Oststeinbek. Das Abendblatt begleitet den Integrationsprozess des 26 Jahre alten Irakers, der seit August 2014 in Oststeinbek lebt. Heute: Teil IV.
Nach Deutschland zu gelangen, ist die eine Sache. Und für viele Menschen aus Kriegs- und Krisenregion war das eine Tortur. Die andere und viel zeitintensivere ist die Integration – angesichts der Anzahl der Hilfebedürftigen hierzulande eine Herkulesaufgabe. Zedan Khalaf Kassim kann viel darüber erzählen. Der 26-jährige Iraker kam im August 2014 nach Oststeinbek, ist anerkannter Flüchtling und Jeside, Angehöriger einer religiösen Minderheit. Er entkam den Isis-Terroristen, die in seiner Heimatstadt Khanasor im Norden des Landes mordeten.
Dort ist Zedan nie zur Schule gegangen. Doch Bildung ist existenziell, allen voran die Sprache, um im Land der Dichter und Denker voranzukommen. Das hat er geschafft: mit Einsatz und der Bereitschaft, sich zu quälen. Inzwischen hat der junge Mann einen festen Job, seine Frau Schirin ist nachgezogen. Im November werden sie Eltern. Wohin führt ihr Weg? Auf welche Personen können sie zählen? Das Abendblatt begleitet Khalaf Kassim seit Jahren. Er berichtet in unregelmäßigen Abständen über seine Erlebnisse. Lesen Sie heute den vierten Teil unserer Serie.
Das Sprachzertikat war der Schlüssel zum Erfolg
„Eines vorweg: Ich bin mit meinem Leben derzeit zufrieden. Es hat sich so vieles in die richtige Richtung oder auch zum Guten gewendet. Mit dem Sprachzertifikat B 1 habe ich mehr erreicht, als zu Beginn des Integrationskurses zu erwarten gewesen ist. Grammatik, Akkusativ, Dativ – das war schon sehr schwer und teilweise verwirrend. Mit meinem ehrenamtlichen Lehrer aus Oststeinbek habe ich nachmittags täglich drei Stunden extra gelernt, vor den Prüfungen sogar viereinhalb. Wir haben sie simuliert. Das war der Schlüssel zum Erfolg.“
Jakob Rohde ist Vorsitzender des Oststeinbeker Flüchtlingshilfevereins. Er trifft Zedan regelmäßig beim internationalen Männerabend in den Räumen der Kirche, dort spielen sie unter anderem Billard. Der 51-Jährige sagt, der Iraker habe sich immer vorbildlich verhalten. Und es verdiene Respekt, wie er sich behauptet habe insbesondere wegen der fehlenden Bildung. „Zedan passt menschlich voll in unsere Gesellschaft“, so Rohde. Und er sei ein Beispiel für gelungene Integration.
Zedan möchte eine handwerkliche Ausbildung machen
„Den Führerschein habe ich auch erworben, bezahlt vom Jobcenter, weil ich nachgewiesen habe, dass ich den für meine Arbeit benötige. Die theoretische Prüfung auf deutsch habe ich im ersten Anlauf geschafft, dazu kamen 16 Praxisstunden. Jetzt sitze ich am Steuer des Dienstwagens, arbeite als Hilfskraft von montags bis freitags bei Keller’s Kaminhof. Der Job macht Spaß. Ich stehe um 6 Uhr auf, beginne eine Stunde später und habe in der Regel um 16 Uhr Feierabend. Ich mauere. Ich setze Schienen, verputze Fassaden. Zurück fahre ich meistens mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das Auto steht den Gesellen zu, die von der Baustelle direkt zu ihren Familien fahren.
Wir verstehen uns, ich fühle mich als fester Bestandteil der Mannschaft. Natürlich würde ich gern mehr Geld verdienen, dafür muss ich aber eine Ausbildung machen. Mit meinen Deutschkenntnissen habe ich die Voraussetzungen, doch bei meinem jetzigen Betrieb ist das mit Aufenthalten in Hannover verbunden – in Intervallen für jeweils zwei Wochen. Das möchte ich meiner Frau Schirin jetzt nicht zumuten. Sie ist schwanger, und es geht ihr gesundheitlich nicht so gut. Solange das der Fall ist, möchte ich abends bei ihr sein. Aber eines ist sicher: Ich will eine handwerkliche Ausbildung machen. Denn nur so komme ich weiter. Früher habe ich das anders gesehen.“
Der Iraker und seine Frau wollen in Deutschland bleiben
Seine 22 Jahre alte Frau ist vor Monaten nachgekommen. Zusammen leben sie in einer Ein-Zimmerwohnung auf 46 Quadratmetern im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Zedan hatte sie zuerst allein bezogen nach dem Verlassen der Flüchtlingsunterkunft bei der Feuerwache. Gäste ziehen dort ihre Schuhe aus, die Wohnung macht einen gepflegten Eindruck. Den Irakern ist Sauberkeit wichtig. Das sieht man. Boden, Bad und Küche glänzen, das Mobiliar im Wohnzimmer ist zweckdienlich und farblich aufeinander abgestimmt mit hellen Tönen. Den Großteil für den Lebensunterhalt sichert Zedans Einkommen, dazu erhält das Paar staatliche Hilfe.
„Schirin hatte auch mit einem Integrationskurses begonnen, ihn wegen der Schwangerschaft mit den gesundheitlichen Problemen abgebrochen. Vor Kurzem war sie einige Tage im Krankenhaus. Ich habe Verständnis. Ihr Deutsch ist aber noch nicht gut. Sie muss später wieder zur Schule gehen. Und ich werde ihr sagen, dass sie sehr viel Eigeninitiative bei der Sache zeigen muss. Denn wir wollen in Deutschland bleiben, hier soll unser Kind aufwachsen. Junge oder Mädchen? Das wissen wir noch nicht. Und ehrlich gesagt: Es ist mir egal.
Mit dem B 1-Zertifikat ist mein Lernprozess noch lange nicht abgeschlossen. Mein ehrenamtlicher Lehrer aus dem Umfeld der Flüchtlingshilfe unterrichtet mich zweimal pro Woche, schwerpunktmäßig in Mathe. Wir machen gerade Prozentrechnung, lesen aber auch gern die Kindernachrichten im Abendblatt.
Familienangehörige leben im Flüchtlingslager in Zaxo
In Oststeinbek habe ich einen guten Weg eingeschlagen, dabei viel Unterstützung erhalten. Ich habe mehr Glück als meine Eltern, mit denen ich über das Smartphone kommuniziere. Genauso wie Schirins Familie leben auch meine Angehörigen in einem Flüchtlingslager in Zaxo, dem kurdischen Teil des Iraks. Unser Haus ist zerstört wie ungefähr 90 Prozent der Gebäude in Khanasor. Die IS-Terroristen sind zwar weg, aber es gibt Streitigkeiten zwischen Kurden und der irakischen Regierung, die die Oberhand hat. Ich wünschte, der Irak hätte ähnlich stabile politische Verhältnisse wie Deutschland.“
Im Zuge der Familienzusammenführung ist inzwischen auch eine Schwester Zedans in Hamburg sesshaft geworden. Zu ihr und anderen Freunden aus der alten Heimat, die ebenfalls in Deutschland leben, hat der Iraker Kontakt.
„Mein soziales Umfeld in Oststeinbek beschränkt sich hauptsächlich auf meinen Lehrer, dessen Frau und auch Jakob. Einen gleichaltrigen deutschen Freund, mit dem ich Freizeit verbringe, gibt es nicht. Das lag zum einen an dem Zeitaufwand fürs Lernen der Sprache, und jetzt habe ich den Fokus auf Schirin und das Kind gelegt. Immerhin bin ich Mitglied im Deutschen Roten Kreuz und war beim Maibaumfest dabei. Dort habe ich während des Umzugs als Radengel fungiert und aufgepasst, dass keiner unter die Anhänger läuft. Es war toll, so viele glückliche Kinder zu sehen, die Bonbons aufgefangen haben.“
Laut Jakob Rohde dauert es, bis zwischen Flüchtlingen und Einheimischen Freundschaften entstehen. Das liege nicht nur an Sprachbarrieren. „Flüchtlinge haben eigene Communities und sind gut untereinander vernetzt, fühlen sich in diesem Umfeld am wohlsten“, sagt der Vereinschef. Rohde vertritt die Meinung, „dass viele Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen in Deutschland in einer Parallelgesellschaft leben“.
„Ich kann mich mit den Werten hier zu 100 Prozent identifizieren, bin ein Verfechter von Demokratie und Frieden. Zum Islam habe ich als Jeside ein zwiespältiges Verhältnis. Der Anspruch so vieler Anhänger, die alleinig wahre Religion zu sein, ist nicht akzeptabel. Ich blicke jedenfalls optimistisch in die Zukunft und freue mich auf das Baby. Dann benötigen wir eine größere Wohnung, zweieinhalb oder drei Zimmer wären wünschenswert. Diese zu finden mit meinen finanziellen Möglichkeiten wird kein Selbstgänger. Denn wir wollen im Süden Stormarns heimisch bleiben, am besten in Oststeinbek.“