Ahrensburg. Kritik der Woche: Junges Theater Marstall zeigt in Ahrensburg reife Darstellung eines Stoffs mit aktuellem Bezug zur Flüchtlingswelle.
Auch wenn manche der jugendlichen Darsteller murren, lässt Regisseurin Angela Deininger-Schrader am Sonnabend im großen Saal des Kulturzentrums Marstall keine Ausnahme zu: Vor der Durchlaufprobe des Theaterstücks „Die ersten Boatpeople“ ist die große Aufwärmphase Pflicht für alle.
Etwa zehn Minuten dauert das Aufwärmen, dann geht es auch schon los. Mehr als rudimentäre Bühnendekoration ist heute zwar noch nicht zu sehen, aber das Ensemble probt bereits in Kostümen. Aus der Dunkelheit des Bühnenhintergrunds tritt John (Rune Christiansen) nach vorne in den Kreis des weißen Scheinwerferlichts. „Ich bin einer der Boatpeople“, sagt er in den Zuschauerraum hinein. „Im Schlauchboot über das blaue Meer. Verfolgt von Krieg, weg von der Armut in Afrika, wo ich keine Arbeit hatte“, umreißt er seine Situation als Flüchtling. Die ersten Boatpeople seien Sklaven gewesen, verschifft übers Meer und verkauft, um den Wohlstand der Weißen zu vermehren.
Große Diskrepanz zwischen armer und reicher Welt
Damit schlägt er den Bogen zur Vergangenheit, die in Gestalt von Attenquan (Taufiq Yakubu) zu Wort kommt. Der Familienvater berichtet, dass er aus Not seine beiden ältesten Kinder, Sohn Kodjo und Tochter Aba (Marisol Hartmann), an die Weißen als Sklaven verkauft habe.
Jetzt beginnt die eigentlichen Geschichte und für die beiden eine Reise ins Ungewisse. In den Kolonien angekommen, sehen sie sich einer ebenso grausamen wie unerbittlichen Macht ausgeliefert. Auch wenn das Theaterstück alles andere als eine heile Welt präsentiert, dominiert Tristesse nicht die Atmosphäre. Die Handlung ist keineswegs eindimensional und platt, hat ganz im Gegenteil für die Geschwister auf dem Weg ins Erwachsenenleben einige überraschende Wendungen parat. Hoffnung, Liebe, Mut, Aufbegehren und Abenteuergeist sorgen dafür, dass sie sich nicht in ihr Schicksal ergeben. So bleibt die Geschichte denn auch bis zuletzt spannend.
Fiese Charaktere treffen auf Visionen von Gerechtigkeit
Die dramatischen Wendungen bereiten Kodjo (Jenny Wadehn) und seiner große Liebe Clasina (Robyn Hansen), Tochter von Soesman, ein Wechselbad der Gefühle, das beide Schauspielerinnen mit viel Herz transportieren. Begeisternd die Darstellung des fiesen Plantagenbesitzers Soesman und der perfiden Sklavenbesitzerin Missy Papot.
Während Laurin Pohling mit seinem Soesman einen gradlinigen Charakter präsentiert, dem jedes Mittel zur Machterhaltung recht ist, arbeitet Lena Horstmann alle Facetten ihrer Figur akribisch heraus. Mama Bebe ist dagegen eine Sklavin mit Privilegien, überzeugend und würdevoll in Szene gesetzt von Laura Johannsen.
Darstellerische Leistung lässt Nähe zu Figuren entstehen
Die Anforderungen des Stoffs an die Darsteller sind groß, die Charaktere komplex und die Szenen hoch emotional. Eine bis ins allerkleinste Detail perfekte Inszenierung sollte von einem so jungen Ensemble, das aus Schülern besteht, nicht erwartet werden. Umso begeisternder, wie gut es den Darstellern gelingt, die Figuren so lebensnah zu gestalten, dass ein persönlicher Bezug zwischen ihnen und dem Zuschauer entsteht – und eine Betroffenheit eintritt, die bis über das Ende des Stücks hinaus anhält.
„Die ersten Boatpeople“ Premiere Sa, 30.6., 18.00, weitere Termine: So 1.7., 16.00, Schülervorstellung Mo 2.7., 10.00, Reithalle, Kulturzentrum Marstall, Lübecker Straße 8, Karte 10,– Erw./6,– Kinder, Schülervorstellung (empf. ab 5. Klasse) alle 5,–, Anmeldung Klassen: im Kulturzentrum Marstall unter Tel. 04102/400 02