Siek. Die 25-jährige Siekerin will SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl im Land werden. Ein Interview über Studium, Arbeit und Politik.
Wenn sie über Politik spricht, leuchten ihre Augen. Delara Burkhardt redet gern und oft über Politik. Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Jusos möchte dies künftig noch häufiger machen: Die 25 Jahre alte Siekerin will für die SPD ins Europaparlament. Sie kandidiert für den Spitzenplatz in Schleswig-Holstein. Dabei hat sie die Unterstützung des SPD-Nachwuchsverbands im Norden. Bei der Juso-Landeskonferenz in Bad Oldesloe wählten die Mitglieder die Stormarnerin zu ihrer Bewerberin.
Für Delara Burkhardt ist die Europawahl im Mai 2019 richtungsweisend. „Es geht darum, den rechtspopulistischen Kräften deutlich etwas entgegenzusetzen“, sagt sie. Dabei könne die SPD eine Brücke bauen zwischen EU-Fans und -Skeptikern. „In Europa läuft nicht alles richtig. Wir haben aber eine Idee, wie es besser werden kann“, sagt sie. Ihre Entscheidung, für diese Idee antreten zu wollen, sei nach dem Mitgliedervotum zugunsten der Großen Koalition in Berlin gefallen. „Da war klar, dass die SPD in Deutschland nur wenig bewegen kann“, so die klare Groko-Gegnerin. „Deshalb will ich es auf der nächsten Ebene versuchen.“
Mit 16 Jahren in die SPD eingetreten
Mit 16 trat die Siekerin, die bis zum Abitur die Stormarnschule in Ahrensburg besuchte, in die SPD ein. Sie belebte den Juso-Ortsverein wieder, wurde bald darauf Stormarner Kreisvorsitzende. Über den Vorstand im Juso-Landesverband folgte der Sprung in den Bundesvorstand, dem sie seit November 2015 angehört. Neben dem Studium (Bachelor in Soziologie und Politikwissenschaften in Kiel, seit 2016 Master in Sozialökonomie in Hamburg) arbeitete die Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung unter anderem für den Landtagsabgeordneten Tobias von Pein (SPD), den DGB-Bezirk Nord und in einer Hamburger Kommunikationsagentur.
Ob Delara Burkhardt Schleswig-Holsteins SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl wird, entscheidet sich am 3. November. Der Tag der Landeswahlkonferenz wird für die Siekerin so oder so ein besonderer: An dem Sonnabend feiert sie ihren 26. Geburtstag.
Sie werden bestimmt häufig als Erstes auf Ihr Alter angesprochen. Nervt das eigentlich?
Delara Burkhardt: Der Altersdurchschnitt im Europaparlament liegt bei 56 Jahren und in der SPD-Fraktion sogar bei 57. Dann scheint es erst mal komisch, wenn junge Leute auf der Bildfläche auftauchen und sagen: Ich möchte nach Europa. Klar haben wir andere Lebenserfahrungen und -perspektiven. Politik kann aber nur dann funktionieren, wenn alle Altersgruppen repräsentiert und gehört werden – auch in Parlamenten. Das ist eine wichtige Motivation für mich. Aber klar: Ich würde gern auch öfter über meine politischen Standpunkte reden.
Trotzdem die unvermeidliche Frage: Warum sollte die SPD eine 25-Jährige für die Europawahl aufstellen?
Sie soll ja mich aufstellen und nicht irgendeine 25-Jährige. Wir Jusos haben während der No-Groko-Kampagne und auch vorher bewiesen, was Sozialdemokratie heute sein kann. Dass wir nicht nur Korrekturbetrieb sind und den Status Quo schützen wollen, sondern linke Politik gestalten. Die SPD hat eine gewisse Visionslosigkeit in der Großen Koalition. Der Spirit, wieder Zukunftsforum sein zu wollen, fehlt ein bisschen, den kann ich mit reinbringen. Dafür bin ich die Richtige.
Der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner wird immer mal als möglicher Gegenkandidat genannt. Flößt der Name Respekt ein?
Er hat selbst gesagt, nicht zu kandidieren. Im Gegenteil. Bei der Juso-Landeskonferenz hat er sich positiv zu meiner Kandidatur geäußert. Unabhängig davon: Ich möchte als Delara Burkhardt überzeugen.
Und warum sollten die Stormarner Sie wählen, falls Sie nominiert würden?
Nicht nur die Stormarner, sondern die Schleswig-Holsteiner. Ich bin hier politisch groß geworden und verwurzelt. Und wir sind eine superspannende Region, weil wir so nahe an europäischen Außengrenzen sind. Wir könnten die Vorteile einer Europäisierung der Politik viel stärker nutzen. Das ist etwas, worauf ich Lust hätte.
Dann würde Ihr Weg von der Schule über die Uni direkt in die politische Karriere führen.
Den Vorwurf muss sich jeder junge Mensch in der Politik anhören – und er stimmt noch nicht mal wirklich. Seit ich 18 bin, bin ich finanziell unabhängig. Ich arbeite, um mein Studium zu finanzieren. Das ist Lebensrealität, wenn man schaut: Wie kann ich Studium und Arbeit miteinander vereinbaren? Und wie kann ich viel Zeit für mein Ehrenamt erübrigen? Gleichzeitig ist der Berufseinstieg für alle Jugendlichen eine prägende Zeit. Das sind auch Lebenserfahrungen.
In Ihrer Bewerbung schildern Sie ein Ereignis, das den Wert der Europäischen Union deutlich zeigt.
Ich war von der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Konferenz in Sarajevo in Bosnien-Herzegowina eingeladen worden, einem EU-Beitrittskandidaten. Es ging darum, wie man die linken Kräfte einen und den Rechtsruck stoppen kann. Die Belagerung der Stadt ist gerade mal 25 Jahre her. Überall erinnern heute die sogenannten Rosen von Sarajevo an Menschen, die bei Granateneinschlägen gestorben sind. Die Krater im Asphalt wurden mit rotem Harz ausgefüllt. Auf dem Rückweg zum Flughafen meinte der Fahrer, er müsse mir noch unbedingt etwas zeigen. Wenig später standen wir in einem kleinen, etwa eineinhalb Meter hohen Tunnel, durch den die Stadt im Krieg versorgt wurde. Der Fahrer war einer der Männer, die damals schwere Rucksäcke auf ihren Schultern durch den Tunnel schleppten. Da wurde mir sehr bewusst: Der Frieden, den wir haben, ist nicht selbstverständlich. Wer die EU infrage stellt, bedroht das friedliche Zusammenleben in Europa.
Aber nahezu überall sind separatistische Tendenzen zu erkennen.
Tatsächlich gibt es einen Rechtsruck mit gleichzeitiger Schwächung der Sozialdemokratie. Das liegt vielleicht daran, dass die Sozialdemokratie nicht mutig genug war, auf die vermeintlich einfachen Antworten zu reagieren. Man kann aber nicht sagen: Wir gehen zurück zum Nationalstaat, und dann wird alles wieder gut. So funktioniert die Welt nicht. Wie sind immer globalisierter, immer digitalisierter. Wir müssen erreichen, dass Unternehmen wie Google und Facebook ihre Gewinne auch dort versteuern, wo sie sie erzielen. Wir wollen mehr Europa. Dabei darf nicht nur die wirtschaftliche Zusammenarbeit immer besser werden, sondern auch die Lebensbedingungen für die Menschen. Man muss in die Zukunft investieren, das betrifft vor allem junge Menschen.
Wie sind Sie überhaupt zur Politik gekommen?
Ich habe mich in der Schule für die Themen im Wipo-Unterricht (Wirtschaft und Politik, d. Red.) interessiert. Als an den Gymnasien G 8 eingeführt wurde, gab es in Ahrensburg Schülerstreiks für bessere Bildung. Meine Schülervertretung hatte nichts organisiert, ich fand es aber wichtig, unsere Interessen zu vertreten. Mein Vater meinte, es gebe ja Jugendorganisationen der Parteien. Die habe ich mir angesehen, bin bei der SPD hängengeblieben und 2009 als 16-Jährige eingetreten. In meiner ersten Sitzung ging es um die Europawahl, für die wir die Kampagne geplant haben. Mein Plakatvorschlag wurde tatsächlich übernommen – auch wenn ich nicht mehr weiß, wie er aussah ...
Sind Ereignisse aus der Anfangszeit besonders haften geblieben?
Ich hab die Juso-Ortsgruppe Ahrensburg und Umgebung gegründet und viele Freunde motiviert. Dann bin ich Kreisvorsitzende geworden. Wir haben das Antirassistische Bündnis Stormarn mitgegründet, eine Demo vor Ort gehabt. Durch die Arbeit im Juso-Bundesvorstand habe ich mittlerweile die Möglichkeit, mit jungen Menschen aus der ganzen Welt zu diskutieren. Da bleiben unheimlich viele Eindrücke hängen.
Sie waren von Anfang an sehr engagiert.
Wenn ich etwas mache, dann richtig.
Welche persönlichen Begegnungen sind in Erinnerung geblieben?
Bei einem Nachwuchsprogramm der Ebert-Stiftung in Tunesien waren tunesische und libysche Jugendliche aus zivilgesellschaftlichen Organisationen. Es war beeindruckend, unter welch schwierigen Bedingungen sie sich für Verbesserungen in ihrem Heimatland einsetzen. Wenn man hört, dass sie Angst vor Entführungen und um ihr Leben haben, weiß man, dass es ein Privileg ist, in einem Staat zu leben, in dem Demokratie selbstverständlich ist.
Es sind also nicht die großen Namen, die Sie beeinflussen?
Nein, überhaupt nicht.
Waren Sie schon mal in Straßburg und Brüssel?
Ja, im Juso-Bundesvorstand bin ich für Internationales zuständig. Da gibt es Vernetzungstreffen mit Partnern in der Sozialdemokratischen Partei Europas und den anderen Nachwuchsorganisationen. Zuletzt war ich über Silvester in Brüssel – allerdings im Urlaub. Das ist eine sehr schöne Stadt.
Wie sehen die nächsten Monate des Weges aus, der Sie beruflich dorthin führen soll?
Im November entscheidet der Landesparteitag, wer die SPD Schleswig-Holstein in den Europawahlkampf führt. Bis dahin möchte ich meine Ideen möglichst häufig direkt in den Kreisen präsentieren. Dafür reicht ein Bewerbungsschreiben nicht aus. Ich werde viel unterwegs sein, um die Delegierten zu überzeugen. Gerade für Europaabgeordnete sind auch soziale Netzwerke wichtig. Bei 42 Sitzungswochen bleibt nur wenig Zeit vor Ort. In sozialen Medien kann man erläutern, was aktuell passiert, im Austausch bleiben und Fragen beantworten. Es gehört zur modernen Politik dazu, sich einer öffentlichen Auseinandersetzung zu stellen.