Das Abendblatt startet eine Serie vor der Abstimmung am 6. Mai. Die Wahlbeteiligung ist 2013 landesweit auf einen Tiefpunkt gesunken.

Am 6. Mai, in drei Wochen, ist Kommunalwahl in Schleswig-Holstein. Im Kreis Stormarn sind dann rund 195.000 Menschen – alle EU-Bürger von mindestens 16 Jahren – aufgerufen abzustimmen, wer in den kommenden fünf Jahren ihre Interessen in den Parlamenten von Kreis und Wohnorten vertritt. Was die Vergangenheit lehrt: Möglicherweise wird nicht einmal jeder Zweite von ihnen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Am 26. Mai 2013, am Tag der letzten Kommunalwahl, lag die Wahlbeteiligung bei mageren 47,4 Prozent. In ganz Schleswig-Holstein sank der Wert von 49,4 Prozent im Jahr 2008 auf 46,7 Prozent bei der letzten Abstimmung – ein Allzeittief.

Die Kommunalwahl, sie scheint die Mehrheit der Bürger nicht zu interessieren. Christian Martin, Professor für Vergleichende Politikwissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, bestätigt das im Kern. „Sie gilt als sogenannte Second-order election“, sagt er. Experten übersetzen den Fachbegriff am liebsten mit dem deutschen Wort Nebenwahl. „Das heißt, dass ihr einfach eine geringere Bedeutung beigemessen wird als etwa der Bundestags- oder der Landtagswahl“, sagt Martin.

Kommunalpolitik berührt Bürger unmittelbar

Der Wissenschaftler spricht von einem Paradox. „Gerade kommunalpolitische Entscheidungen betreffen die Menschen in ihrer Lebenswelt sehr.“ In der Tat: Was ehrenamtliche Politiker vor Ort in Feierabendsitzungen diskutieren und entscheiden, berührt oft die unmittelbare Nachbarschaft der Bürger. Da mag es um Plätze in Kindertagesstätten gehen, um den Zustand von Schulen, um die Zahl von Parkplätzen und die Höhe von Parkgebühren. Auch um die Frage, ob auf der grünen Wiese gleich nebenan ein Neubaugebiet, ein Gewerbepark oder vielleicht doch lieber ein Naturschutzgebiet entstehen sollte. Ebenso entscheiden Kommunalpolitiker, welche Straßen in welcher Reihenfolge saniert, aus- oder zugunsten von Radwegen zurückgebaut werden und wer für das Ganze wie viel zahlen soll. Apropos zahlen: Grund-, Gewerbe- und Hundesteuer festzusetzen ist zum Beispiel auch Aufgabe der Politiker vor Ort.

Bei der Tragweite solcher Entscheidungen scheint Berlin, ja scheint sogar Kiel ein ferner Ort zu sein. Und trotzdem taugt die Kommunalwahl offenbar nicht dazu, die Wähler in dem Maße zu mobilisieren, wie es zum Beispiel die Bundestagswahl zu tun vermag. Weil sie unterschätzt, weil sie in ihrer Bedeutung nicht wahrgenommen wird. Professor Martin: „Die ideologischen Differenzen sind in der Politik vor Ort nicht so groß. Und wir wissen: Je geringer die ideologischen Differenzen sind, desto geringer fällt die Wahlbeteiligung aus.“

Wähler empfinden Kommunalwahl als unbedeutend

Auf Bundesebene spiele die Parteizugehörigkeit eines Politikers eine ganz große Rolle. „Sie dient dem Wähler als Orientierung bei der Frage: Was bekomme ich da eigentlich?“, sagt Martin. Und das ist ein zweites Paradox: Ausgerechnet die Sacharbeit über Parteigrenzen hinweg, die im Kleinen oft noch vorbildlich funktioniert und die viele Menschen zunehmend auch von der großen Bundespolitik einfordern, lässt die Kommunalwahl in der Empfindung der Wähler zu etwas Kleinem, zu etwas Unbedeutendem werden.

Was genau wird eigentlich gewählt?

Die Kandidaten bei einer Kommunalwahl sind ehrenamtliche Politiker, die sich in ihrer Freizeit zu Sitzungen treffen und dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten. Es kann vorkommen, dass auch Berufspolitiker kandidieren, weil sie zum Beispiel ein Landtagsmandat haben. Das eine hat mit dem anderen aber nichts zu tun, in der Kommunalpolitik sind sie trotzdem Ehrenamtler.

Der Kreistag ist die Volksvertretung für den Kreis Stormarn. Er hat einen Vorsitzenden, der die Sitzungen leitet, den sogenannten Kreispräsidenten. Auch wenn der Kreistag wie ein Parlament arbeitet, gehört er rechtlich nicht zur Legislative, sondern zur Exekutive. Die Abgeordneten geben mit ihren Beschlüssen vor, was die Kreisverwaltung umsetzen soll. Thematisch fallen beispielhaft der öffentliche Personennahverkehr, die Abfallbeseitigung, der Rettungsdienst, das Gesundheitswesen und die Kfz-Zulassung in die Verantwortung der Kreise.

Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen sind analog zum Kreistag die Volksvertretungen der Kommunen. In Ahrensburg, Reinbek, Bad Oldesloe, Glinde, Bargteheide, Reinfeld, Trittau, Ammersbek, Großhansdorf, Barsbüttel und Oststeinbek geben sie vor, was die Mitarbeiter in den Rathäusern umsetzen sollen. In solchen Kommunen sind die Bürgermeister keine Kommunalpolitiker, sondern Verwaltungsbeamte. In kleineren Dörfern ohne eigenes Rathaus sind die Bürgermeister ehrenamtliche Politiker.

1/3

Hinzukommen mag eine Portion Unkenntnis. Prof. Utz Schliesky, Jurist und Direktor des Landtags in Kiel, hat im Frühsommer 2014 in einer Serie über Kommunalpolitik in dieser Zeitung auf die Frage nach Gründen für die geringe Wahlbeteiligung geantwortet: „Den meisten Wahlberechtigten ist nicht bekannt, welche weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort tatsächlich bestehen.“ Den Anteil jener Wahlberechtigten, die alle ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente der Einflussnahme auf kommunaler Ebene kennen und richtig einsetzen könnten, bezifferte er auf „unter fünf Prozent“. Außerdem, so Schliesky, spiele eine Rolle, dass Wahlen zunehmend personalisiert seien. Jedoch: „Gerade in größeren Kommunen kennen die Wahlberechtigten ihre Kandidaten nicht.“

Kandidaten sollten die Wähler ernst nehmen

Aber was kann die kommunalpolitische Szene tun, um an dieser Situation etwas zu ändern? Politik-Professor Christian Martin rät den Kandidatinnen und Kandidaten, die jetzt zur Wahl antreten, mit den Leuten über kontroverse Themen zu sprechen, ehrlich zu sein, auf die Menschen einzugehen. „Die Wähler wollen sich ernst genommen fühlen“, sagt der Wissenschaftler.

Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn wird ihr Mögliches dazu beitragen, auf die Kommunalwahl einzustimmen. Mit dieser Folge beginnt eine 10-teilige Serie, in der Reporter die politische Lage im Kreis und in den großen Kommunen analysieren, einen Ausblick auf die drängenden Themen der Zukunft geben und darstellen, wie die einzelnen Parteien und Wählervereinigungen diese angehen wollen und welche Kandidaten zur Wahl stehen.