Bad Oldesloe. Räder ermöglichen deutlich höhere Geschwindigkeiten. Im Land verunglückten vier Menschen tödlich in 2017. Präventionsbeamter: Helm auf!
E-Bikes machen die Bewältigung von Strecken mit Steigungen fast zum Kinderspiel. Der Elektroantrieb erleichtert die Bewältigung langer Wege. Das sind die Vorteile, die eine wachsende Zahl von Radfahrern zum Umsteigen auf diese Technik bewegen. Nach Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes hat schon knapp jedes fünfte in Deutschland verkaufte Fahrrad eine elektrische Unterstützung an Bord. Doch damit steigt auch die Zahl der Unfälle – das ist die Schattenseite dieses Booms.
Nach Angaben des Statistikamtes Nord sind im vergangenen Jahr 379 E-Biker allein in Schleswig-Holstein in Unfälle verwickelt gewesen. Das sind mehr als 100 zusätzlich im Vergleich zu 2016 und fast doppelt so viele wie im Jahr 2015. Vier Radfahrer starben bei diesen Unglücken. Ähnlich ist die Entwicklung im Kreis Stormarn. Hier verunglückten 26 Radfahrer, 18 verletzten sich leicht, sieben schwer – nur einer blieb unverletzt. Tino Sdunek, Präventionsbeamter bei der Polizei in Bad Oldesloe, kann aus der Praxis bestätigen: „Mit einem Pedelec können auch von Untrainierten schnell hohe Geschwindigkeiten erreicht werden.“
Motoren unterstützen Fahrer bis zu 25 km/h
Die Motoren der E-Bikes unterstützten den Fahrer bis zu einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde. „Und das ist schon eine Menge“, sagt der Polizeibeamte. Viele ältere Verkehrsteilnehmer hätten damit Probleme. „Wegen des höheren Gewichts durch Motor und Akku muss auch mehr Bewegungsenergie zum Stehen gebracht werden.“ Gelingt das nicht, sind die Folgen oft schwerer als bei einem herkömmlichen Fahrradunfall.
Hinzu kommt laut Sdunek: „Auch andere Verkehrsteilnehmer unterschätzen die Geschwindigkeit dieser Räder oft.“ Ob der immer besser integrierten Technik rechneten sie nicht mit einem Pedelec oder E-Bike, das den Fahrer sogar bis 45 Kilometer pro Stunde beschleunige. Entsprechend schnell komme es deshalb zu Unfällen. „Ein Helm ist deswegen ein Muss“, so Sdunek, auch wenn er nur bei der schnellen Variante vorgeschrieben sei.
Empfehlung: E-Rad vor dem Kauf ausprobieren
Bundesweit erfasste Daten des Allianz Zentrums für Technik stützen diese Einschätzung. Unfallforscher Jörg Kubitzki sagt: „Pedelec-Fahrer haben bei einem Unfall ein dreifach erhöhtes Risiko, getötet zu werden.“ Senioren seien am häufigsten betroffen, das Risiko jedoch altersunabhängig. Dabei handele es sich oft um sogenannte Allein-Unfälle. Zum Beispiel um Stürze, weil die eigenen Fähigkeiten überschätzt und die anderen Fahreigenschaften unterschätzt würden. „Vor allem Senioren sind oft Fahrrad Erst- oder Wiedereinsteiger. Sie sollten eine Einübung besuchen“, so Kubitzki. Diese würden bisher jedoch kaum angenommen.
Diese Beobachtung hat auch der Präventionsbeamte Tino Sdunek gemacht, der sich neben seiner Tätigkeit als Schutzmann ehrenamtlich als Kreisvorsitzender der Verkehrswacht engagiert. „Im vergangenen Jahr habe ich auf dem Bargteheider Stadtfest in Zusammenarbeit mit einem örtlichen Radhändler einen Parcours aufgebaut. Es wollte jedoch kaum jemand mit den E-Bikes fahren“, so Sdunek. Er empfiehlt Interessenten, das Rad unbedingt vorher bei einem Fachhändler auszuprobieren. Sein Tipp: „Wenn Sie Rücktritt gewohnt sind, bleiben Sie dabei.“
Manche Biker wollen häufiger auf das Auto verzichten
Gerade ältere Radfahrer sollten die Umstellung so gering wie möglich halten, so der Beamte. Für Tobias Kohl vom Ahrensburger Händler e-motion kein Problem. „Viele Kunden kommen mehrfach, bevor sie sich für ein E-Bike entscheiden“, so der 36-Jährige. Erst wenn sie im Laden und auf dem Hof sicher fahren könnten, entlasse er sie zu einer Probefahrt in die Umgebung. „Sonst wird das Rad hinterher nicht genutzt und steht nur im Keller, das ist auch nicht in unserem Sinn“, so Kohl. Der Händler, der sich auf den Verkauf von elektrisch angetriebenen Rädern spezialisiert hat, bietet unter anderem auch Dreiräder an. „Kunden, denen ein zweirädriges Fahrrad zu wackelig ist, können so mobil bleiben“, sagt er. Gerade für Ältere ohne Radfahr-Erfahrung oder nach einer Erkrankung sei das ideal. „Ein Dreirad fährt sich jedoch anders, das müssen auch junge Fahrer erst üben“, sagt der 36-Jährige.
Das beruhigt Ulla Rieper. Die 82-Jährige aus Bargteheide hat gerade ein paar Testrunden im Laden gedreht, war zuvor krankheitsbedingt seit vier Jahren nicht mehr gefahren. „Dabei vermisse ich das sehr“, sagt sie. Sie wolle üben, um wieder einkaufen gehen oder kleine Touren mit ihrem Mann fahren zu können. Ähnlich geht es Rosemarie Siege (73). „Meine Freundinnen haben schon alle ein E-Bike.“ Mit ihnen möchte sie im Sommer wieder längere Touren fahren, „ohne ständig außer Atem zu sein“. Außerdem könne sie sich vorstellen, bei schönem Wetter auch mal öfter das Auto stehen zu lassen.
Gute E-Bikes ab etwa 2000 Euro erhältlich
Ein Wermutstropfen bleibt: „Gute E-Bikes kosten ab etwa 2000 Euro“, so Kohl. Anders seien teure Komponenten wie Motor und Akku nicht zu bezahlen. Außerdem müssten Rahmen und Bremsen für das höhere Tempo und höheres Gewicht ausgelegt sein. „Das sehe ich bei günstigeren Modellen nicht, weswegen wir die auch nicht anbieten“, so Kohl. Allerdings gebe es diverse Leasing- und Finanzierungsmöglichkeiten.