Bargteheide. Im Alter von 20 Jahren erkrankte die Bargteheiderin an Leukämie. Ihr Schicksal verarbeitet sie nun in einem Buch. Eine Lesung im Juni.

Es sind nur wenige Worte, die das Leben von Liese Kühnel von einer Sekunde auf die nächste verändern. „Es ist doch Leukämie“, sagte der Arzt – für die damals 20-jährige Bargteheiderin eine schreckliche Diagnose. Gerade erst hatte sie ihr Abitur bestanden. Hatte Pläne und Träume, wollte von zu Hause ausziehen, endlich auf eigenen Beinen stehen. Stattdessen folgten zwölf Monate Krankenhausaufenthalt, Tabletten, Bestrahlungen und eine Chemotherapie.

Über ihr „Jahr auf Bewährung im Krankenhausknast“ hat Liese Kühnel zehn Jahre nach der Diagnose ein Buch geschrieben. „Vollblutglatze“ bietet einen intimen Einblick in das Leben einer Krebspatientin. Ungeschönt, rotzig und frech lässt die Autorin ihre Leser am Alltag auf der Onkologie teilhaben. Nur ihren richtigen Namen verrät sie nicht, will so ihre Familie schützen. Liese Kühnel ist ein selbst gewähltes Pseudonym.

„Ich wollte kein Buch über Krebs mit pathetischen Lebensweisheiten schreiben“, sagt die Autorin. „Krebs ist für die Betroffenen Alltag. Floskeln helfen da auch nicht weiter.“ Mit „Vollblutglatze“ will die Autorin einen Kontrast zu den bestehenden philosophisch nachdenklichen Krebsbüchern schaffen. Sie will Mut machen und unterhalten. Ihre Geschichte erzählt die junge Frau in einer leichten, jugendlichen Sprache. Teils sehr direkt, häufig gespickt mit einer ordentlichen Prise Galgen-Humor.

Ihrem Infusionsständer gab sie den Namen Bobby

Ein Jahr verbrachte Liese Kühnel im „Krankenhaus-Knast
Ein Jahr verbrachte Liese Kühnel im „Krankenhaus-Knast", wie sie sagt © HA | privat

Die Protagonistin spricht die Sprache, die auch Liese Kühnel damals gesprochen und empfunden hat. Ihren stetigen Begleiter – den Infusionsständer – hat sie „Bobby“ getauft. Er hat sie zu einem Leben „an der Leine“ verdonnert. Die Kapitel in ihrem Buch heißen „Voll behindert“, „Endlich Wochenende, endlich wieder Drogen nehmen“ oder „Knocking on heavens door“. Doch was sich so lapidar liest, war für Liese Kühnel bitterer Ernst, ist für den Leser trotz unterhaltsamer Sprache immer spürbar. Nur knapp entkam die junge Frau damals dem Tod.

Leukämie bei jungen Erwachsenen ist ein Thema, über das wenig in der Öffentlichkeit gesprochen wird. Kühnel sagt: „Leukämie ist mehr, als eine Glatze zu haben. Und es geht einem schlecht.“ Auch Freunde zu sehen, sich die Haare abzurasieren, zu lachen, über ekelige Körperflüssigkeiten zu sprechen oder sich Gedanken um die eigene Fruchtbarkeit zu machen, sind Facetten, die für Liese Kühnel zur Krankheit gehören, unbedingt thematisiert werden sollten.

Heute ist Kühnel 30 Jahre alt, hat die Leukämie besiegt

Offen und ehrlich beschreibt sie Knochenmarkspunktionen, Weinkrämpfe und unwürdige Toilettenstühle. Zu viele Menschen hätten Berührungsängste mit Krebspatienten, gingen aus Unsicherheit auf Distanz. „Wir brauchen Nähe. Ich freue mich über jeden, der mit wirklichem Interesse nachfragt“, so die Autorin. Die fehlende Privatsphäre und das stetige Fremdbestimmt sein durch die Behandlung machten sie aggressiv und ungeduldig. „Der Krebs hat mich von einem lebensfrohen Menschen zurück in einen wütenden Teenager verwandelt“, erinnert sich Kühnel. Doch zu sterben, sei für sie nie eine Option gewesen. „Ich hatte verstanden, dass ich sehr krank bin, doch meine jugendliche Naivität hat mich davor bewahrt, in eine Schockstarre zu verfallen“, erinnert sich die Bargteheiderin. Der Wunsch zu leben, ihre Träume zu realisieren, war so groß, dass Liese Kühnel ihr Studium in Rekordzeit absolvierte. „Sich nur nicht noch einmal vom Krebs die Zukunft versauen lassen“, lautete ihr Motto.

Heute ist Liese Kühnel 30 Jahre alt, hat die Leukämie besiegt. Sie ist Berufsschullehrerin, von zu Hause ausgezogen und steht mit beiden Beinen im Leben. „Mir geht es gut“, sagt sie. „Manchmal fühlt es sich an, als wäre alles nur ein skurriler Traum gewesen.“ Ihre Geschichte aufzuschreiben, sei für sie Therapie gewesen, als sie fünf Jahre nach ihrer Erkrankung von Albträumen geplagt wurde und kurz vor einem Burnout stand. Die Auseinandersetzung mit sich und der eigenen Geschichte habe ihr geholfen. Die existenzielle Bedrohung von damals sei heute weit weg. „Ich bin total ich selbst, sozusagen Vollblut-Liese. Das Buch hat mir dabei geholfen.“

29. Juni: Lesung in Bargteheide

Neben kommentierenden, humorvollen Endnoten gibt es am Ende des Buches eine Zehn-Punkte-Liste mit der Überschrift „Woran Du merkst, dass Du zu lange im Krankenhaus liegst“. Das ist Kühnels Art, mit ihrer Krankheit umzugehen. „Unter anderem, wenn Du denkst, einen Schlafanzug zu tragen wäre dasselbe wie sich anzuziehen.“ Das Buch „Vollblutglatze“ beweist, dass sich Menschen auch in schweren Zeiten ihren Humor bewahren können.

„Vollblutglatze“ ist im Selbstverlag erschienen und kostet 12,50 Euro. Drei Euro von jedem Buch spendet Liese Kühnel an die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS). Weitere drei Euro gehen an die Stiftung „Für junge Erwachsene mit Krebs“. Das Buch ist in der Bargteheider Buchhandlung an der Rathausstraße oder über die Internet-Adresse www.vollblutglatze.de erhältlich.
Lesung: Die Junge Volkshochschule Bargteheide organisiert für Freitag, 29. Juni, ab 19.30 Uhr im Stadthaus (Am Markt 4) eine Lesung mit der Autorin. Der Eintritt ist frei, Spenden und Fragen sind aber erwünscht.