft und Durchhaltevermögen sind ja nicht die schlechtesten Voraussetzungen in einer Branche, die in den vergangenen Jahrzehnten schon mehr als einmal totgeredet wurde. „Wir kommen ganz gut zurecht“, sagt Uta-Sophia Freund-Jentzsch. Ihr kleiner Buchhandel in der Innenstadt sei individuell und unabhängig von Bestseller-Listen, sagt sie. Deswegen könne er sich hier behaupten.

Der lokale Buchhandel lebt – und behauptet sich

Egal ob in Bad Oldesloe, Ahrensburg, Glinde oder Trittau – inhabergeführte Buchhandlungen trotzen im gesamten Kreis wie gallische Dörfer den großen Konkurrenten: Buchpyramiden und Bestseller-Drehsäulen in Bahnhofskiosken, große Ketten und Internet-Giganten. Auch weil sie ihre Kunden kennen, die Region und lokale Geschmäcker.

Wir haben die Hüter über handverlesene Sortimente und einen ausgewiesenen Bücherwurm nach Lektüre-Empfehlungen für den Sommer gefragt – nach Lesestoff, der regionalen Bezug zum Norden hat, vielleicht sogar zum Kreis Stormarn. Das Ergebnis – eine persönliche Auswahl aktueller Titel und zeitloser Werke, die unterschiedlicher nicht sein könnte – sehen Sie auf dieser Seite. Unter Krimis und historische Romane hat sich da auch ein wissenschaftliches Sachbuch gemischt.

Uta-Sophia und MArtin Jentzsch vor ihrer Buchhandlung
Uta-Sophia und MArtin Jentzsch vor ihrer Buchhandlung © Sebastian Knorr/ HA | Sebastian Knorr


Martin Jentzsch ist in der Buchhandlung eher für die Krimis zuständig: Besonders hat es ihm derzeit der Hamburger Ermittler Leander Lost angetan, dessen Geschichten der Hamburger Autor Holger Karsten Schmidt unter dem Pseudonym Gil Ribeiro veröffentlicht hat. Mit einem Polizei-Austausch landet Lost an der Algarve in Portugal. „Lost in Fuseta – Spur der Schatten“ (KiWi, 400 Seiten, 14,99 Euro) ist bereits sein zweiter Fall. Jentzsch rät dazu, zunächst den ersten zu lesen, der einfach nur „Lost in Fuseta“ heißt: „Ein merkwürdiger autistischer Kommissar mit fotografischem Gedächtnis und eine tolle Möglichkeit, Land und Leute aus der Urlaubsregion kennenzulernen.“ Martin Jentzsch’ Fazit: „Höchst Lesenswert!“

Lesetipp aus Ahrensburg

Reisen ist immer auch eine kleine Befreiung: vom Berufsalltag, von den eigenen vier Wänden, vom Stress. Ähnlich, wenn auch wiederum ganz anders, ist es auch im Falle der Sommerlektüre, zu der Gabriele Niebuhr von der Ahrensburger Buchhandlung Stojan rät.

Agnes Krup: Mit der Flut
Agnes Krup: Mit der Flut © Piper Verlag | Piper Verlag


Mit 15 Jahren ergreift Paul, der auf einem Obsthof auf der Elbhalbinsel Finkenwerder zusammen mit zwei Brüdern aufgewachsen ist, 1923 die größtmögliche Flucht, indem er sich als blinder Passagier auf einem Dampfer nach New York einschifft. In „Mit der Flut“(Piper, 544 Seiten, 22 Euro) erzählt Agnes Krup eben jene Geschichte von Paul, die mit der Flucht aus der Enge der Heimat beginnt – und mit der Hoffnung, im Land der Träume auch seine eigenen Wünsche zu erfüllen. Denn Paul will Arzt werden.

„Krup ist selbst in Finkenwerder geboren, hat unter anderem in Hamburg studiert und auch in Ahrensburg gewohnt“, sagt Buchhändlerin Niebuhr. Ihr Vater wohne noch in der Schlossstadt. Krup kennt also die Schauplätze auf der Hamburger Elbhalbinsel. Aber sie kennt auch die Stadt auf der anderen Seite vom großen Ozean. Seit 1994 arbeitet das Nordlicht in New York als Literaturagentin.

Dort kann auch Romanheld Paul zunächst Fuß fassen. Für ein Medizinstudium reicht es zwar nicht, dafür aber zu einer Anstellung als Tischler. Außerdem lernt er die sizilianische Immigrantin Antonia kennen – auch ihre Liebesgeschichte ist Teil des Romans. Es geht also alles so seinen Gang. Nur die Erfüllung des großen Traumes lässt noch auf sich warten. Weil er seine Karrierepläne aber nicht begraben kann, beschließt Paul zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, nach Deutschland zurückzukommen: im Jahr 1937.

„Mit der Flut“ ist Krups erster Roman: Eine deutsche Familiengeschichte, die inspiriert ist von dem bewegten Leben ihres Großonkels und die sich vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Jahr 1969 erstreckt. „Der Roman lebt von einer ausdrucksstarken und lebendigen Sprache und viel Lokalkolorit“, sagt Niebuhr. „Man hat sofort Lust, Finkenwerder zu besuchen, um zu sehen, ob man nicht vielleicht den Nachfahren von Paul begegnet.“

Lesetipp aus Trittau

Christopher Schacht „Mit 50 Euro um die Welt“
Christopher Schacht „Mit 50 Euro um die Welt“ © Adeo Verlag | Adeo Verlag


Was drin steckt, steht bei Anja Wencks Geschäft in Trittau auch drauf: „Der Buchladen“ heißt ihre Stube für Lesenswertes. Da weiß man sofort, woran man ist. Ähnlich ist es mit dem Titel, den Wenck für die Sommerlektüre empfiehlt: „Mit 50 Euro um die Welt“ (adeo-Verlag, 304 S., 20 Euro) heißt der, geschrieben hat den Abenteuer-Erlebnisbericht Christopher Schacht aus Sahms (Herzogtum Lauenburg).

Und man mag es kaum glauben: Tatsächlich ist der junge Mann mit 19 Jahren, einem Notizheft, einer Bibel und 50 Euro Startkapital von der Schleswig-Holsteinischen Provinz in die Welt hinaus gezogen und erst vier Jahre später zurückgekommen. Gerade erst hat Schacht seinen Reisebericht, der ihn auf rund 100.000 Kilometern per Anhalter, Schiff oder zu Fuß durch 45 Länder dieser Welt führte, Bettina Tietjen im NDR bei „DAS!“ auf dem roten Sofa vorgestellt. „Wer ihn einmal gesehen und gehört hat, kann sich vorstellen womit er gut durch die Lande kommt“, sagt Buchhändlerin Wenck: „Er ist ein sehr sympathischer, freundlicher, charmanter junger Mann, voller Tatkraft, Lebensfreude und Mut.“

Der Bericht sei faszinierend und humorvoll geschrieben, sagt Wenck. „Das macht Lust, auch mal die eigene Komfortzone zu verlassen – es lohnt sich nicht nur als junger Mensch, mutig zu sein, Neues zu wagen und sich auf Menschen einzulassen.“

Lesetipp aus Reinbek:

Georges-Arthur Goldschmidt - Überqueren, überleben, übersetzen
Georges-Arthur Goldschmidt - Überqueren, überleben, übersetzen © Wallenstein Verlag | Wallenstein Verlag


Eine lockere Sommergeschichte für die Zeit zwischen zwei Abkühlungen in der Ostsee ist von Bernd M. Kraske wohl schwer zu bekommen. Und dann sollte sie ja auch noch regional, möglichst aktuell sein. Sein ganzes Leben haben Kraske die Bücher schon begleitet – egal ob im Beruf oder in der Freizeit: Knapp 30 Jahre lang war Kraske, Jahrgang 1947, Leiter der Kultur- und Veranstaltungseinrichtungen der Stadt Reinbek. Zuvor hat er am Literaturwissenschaftlichen Seminar der Universität Hamburg mitgearbeitet, publiziert bis heute noch zur deutschsprachigen Literatur, zu Wolfgang Borchert etwa, vor allem aber zu Thomas Mann.

„Ich habe einen Titel, der sich mit einer Persönlichkeit aus unserer Gegend befasst“, sagt Kraske als Antwort auf die Bitte, einen regionalen Titel zu empfehlen: „Georges-Arthur Goldschmidt – Überqueren, überleben, übersetzen“ (Wallstein, 309 S., 24,90 Euro) heißt das wissenschaftliche Werk, das die Germanistin Barbara Mahlmann-Bauer und der Romanist Patrick Suter herausgegeben haben.

„Nicht unbedingt Urlaubslektüre“, sagt Kraske, „aber durchaus wichtig für die vielen Leser von Goldschmidt, der doch bei Lichte besehen der wichtigste lebende Schriftsteller aus Stormarn ist, auch wenn er in Paris lebt.“ Georges-Arthur Goldschmidt ist 1928 in Reinbek zur Welt gekommen und musste seine Heimat 1938 verlassen, weil der jüdischen Familie die Deportation in ein Konzentrationslager drohte. 2009 wurde ihm von der Stadt Reinbek die Ehrenbürgerwürde verliehen.

Lesetipp aus Bargteheide

Der Teufel von Wacken
Der Teufel von Wacken © Emons Verlag | Heike Denzau


Das Dorf Wacken, das einmal im Jahr Pilgerstätte für Metal-Fans aus aller Welt wird, kennt Birgit Ristau aus Berichten, Dokumentationen und aus einem Krimi, den die Bargteheider Buchhändlerin zur Sommerlektüre empfiehlt. Mit dem Buch „Tod in Wacken“ ist Ristau vor einigen Jahren auf Autorin Heike Denzau aufmerksam geworden, die in Wewelsfleth (Kreis Steinburg) wohnt. In diesem Jahr ist mit „Der Teufel von Wacken“ (emons, 336 S., 11,90 Euro) der zweite Krimi erschienen, der in der kleinen Festival-Gemeinde bei Steinburg spielt.

Denzau sei eine sehr amüsant zu lesende Regionalautorin, sagt Ristau. In jedem der Krimis wird ein abgeschlossener Fall erzählt, weshalb sich auch gleich mit dem neuen Buch in die Reihe einsteigen ließe. Darin geht es um eine Bande, die zwei Juweliere in Itzehoe überfällt. „Ein Juwelier wird getötet und einer der Täter angeschossen“, erzählt Ristau. Im Trubel vom Wacken Open Air wollen sich die Täter dann verstecken. „Doch der Nachbar auf dem Campinggelände, der in einem selbstgeschmiedeten Metallsarg schläft, ist sehr neugierig.“ Es bleibt also nicht bei einem Toten – so viel darf verraten werden. Heike Denzau, sagt Birgit Ristau, sei wieder ein spannender Krimi gelungen und sie verstehe es dabei sehr gut und äußerst amüsant, dieses „Wacken-Feeling“ einzufangen.

Lesetipp aus Glinde

Henrik Siebold: Inspektor Takeda und die Toten von Altona
Henrik Siebold: Inspektor Takeda und die Toten von Altona © Aufbau Verlag | Aufbau Verlag


Auf die Fortsetzung der Fälle von Inspektor Takeda freut sich Felix Rakow, der mit einem kleinen Team die feine Bücherkate in Glinde betreibt. „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ (Aufbau Taschenbuch, 416 S., 9,99 Euro) ist der erste von drei Fällen aus der Feder von Henrik Siebold. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der in Hamburg lebende Journalist und Buchautor Daniel Bielenstein.

Zentrale Figur und Titelheld der Reihe ist der japanische Kommissar Kenjiro Takeda, der bei der Hamburger Mordkommission hospitiert und gemeinsam mit Hauptkommissarin Claudia Harms in der Hansestadt Verbrechen aufklären soll. Die ist davon zunächst gar nicht angetan. Die anfängliche Antipathie löst sich allerdings rasch auf, als die beiden Ermittler vor dem rätselhaften Tod eines Ehepaars stehen, bei dem die hanseatischen Kollegen von Selbstmord ausgehen.

„Die besondere Würze dieses guten Hamburgskrimis ist der japanische Ermittler“, sagt Felix Rakow. Denn sowohl Takeda als auch sein Umfeld müsse sich erstmal aneinander gewöhnen. „Das alles hat einen sehr hohen Unterhaltungswert und liefert ganz nebenbei noch einen Einblick auf die japanische Sicht der Dinge.“