Ahrensburg. Das beauftragte Subunternehmen findet wegen niedriger Bezahlung nicht genügend Mitarbeiter. Entsorger AWSH zahlt nun einen Zuschlag.

Überlaufende Mülltonnen am Straßenrand, die tagelang nicht abgeholt werden: Der Ärger der Stormarner über die Verzögerungen bei der Müllabfuhr wird größer und größer. Nun reagiert die Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH). Sie will den Vertrag mit der Grabau Entsorgung GmbH „im rechtlich möglichen Rahmen finanziell nachbessern“, sagt Sprecher Olaf Stötefalke. Dadurch soll bei dem beauftragten Subunternehmen „eine positive Lohnentwicklung eintreten“.

Denn offenbar ist das Stormarner Müll-Chaos hausgemacht. Bisher hatte die AWSH die seit Wochen andauernden Probleme bei der Leerung der Bio- und Restabfalltonnen mit dem allgemeinen Fachkräftemangel in der Lastwagenfahrer-Branche begründet. Ihr Vertragsunternehmen aus Geesthacht finde deswegen nicht genügend Mitarbeiter. Doch nach Abendblatt-Informationen liegt das vor allem an den Arbeitsbedingungen in der Firma, die sich vor vier Jahren in einer EU-weiten Ausschreibung den Auftrag für die Abfuhr in Stormarn gesichert hat. „Die AWSH hat sich damals für den billigsten Anbieter entschieden und in Kauf genommen, dass dieser die Vorgaben irgendwann nicht mehr leisten kann“, sagt Andreas Wübben, der zuständige Gewerkschaftssekretär bei Verdi. „Die Firma ist nicht tarifgebunden, hat keinen Betriebsrat und zahlt ihren Mitarbeitern Niedriglöhne.“

„Wir schließen keine Verträge unterhalb des Tarifs ab“

Die AWSH widerspricht. Im Vertrag sei festgeschrieben, dass die Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag für Güternahverkehr bezahlt werden müssten. „Wir sind ein öffentlicher Auftraggeber“, sagt Stötefalke. „Wir schließen keine Verträge ab, die unterhalb des Tarifs liegen.“ Allerdings befindet sich die Abfallentsorgung eigentlich im Zuständigkeitsbereich der Kreise und kreisfreien Städte. Werden die Müllmänner bei den öffentlichen Verwaltungen angestellt, müssen sie nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt werden. In den Städten Lübeck und Kiel geschieht das nach Angaben der Gewerkschaft auch, in den Kreisen Ostholstein und Segeberg teilweise. Das Einstiegsgehalt beträgt dort 2250 Euro brutto, nach 15 Berufsjahren 2865 Euro. Hinzu kommen eine betriebliche Altersvorsorge, 30 Urlaubstage und eine Sonderzahlung in Höhe von 85 Prozent.

Da der Kreis Stormarn mit dem Herzogtum Lauenburg vor Jahren die Abfallwirtschaft Südholstein gegründet hat, kann er den TVöD umgehen. Denn die Mitarbeiter der AWSH werden laut Wübben nach dem Tarifvertrag des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) bezahlt. Dieser beginnt bei Berufseinsteigern mit 1972 Euro brutto und steigert sich innerhalb von zehn Jahren auf 2465 Euro. Die AWSH zahlt laut Ver.di sogar etwas über diesem Tarif – aber immer noch unter TVöD.

Mitarbeiter-Abwanderung soll künftig verhindert werden

Der Tarifvertrag, den das Subunternehmen anwendet, liege gut zehn Prozent unter dem des BDE. „Es ist für uns unverständlich, warum dieser ausgewählt wurde“, sagt Wübben. „Das ist ein Entsorgungsunternehmen, das Müll transportiert, und keine Spedition.“

Landrat Henning Görtz bestreitet, dass die AWSH gegründet worden sei, um bestimmte Tarife umgehen zu können. „Der Grund war einzig die gute Kooperation mit dem Kreis Herzogtum Lauenburg, die wir dadurch ermöglichen“, sagt er. Da die AWSH keine eigenen Logistiker beschäftige, müsse sie andere Firmen mit der Müllabfuhr beauftragen. „Das hat bisher gut geklappt“, so Görtz. Die niedrigen Löhne bei dem derzeit beauftragten Subunternehmen seien aber in einer AWSH-Aufsichtsratssitzung in dieser Woche stark diskutiert und kritisiert worden.

Joachim Wagner, Mitglied des AWSH-Aufsichtsrats
Joachim Wagner, Mitglied des AWSH-Aufsichtsrats © Jürgen Lamp

Das Gremium beschloss, dass die AWSH dem Unternehmen einen Lohnzuschlag zahlt, „damit dieser seinen Mitarbeitern die marktüblichen Gehälter zahlen kann“, sagt Joachim Wagner. Der Fraktionsvorsitzende der Stormarner CDU ist Mitglied des Aufsichtsrates. Wie hoch die Summe genau ist, will Wagner nicht sagen, nur so viel: „In Hamburg werden Müllwagen-Fahrern 400 bis 500 Euro mehr gezahlt. Daran soll sich der künftige Lohn orientieren.“ Das sei notwendig, um ein weiteres Abwandern der Mitarbeiter in Richtung Hansestadt zu verhindern und neue Fahrer zu gewinnen. „Damit wird sich das Müllproblem nicht innerhalb weniger Tagen lösen lassen, aber hoffentlich langfristig“, sagt Wagner.

Speditionen locken neue Mitarbeiter mit Abwerbeprämie

Das Problem sei, dass sich die Logistikbranche in eine Richtung entwickelt habe, „die bei Vertragsabschluss noch nicht vorhersehbar war“, sagt Stötefalke. „Heute wird auf dem Markt sehr viel mehr bezahlt als vor vier Jahren.“ Einige Speditionen lockten neue Mitarbeiter mit 1000 Euro Abwerbeprämie. Die Grabau Entsorgung GmbH (GEG) könne sich das höhere Gehaltsniveau nicht leisten, weil sie an den Vertrag mit der AWSH gebunden sei.

Der Aufsichtsrat, der regulär in zwei Wochen wieder tagt, denke auch über „alle möglichen weiteren Modelle“ nach, sagt Wagner. So sei darüber diskutiert worden, statt der Bio- und Restmülltonnen mal die Papierbehälter länger stehen zu lassen – „denn die stinken im Sommer wenigstens nicht so“. Rechtlich wäre es laut Wagner auch möglich gewesen, dem Subunternehmen wegen Vertragsbruchs mehr Druck zu machen. „Aber das ist kontraproduktiv“, sagt der CDU-Politiker. „Wenn die Firma alles hinwirft, bekommen wir ein richtiges Problem. Es gibt zurzeit keine Unternehmen auf dem Markt, die mal eben mit 20 bis 30 Müllfahrzeugen in Stormarn einspringen könnten.“

Müllmänner richten Beschwerden an Gewerkschaften

Die Gewerkschaft kritisiert bei der GEG auch die Arbeitsbedingungen. „Das Konstrukt ist ganz knapp gestrickt“, sagt Wübben. „Sobald ein Mitarbeiter ausfällt, bricht alles in sich zusammen.“ Er erhalte viele Beschwerden von dort beschäftigten Müllmännern, dass die Touren zu lang seien und die Fahrzeuge dadurch zu stark beladen würden. Zudem müssten wegen der angespannten Personalsituation oft Überstunden geleistet werden. Wübben: „Es wird ständig gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.“ Die GEG selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Steigen jetzt die Müllgebühren?

Die Abfallwirtschaft Südholstein (AWSH) zahlt dem Subunternehmen, das sie mit der Leerung der Bio- und Restmülltonne in Stormarn und dem Herzogtum Lauenburg beauftragt hat, künftig einen Lohnzuschlag für deren Mitarbeiter. So sollen die bisher vergleichsweise geringen Gehälter an das marktübliche Niveau angepasst werden.

Wie hoch die gezahlte Summe ist, will die AWSH nicht sagen. Bei rund 70 Mitarbeitern, die bei der Grabau Entsorgung GmbH (GEG) als Müllmänner arbeiteten, komme aber einiges zusammen, heißt es. „Das bedeutet natürlich einen Mehraufwand für uns, den wir nun aus dem laufenden Etat bezahlen müssen“, sagt AWSH-Sprecher Olaf Stötefalke.

In diesem Jahr werde das keine Auswirkungen auf die Müllgebühren mehr haben. Sie sind in Stormarn seit Jahren deutlich geringer als in den anderen Hamburger Randkreisen. Wer seine 60-Liter-Restabfall-Tonne alle zwei Wochen leeren lässt, zahlt dafür ein Monatsentgelt von 5,45 Euro, bei 80 Litern sind es 7,27 Euro. Für eine 80 Liter fassende Bio-Tonne werden 38 Cent im Monat fällig.

„Die Preise ändern sich jedes Jahr. Bei der Berechnung werden sehr viele Kostenpositionen miteinbezogen“, sagt Stötefalke. Ob der gezahlte Lohnzuschlag 2019 zu einer Erhöhung der Kundenentgelte führt, könne er daher jetzt noch nicht sagen.

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War die Auftragsvergabe an die Firma vor vier Jahren die falsche Entscheidung? Die Kreistagsabgeordnete Sabine Rautenberg (Grüne), die ebenfalls im Aufsichtsrat der AWSH sitzt, weist das gegenüber dem Abendblatt entschieden zurück. Im Herzogtum Lauenburg habe man zuvor gute Erfahrungen mit der GEG gemacht. „Es wurde auch geprüft, ob das abgegebene Angebot auf Basis der Tarife leistbar ist“, sagt sie. „Die AWSH hätte die Firma nicht ausgewählt, wenn sie ihr die Leistung nicht zugetraut hätte.“

Die GEG jedenfalls hat auf den Beschluss des Aufsichtsrats bereits reagiert. Sie änderte ihre Stellengesuche bei Ebay. Dort ist nun unter dem Stichwort „Was wir Ihnen bieten“ unter anderem zu lesen: „ein attraktives, monatliches Festgehalt (angeglichen an den BDE)“ und „30 Tage Urlaub im Jahr“.