Ammersbek. Kamille, Klatschmohn und Kornblumen sind kaum mehr auf den Feldern zu finden. Warum viele Arten von Stormarns Äckern verschwinden.

Es ist ein strahlend schöner Sommertag, als Thomas Behrends (49) in beigefarbener Weste durch die Landschaft streift. Der Referent des schleswig-holsteinischen Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) wohnt in Ammersbek. Er kann sich noch gut daran erinnern, als auf den Getreidefeldern auch Kamille, Kornblumen und Klatschmohn farbenfroh um die Wette wuchsen. Mohnrot und kornblumenblau leuchteten die Blumen einst bis zum Horizont und gehörten zum perfekten Sommer dazu.

Jetzt steht der Naturschutz-Referent vor einem erntereifen Getreidefeld zwischen Ammersbek und Ahrensburg, schaut mit Kennerblick von den Grannen bis zur Erde – und findet fast keine Wildblumen mehr. Ausschließlich Roggen und Weizen, soweit das Auge reicht. Lediglich der Vogelknöterich, eine krautige Vogelfutterpflanze, und die Strahlenlose Kamille kämpfen sich keck aus dem Boden, ganz im Schatten der hohen Ähren auf einem „sauberen Feld“, wie die Bauern zufrieden sagen. Dass heutzutage am Ackerrand kaum noch Kornblumen, Lämmersalat, Frauenmantel und Acker-Stiefmütterchen sprießen, wundert den Experten nicht. „Alle diese Arten sind selten geworden.“ Nabu-Experten wie Thomas Behrends warnen deshalb vor einer Entwicklung, die sich auch im Kreis Stormarn seit acht Jahren dramatisch zuspitzt: Die Wildblumen sterben aus. Er sagt: „Die maschinengerechte Gestaltung der Landwirtschaft hat zu einem weitgehenden Verlust von Ackerbiotopen geführt.“

Einst gab es 1500 Arten im Land

Einst gab es in Schleswig-Holstein 1500 wilde, einheimische und fest eingebürgerte Pflanzenarten. Die einen fanden auf Äckern bevorzugte Lebensräume, die anderen an Ufern, Wiesen und in Wäldern. Doch inzwischen gilt die Hälfte als ausgestorben, extrem selten oder sehr selten. Nur noch 300 Arten sind weiter verbreitet und lediglich 100 darf man als „allgemein häufig“ bezeichnen. Die Rote Liste der Pflanzenarten wird deshalb immer länger. Im Grünland zeigt sich das besonders drastisch. 100 Arten pro Hektar waren bislang auch in Stormarn nicht ungewöhnlich. „Aber heute finden sich im Intensivgrünland oft weniger als 20 oder nur zehn Arten pro Hektar“, sagt Thomas Behrends.

Ähnlich beurteilt auch Jochen Bloch, Vorsitzender der BUND-Kreisgruppe Stormarn, die Entwicklung. Die Lage sei „dramatisch“, warnt der Naturschützer aus Oststeinbek. Allerdings werde sie kaum beachtet. Dass die Wildblumen fast unbemerkt von der Öffentlichkeit verschwinden, führen Biologen vor allem auf die Landwirtschaft zurück. Zielgenaue Herbizide machten heimischen Acker-Unkräutern den Garaus. Das weltweit meistverkaufte Pflanzengift Glyphosat leiste ganze Arbeit. Dazu kämen pfluglose Ackerbearbeitung und erhöhte Nährstoffeinträge mit Stickstoff und Ammoniak, was die Pflanzenvielfalt reduziere.

Blumen leiden unter moderner Landwirtschaft

„In den vergangenen sieben bis acht Jahren hat die pfluglose Ackerbearbeitung in Stormarn wie auch in anderen Kreisen stark zugenommen“, kritisiert Thomas Behrends. Dabei werde nicht tief untergepflügt. Stattdessen wird nach der Ernte der Unkrautkiller Glyphosat gespritzt, der Heimgärtnern unter dem Handelsnamen „Roundup“ bekannt ist. „Solche Ackerflächen“, ärgert sich Behrends, „gehen aus floristischer Sicht vor die Hunde.“ Für Bienen und andere Insekten ist der Artenschwund fatal. Ein großer Teil jener Insekten, die das Heer der bei Landwirten unbeliebten Schadinsekten wie Blattläusen im Zaum hält, ist jedoch auf blütenreiche Ackerränder angewiesen. Mit dem Verschwinden von Klatschmohn, Kornblumen und Kamille verliere die Natur nunmehr ihre eigene Fähigkeit zur biologischen Schädlingsbekämpfung, warnen Naturschützer.

Sag mir, wo die Blumen sind: In der ökologischen Landwirtschaft haben Wildblumen wie der Klatschmohn noch einen Platz an der Sonne
Sag mir, wo die Blumen sind: In der ökologischen Landwirtschaft haben Wildblumen wie der Klatschmohn noch einen Platz an der Sonne © picture alliance / Patrick Pleul | dpa Picture-Alliance / Patrick Pleul

Der Bauernverband verteidigt derweil den Einsatz von Glyphosat. Peter Koll, Geschäftsführer der Kreisbauernverbände Herzogtum Lauenburg und Stormarn: „Glyphosat wirkt nur auf grüne Pflanzen und nicht auf Tiere und Insekten.“ Es reichere sich nicht im Boden an und könne auf Grund seiner Wirkungsweise nachfolgende Pflanzen nicht schädigen. Koll: „Eine negative Beziehung zwischen dem Einsatz von Glyphosat und der Insektenanzahl ist mir nicht bekannt.“

Zudem bringt die pfluglose Bearbeitung der Flächen nach Ansicht des Kreisbauernverbandes „viele Vorteile“. So sei die Anzahl der Bodenlebewesen wie Regenwürmern deutlich höher als beim Pflügen. Im übrigen seien die heutigen Herbizide „sehr zielgenau und wirksam auf die Acker-Unkräuter“.

Gemeindeverwaltung kooperiert mit Landwirten

Um das Artensterben der Wild- und Feldblumen zu stoppen, gibt es zahlreiche Ideen und Methoden. BUND-Vorsitzender Bloch berichtet von einem Projekt in Oststeinbek. Danach ist die Gemeindeverwaltung mit Landwirten dabei, Wildblumenwiesen und Ackerrandbegrünung auszuweisen. „Nach und nach denken auch die Parteien in diese Richtung“, so Bloch.

Den Bauern ist der Artenschwund nicht egal. „Sie sind bereit, etwas für Flora und Fauna zu leisten“, sagt Peter Koll und verweist auf neue Vertragsnaturschutzprogramme. Dabei werden gezielt solche Flächen gefördert, die für den Erhalt bestimmter Arten geeignet sind. Die Vertragsfläche beträgt in Schleswig-Holstein 36.660 Hektar. Tendenz steigend. Die gezielte Begrünung von Feldrändern wird bei den Bauern ebenfalls diskutiert. Allerdings dürften sie keine finanziellen Nachteile dadurch haben, hieß es. Der Nabu fordert angesichts des Artensterbens eine „Trendumkehr“ und eine Subventionierung der Landwirtschaft, die nicht nur an die Fläche, sondern zudem an die Artenvielfalt gekoppelt ist. Aber auch der einzelne Bürger könne etwas tun. Tipp der Naturschützer: Wildblumen-Samen auf Balkon und im Garten aussäen.