Oststeinbek. Anwohner der Straße Zum Forellenbach in Oststeinbek fürchten, künftig für die Zufahrt zu ihren Grundstücken zahlen zu müssen
Blühende Rhododendren, gestutzte Hecken, saubere Wege: Die etwa 1,50 Meter breiten und 600 Meter langen Zufahrten zu den Atriumhäusern in der Straße Zum Forellenbach in Oststeinbek wirken idyllisch. Jetzt droht dort auf zwei Zufahrten Ärger: Ein unbekannter „Grundstücksjäger“ hat sie sich angeeignet.
Die Anlieger, die bis 2010 glaubten, ihre Zuwegungen seien öffentliche Straßen, sind stark verunsichert. Denn sie wissen nicht, was der Eigner jetzt vorhat. „Wir hängen vollkommen in der Luft, kennen den Beweggrund nicht“, kritisiert Helmut Seifert, einer von 16 betroffenen Anwohnern. Möglicherweise räumt der Eigner ihnen ein Notwegerecht ein, sodass sie ihre Grundstücke zwar noch erreichen können. Aber der Eigentümer könnte dafür eine Entschädigung verlangen. Dem Vernehmen nach handelt es sich beim Käufer um ein Unternehmen aus Niedersachsen, das seine Absicht bisher nicht erklärt hat.
Seit 1992 sind die zwei Wege herrenlos
Denn während es einigen Anliegern gelang, ihre eigene, bislang herrenlose Zuwegung mithilfe eines Notars und eines Antrags beim Grundbuchamt zu übernehmen, hat ein unbekannter Dritter die anderen beiden Wege übernommen. Das ist rechtlich möglich, Geld fließt bei einer Aneignung nicht.
Kurios und im hochregulierten Deutschland eigentlich undenkbar, waren die Wege mindestens ab 1992 herrenlos. Dass es gar keinen Erschließungsvertrag gegeben hat, davon haben die Eigentümer aber nie erfahren: „Wir sind immer davon ausgegangen, dass alles seinen rechten Weg gegangen ist“, sagt Anlieger Wilfried George.
Erst als Nachbar Karl Henke 2010 im Grundbuch nachschaute, kam es an den Tag: Aus unbekannten Gründen hatte der Bauträger die Straßen an den Landwirt Soetbeer, von dem er die gesamte Koppel als Neubaugebiet erworben hatte, zurückgegeben. 1992 haben die Erben des Landwirts dieses Eigentum aufgegeben. „Das ist möglich“, weiß Wilfried George heute. „Danach fällt das herrenlose Grundstück an das Bundesland, in diesem Fall an das Finanzministerium in Kiel.“ Svea Balzer, Sprecherin des Ministeriums, bestätigt: „Nachdem das Grundbuchamt an das Finanzministerium herangetreten ist, übt das Land entweder sein Aneignungsrecht aus, oder es verzichtet mangels wirtschaftlicher Interessen. Hierfür gibt es keine Fristen“, erklärt sie. Die Zahl der Fälle sei aber sehr gering.
Bürgermeister warnte vor „Grundstücksjägern“
Bürgermeister Jürgen Hettwer betont, er habe die Anwohner bereits vor einem halben Jahr vor „Grundstücksjägern“ gewarnt, die systematisch nach herrenlosen Grundstücken fahnden. „Das Risiko einer fremden Übernahme war Thema all unserer Beratungen“, sagt er. „Wir hatten die Anlieger gebeten, sich selbst um eine Übernahme zu kümmern.“ Er habe sogar einen Notar vermitteln wollen.
„Wir fühlten uns doch im Recht“, widerspricht Helmut Seifert. „Denn wir hatten eine schriftliche Bestätigung des damaligen Vorstehers des Amtes Glinde von 1969, dass die Gemeinde die Wege ins Straßennetz aufnimmt.“ Zumal jeder Eigentümer zwischen 8000 und 13.000 D-Mark für die Erschließung bezahlt habe. „Warum die Aufnahme nicht erfolgt ist, ist ein großes Rätsel.“ Ein Weiteres ist für Helmut Seifert, warum die Gemeinde die Übernahme nicht noch stoppen konnte. Er war nicht vor Ort, konnte seinen Weg nicht – wie einige seiner Nachbarn – übernehmen. „Unter diesen Bedingungen kann ich mein Haus nicht mehr verkaufen“, sagt er unglücklich.
Land hat kein wirtschaftliches Interesse
Svea Balzer erläutert: „Eine Prüfung des Einzelfalls erfolgt immer, wenn ein Interessent an das Finanzministerium herantritt. Hat das Land kein wirtschaftliches Interesse, erfolgt der Verzicht zugunsten des Interessenten.“ Die Gemeinde wird vorab nicht informiert.
Vor einem Jahr hatten die Anlieger die Gemeindevertretung noch gebeten, ihre Zuwege nachträglich ins öffentliche Straßennetz aufzunehmen. Die Ablehnung nimmt Anlieger Karl Henke der Politik übel, nennt sie „Schildbürgerstreich“. Damals galt noch die Straßenbaubeitragssatzung Oststeinbeks. Das heißt, auf sämtliche Anlieger der Straße Zum Forellenbach – nicht nur die betroffenen – wären Kosten zugekommen.
Keine Übernahmepflicht für die Gemeinde
Denn Bedingung einer öffentlichen Widmung wäre eine Erneuerung der Kanalisation gewesen. Der für die Entwässerung zuständige Zweckverband Südstormarn hatte bemängelt, dass den Rohren für eine öffentliche Straße im Durchmesser 20 Zentimeter fehlten.
157 000 Euro hätte der Umbau gekostet, Oststeinbek hätte 80 000 Euro, die Anlieger 52 000 Euro tragen müssen. „Das aber wollte die Politik ihnen nicht zumuten“, sagt Bürgermeister Hettwer. Die Gemeinde habe keine Übernahmepflicht, dies sei eine freiwillige Leistung. 2017 legte er den Anwohnern den Rechtsweg nahe.
Karl Henke und sein Nachbar Wilfried George wollen nun nach der Wendung nicht aufgeben, hoffen auf eine Anwaltsexpertise. „Sollte die ergeben, dass wir eine mehr als 50-prozentige Gewinnchance haben, übernimmt die Gemeinde die Straßen vielleicht doch noch oder einigt sich mit dem neuen Eigentümer“, hofft Karl Henke. Der hat sich bis heute noch nicht bei den Anliegern gemeldet. Bürgermeister Hettwer sieht kaum eine Chance – es sei denn, es habe einen Formfehler gegeben.